Rote Schleifen für den Pitbull
Das Verfassungsgericht verhandelt über die Hundeverordnung - Urteil am 12.
Juli
Von Jens Anker
Seit Juli vergangenen Jahres schwelt der Streit um so genannte Kampfhunde
in der Stadt. Die Halter der umstrittenen Hunderassen sehen sich in der
Öffentlichkeit diffamiert, seitdem der Senat die Berliner Hundeverordnung
erheblich verschärfte. Ihre Lieblinge dürfen nur noch angeleint und mit
Maulkorb versehen auf die Straße, Halter und Hund müssen sich einem
Eignungstest unterziehen. Anderen geht die Verordnung nicht weit genug.
Die Streitenden stehen sich unversöhnlich gegenüber. Gestern nahm sich das
höchste Gericht des Landes, der Verfassungsgerichtshof, des Themas an.
«Rasselisten trennen Freunde», stand auf dem T-Shirt einer Zuschauerin.
Auf der Rückseite: «Warum lasst Ihr uns sterben?» Die Kampfhundehalter der
Stadt setzten gestern auf Gefühle, manche trugen rote Schleifen, um auf
das aus ihrer Sicht himmelschreiende Unrecht aufmerksam zu machen.
Doch Gefühle interessieren Juristen nicht. Es geht um die Rechtmäßigkeit
der Berliner Hundeverordnung. Seit dem Sommer vergangenen Jahres sind die
Gemüter erhitzt. Nach der tödlichen Attacke zweier Kampfhunde auf ein
Hamburger Kind verschärfte der Senat die seit drei Jahren bestehende
Verordnung. Danach gelten für die Halter von zwölf als besonders
gefährlich eingestufte Hunderassen Auflagen. Die Zucht von fünf Rassen ist
seit der Verschärfung verboten. Für die zwölf Rassen besteht Leinen- und
Maulkorbzwang. Haltern, die straffällig geworden, alkohol- oder
rauschmittelabhängig sind, kann das Halten der Hunde verboten werden.
Die Hundehalter sehen sich durch die Verordnung in ihren Grundrechten
eingeschränkt. Die Liste der besonders gefährlichen Hunde sei willkürlich,
wissenschaftlich nicht fundiert, der Leinenzwang verletze das
Eigentumsrecht der Halter und das geforderte Führungszeugnis verletze das
Recht, über die Freigabe von persönlichen Informationen selbst zu
entscheiden. Die Halter, so die Argumentation vor Gericht, würden
stigmatisiert, weil die grüne Unbedenklichkeitsplakette der Hunde
signalisiere: Der Halter ist ein rechtschaffender, verantwortungsbewusster
Hundebesitzer. Das wollen einige davon offenbar nicht. Deswegen verstößt
die Verordnung gegen die Verfassung Berlins, sind sich 35 Hundehalter
einig. Sie riefen den Verfassungsgerichtshof an, damit die Verordnung
außer Kraft gesetzt wird.
Der Berliner Senat sieht hingegen keinen Anlass, die Verordnung zu kippen.
Die Liste sei nicht willkürlich erstellt, sie richte sich vielmehr nach
dem Beißverhalten und der niedrigen Aggressionsschwelle von bestimmten
Rassen. Gefährliche Hunde verfügten darüber hinaus über eine «hohe
Schmerztoleranz», eine wirksame Kontrolle von Hund und Halter sei daher
geboten.
Die neun Verfassungsrichter hörten sich die Argumente gestern Vormittag
geduldig an. Doch womöglich müssen sie gar nicht über pro und contra der
Verordnung entscheiden. Als Erstes widmen sich die Juristen der Frage, ob
sie überhaupt der richtige Ansprechpartner für die aufgeregten
Hundebesitzer sind. Ist es den Hundehaltern zuzumuten, den ordentlichen
Rechtsweg einzuschlagen? In diesem Fall müssten sie sich an das
Verwaltungsgericht und die Folgeinstanzen wenden. Ein beschwerlicher und
langwieriger Weg. Viele Halter fürchten, dass es bis zu einem Urteil in
letzter Instanz Jahre dauern könnte. Eine Entscheidung darüber verkünden
die Verfassungsrichter am 12. Juli.
Polizei und Gesundheitsverwaltung halten unabhängig vom schwelenden Streit
die Hundeverordnung für einen vollen Erfolg. Die Zahl der Zwischenfälle
mit gefährlichen Hunden sei drastisch gesunken. Seit Einführung der
Verordnung wurden 424 Anzeigen gegen Hundehalter geschrieben, die
Veterinärämter zogen 256 Hunde ein, 50 von ihnen wurden wegen ihrer
Aggressivität eingeschläfert.
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