17.03.2004
An der kurzen Leine
Sie werden Kampfmaschinen genannt – die Hunde, die zu den „besonders gefährlichen“ Rassen gehören. Trotzdem haben sie Liebhaber. Und die sind vor Gericht gezogen. Einen Teilerfolg haben sie erreicht. Aber der Ruf dieser Tiere bleibt unverändert.
Von Jost Müller-Neuhof
Der Hund schießt herüber, die Augen zu Schlitzen verengt, das Maul aufgerissen, die Lefzen schaumig. Und springt hoch. Ein ohrenbetäubendes Gebell, unterbrochen von gehetztem Hecheln. „Gaaaaanz ruhig, das ist ein Braver“ – bekommt man dann zu hören. Doch für viele Menschen ist das nicht sehr beruhigend, für Kinder schon gar nicht. Vor allem dann nicht, wenn man die Fälle kennt, in denen Hunde Menschen eben doch gefährlich geworden sind. Wie etwa die beiden, die am 26. Juni 2000 in Hamburg ein Kind töteten. Das Herrchen führte seine Kampfhunde im Hamburger Arbeiterstadtteil Wilhelmsburg aus, ohne Maulkorb und Leine. Plötzlich liefen die Hunde los, übersprangen eine Schulhofmauer, stürzten sich auf einen Sechsjährigen, verbissen sich in Hals und Gesicht. Er verblutete.
Seitdem hat sich die Welt der Kampfhundehalter verändert. Und auch nach dem gestrigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird sie nicht wieder so sein wie früher. Zwar kippte das Gericht das vom Bundestag beschlossene Zuchtverbot, überlässt es aber ausdrücklich den Ländern, dies zu regeln – sofern sie es noch nicht getan haben.
Der tote Junge aus Hamburg hatte den Blick auf ein Problem gelenkt, das von der breiten Öffentlichkeit bis dahin allenfalls als lästig empfunden wurde. Kampfhunde galten zwar als zweifelhafte Statussymbole – dem Halbwelt-Luden waren sie Insignien von Macht und Männlichkeit, Zukurzgekommene kaschierten damit ihr schmales Ego – doch Hund und Herrchen wurden eher belächelt als gefürchtet. Nach dem Vorfall dann verschärften viele Bundesländer ihre Bestimmungen oder schufen welche, um wenn schon nicht die Hunde, so doch wenigstens deren Besitzer zu zähmen. Im Mittelpunkt standen so genannte Rasselisten, die angeblich besonders gefährliche Hundearten benannten. Doch die Rechtsverordnungen hatten juristisch keinen Bestand. Das Bundesverwaltungsgericht entschied mehrfach, dass stattdessen richtige Gesetze erlassen werden müssten. Der Bund blieb ebenfalls nicht untätig, er änderte das Tierschutzgesetz, verbot den Import einiger Rassen sowie deren Züchtung und flankierte dies mit einer Strafvorschrift.
Damit ging er zu weit. Das Zuchtverbot ist verfassungswidrig – allerdings nicht, weil die Freiheitsrechte der Züchter Vorrang hätten, sondern allein deshalb, weil der Bund als Gesetzgeber nicht zuständig war. Zwar ist der Tierschutz Bundessache, aber vordringlich gehe es um den Schutz von Menschen, urteilten die Richter. Für die öffentliche Sicherheit seien die Länder zuständig.
Einige Länder haben bereits Gesetze erlassen, andere planen es. Auch diese Vorhaben sind nicht unumstritten. Über verschiedene will das Bundesverfassungsgericht noch in den nächsten Wochen entscheiden. Dass jedoch erneut Zuchtverbote gekippt werden, ist nicht zu erwarten. Zwar sehen die Verfassungshüter die Berufsfreiheit tangiert. Beim Importverbot erachten sie das jedoch als hinnehmbar. Schließlich, heißt es, müssten Hundezüchter ja nicht zwingend Kampfhunde züchten, um ihren Beruf auszuüben.
Indem es das Importverbot bestätigte, zog das Gericht auch einen Schlussstrich unter den Streit um die Rasselisten. Die klagenden Züchter hatten argumentiert, die Gefährlichkeit eines Tieres sei gar nicht genetisch disponiert. Deshalb müsse es für jeden Hund einen „Wesenstest“ geben, mit dem ein Risiko in jedem Fall einzeln nachzuweisen sei.
Dem erteilten die Richter jetzt eine Abfuhr. Das Parlament habe die Rassen Pitbull-Terrier, American Staffordshire- Terrier, Staffordshire-Bullterrier und Bullterrier zu Recht auf den Index gesetzt, sie bildeten zumindest ein „Potenzial zur Erzeugung gefährlicher Hunde“, auch wenn Erziehung, Haltung und Ausbildung eine wesentliche Rolle spielten.
Wissenschaftler sind sich uneinig
Die Wissenschaft, dass musste man in Karlsruhe eingestehen, ist sich nicht einig. In den Gutachten der Forscher für das Gericht war von einer Wechselwirkung zwischen Erbanlagen und Umweltreizen die Rede, eine Expertise des damaligen Landwirtschaftsministeriums stellte einen erheblichen Anteil der Gene an Art und Ausmaß der Aggression fest.
Das genügte den Richtern. Sie konnten sich aber auch auf Statistiken stützen. Der Städtetag hatte ermittelt, dass Pitbull-Terrier und andere Bullterrierarten mehr zubissen, als es ihrem Vorkommen entspricht – auch wenn etwa der Deutsche Schäferhund absolut gesehen mehr Menschen verletzt.
Die Pitbullseele wird auch zukünftig keiner Massenanalyse unterzogen werden. Der „Wesenstest“ biete keine ganz verlässliche Grundlage für sichere Prognosen, hieß es. In der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe hatte der Vorsitzende der Tierschutzkommission auch vor Betrügern gewarnt: Ein paar Tranquilizer, und aus der Kampfmaschine wird ein Lämmchen.