Aus unserer Sicht ist das mit Dreads und Blackfacing etc. doch alles halb so wild, während Nummern am Handgelenk oder Judensterne als Solidaritätssymbole nicht gehen. Aus PoC-Sicht sieht das aber vielleicht eben doch ein bisschen anders aus?
Natürlich sieht das aus „PoC-Sicht“ anders aus.
Weil PoC mit ganz anderen Problemen konfrontiert sind.
Genau wie die Frage „Nazi-Uniform zu Karneval“ oder „Nazi“ als spaßhafte Bezeichnung für einen überakkuraten Menschen im englischsprachigen Raum in der Wirkung
extrem vom kulturellen Hintergrund abhängt.
Hier wäre ersteres eine Straftat, in Israel eine Unverschämtheit, in England vielleicht ein gewagter, aber geschätzter Streich.
Von daher… ja, klar.
Und wenn mir nun ein Schwarzer erzählt, das sei für ihn ein Problem… je nun.
Dann ist es eines.
Es haben aber hier 1. nicht PoC entschieden, dass dieses jetzt generell ein PoC-Problem ist und 2. muss mMn wirklich offen bleiben, ob diese Frisur so exklusiv „Schwarz“ ist, wie manche Leute (aller Hautfarben) zu glauben scheinen, oder ob andere Traditionen (Hippies - Indien) nicht auch ihre Daseins- und Trageberechtigung für verfilzte Haare haben.
Es gibt in der Diskussion zu solchen Themen zudem ein paar Punkte, die ich für sehr valide in Amerika halte, aber nicht hier.
Dafür gibt es hier Probleme, die Amerika so nicht hat und die Amerikaner auch nicht nachvollziehen können.
So wird dort zB Türken oder Iranern, Irakern, Arabern oder auch Asiaten von der Schwarzen Community oftmals abgesprochen, zu wissen, was Ausgrenzung ist, weil sie „weiß“ oder auf jeden Fall „nicht schwarz“ sind und es wird ihnen abgesprochen, ähnliche Erfahrungen gemacht zu haben.
Dass hier in Europa mangels Schwarzer und mangels der ganzen Einwanderei nach dem Muster der USA geografische Herkunft, Muttersprache und Religion eine größere Rolle spielen und ähnliche Strukturen hervorbringen, ist Amerikanern - nach meiner Erfahrung - sehr oft erklärungsbedürftig und für Schwarze von dort nicht immer unbedingt nachvollziehbar.
Also, lange Rede, kurzer Sinn: Du hast Recht, wenn du schreibst, dass man die Belange anderer mehr im Blick haben sollte.
Ich weiß aber nicht, ob man die Dinge immer so sehen muss, wie sie in den USA gesehen werden.
Dort scheint es mir so zu sein, dass viele Gruppen diskriminiert werden, Schwarze aber ganz besonders stark.
Und sie leiden besonders darunter, dass sie zwar großen Einfluss im Kulturbereich haben, dafür aber wenig Anerkennung erfahren und selbst marginalisiert und quer durch die Gesellschaft übermäßig negativ wahrgenommen werden.
Was sie leisten und wie sie wahrgenommen werden, klafft fundamental auseinander.
Halte ich für ein großes Gesellschaftliches Problem und erklärt vielleicht, warum manche Schwarzen dort diesbezüglich sehr empfindlich sind. Haben sie allen Grund zu.
Auch hier in Europa gibt es viele Gruppen, die diskriminiert je nach Region diskriminiert werden, auch Einwanderer aus Afrika. Aber eben nicht nur die und nichtmal
besonders die. Jedenfalls nicht quer durch ganz Europa.
Ich beobachte hier allerdings tatsächlich eher, dass die Aneignung bestimmter kultureller Eigenheiten zu einer höheren Wertschätzung des anderen führt als zu dessen weiterer Marginalisierung.
Was haben die Leute in meiner Kindheit noch über die „diebischen Spaghettifresser“ geschimpft - die waren damals noch vor den selteneren und arg exotischen Türken der gefühlte Bodensatz der „Gastarbeiter“.
Auch komisch: „Gast“ ist ein schönes Wort, aber „Gastarbeiter“ war in meiner Kindheit ein Schimpfwort.
(Anmerkung: Sowohl mein Mann als auch ich haben Elternteile aus dieser Gastarbeitergeneration. Sind also technisch Deutsche mit Migrationshintergrund, wenn man es genau nimmt.)
Heute? - Keine Rede mehr davon.
Je mehr Teile der Zuwandererkultur Eingang in die hiesige gefunden haben, desto größer wurde die Toleranz den Zugewanderten gegenüber.
Ohne denen die Urheberschaft an bestimmten Dingen absprechen zu wollen.
Insofern ist „kulturelle Aneignung“ in dem Sinne davon, dass man sich Fähigkeiten oder Angewohnheiten
aneignet, sie also erlernt, nicht unbedingt etwas schlechtes.
Da kommen dann aber sprachliche Probleme dazu, die die Diskussion nicht einfacher machen:
Im Englischen ist der Begriff „cultural appropriation“ - und „appropriation“ heißt Aneignung im Sinne einer „Inbesitznahme“
Das, was appropriated wurde, wechselt den Eigentümer. Der fürderhin nicht mehr erwähnt wird.
Das ist, als würde man plötzlich behaupten, Pizza, Pasta, Poffertjes oder Pudding seien deutsche Gerichte, weil so viele Deutsche sie gern essen - und dezent unter den Tisch fallen zu lassen, wo sie herkommen.
Das passiert hier in Europa aber nicht unbedingt - wenn man davon absieht, dass Hippies mit Hang zur Esoterik nicht berücksichtigen, dass auch bei Schwarzen die Dreadlocks eine Bedeutung haben.
Das tun sie aber nicht, weil sie die Schwarzen der Dreadlocks berauben wollen - sondern weil sie sie schlicht woanders gefunden haben.
Und gerade weil hier - scheint mir - die Entwicklung anders verlaufen ist als in den USA, weiß ich halt nicht (also, ich weiß es wirklich nicht), ob es sinnvoll ist, aller Welt die US-amerikanische Deutungs- und Bewertungsschablone aufzudrücken.
Keine Ahnung.