Ich trauere bei Menschen auch mehr um den Verlust eines lebenden Menschen
Ob mehr weiß ich nicht generell, aber das ist bei mir auch ein ganz wesentlicher Faktor...
Eigentlich sollte ich schon längst schlafen. Ich bin totmüde und muss morgen sehr früh raus. aber ich muss jetzt hier was schreiben... Wird lang und wirr, sorry dafür.
Nachdem ich wirklich sehr sehr lange - wie ich finde - mit dem Thema Tod mir wichtiger Mitmenschen verschont wurde, kommt es jetzt wirklich sehr geballt.
Ich konnte 26 Jahre werde ohne mich wirklich mit dem Thema befassen zu müssen und habe das auch immer weggeschoben. Mein einer Opa war schon tot, als ich geboren wurde. Und ansonsten habe ich wohl Todesfälle mitbekommen, aber keine bei denen ich je wirklich einen Verlust empfunden hätte.
Es starben einige entfernte bzw. entfernt angeheirete Familienmitglieder, die ich nur abzählbare Male gesehen habe und Eltern/Geschwister von Klassenkameradinnen, was mir auch sehr leid tat, aber eben mich nicht wirklich betraf.
Dann als ich 16 war starb ganz plötzlich eine erst 38-jährige Nachbarin, die 4 Kinder hinterließ. Das hat mich damals doch etwas erschüttert und ich habe auch mal geweint, weil ich das so tragisch fand (die Umstände waren total unschön) und weil das vorher auch so komisch war. Sie hatte Geldschulden bei mir - schon Moante und einen absoluten Kleckerbetrag, den ich schon abgeschrieben hatte. Sie hat ihn am Abend vor ihrem Tod beglichen und wir hatten noch ein nettes Gespräch - sonst haben wir uns eigentlich nie gut verstanden, das war mir richtig unheimlich so im Nachhinein. es war wirklich so, als wolle sie ins Reine mit allem kommen... Ich habe damals auch geweint, weil ich eben das erste mal überhaupt so mit menschlichem Tod konfrontiert wurde bei jemandem, den ich nahezu täglich gesehen habe, aber wirklich Trauer? Nee, wir haben usn eigentlich nie gemocht - eher sowas wie Betroffenheit.
Dann die Nachricht - etwa 3 Jahre nach meinem Abitur - dass sich ein Klassenkamerad erschossen hat, der schon auf der sleben Grundschule mit mir war. Trotzdem, nie enger Kontakt, Jahre nicht gesehen... Also trotz zahlreicher entfernt mitbekommener Todesfälle eigentlich nie wirklich persönliche Trauer oder Betroffenheit und ich habe immer gesagt: "Was für ein Segen, dass mir das bis 26 erspart geblieben ist".
Ja und dieses Jahr schlägt es zu...
Im Frbruar starb meine Oma. Die Oma, von der wir alle immer dachten, sie würde uns am längsten erhalten bleiben. Meine eine Oma ist jetzt fast 89 und herzkrank, mein Opa 79 und seit zig Jahren schwer Lungen- und Herzkrank. Wir waren alle bis vor etwa 3 Jahren immer so sicher, dass einer der beiden zuerst von uns geht. Und dann ging im Februar im Alter von 74 Jahren meine andere Oma.
Meine Oma, bei der wir als Kinder mindestens einmal im Monat übernachtet haben, mit der wir so viel gespielt haben und die immer so tolle Familienessen gekocht hat. Wir hatten viel und engen Kontakt zu ihr.
Ich fühle mich schlecht dabei, aber ich habe gar nicht so sehr getrauert. Warum? Weil meine Oma eine so lebenslustige und rüstige, gesunde Frau war - und vor 3 Jahren nach einem schweren Schlaganfall gelähmt und mit schwersten Depressionen im Rollstuhl saß. Trotz aller Bemühungen ist es mir immer nur recht schwer gelungen, diese immer weinende und abwesend vor sich hin starrende Frau im Rollstuhl so richtig als meine Oma anzusehen. Sie musste all das erdulden, was sie nie wollte, hatte vor dem Anfall immer gesagt "Wenn ich mir nicht mal mehr slebst den Po abwischen kann, will ich nicht mehr". Sie fiel im Januar sehr überraschend ins Koma, so dass ich mich nicht wirklich von ihr verabschieden konnte, Ich habe sie noch 2 mal besucht und ihr alles gesagt, was ich sagen wollte, aber es kam ja keine Reaktion mehr. Als sie starb war das eine Erlösung! Und genau so habe ich das auch gesehen. Da war nicht meine Oma gestorben, die war schon 2 1/2 Jahre vorher tot. Von meiner Oma war nichts mehr übrig.
Sicher hab ich bei der Beerdigung gewient, aber richtig schlimm war es kurz nach der Beerdigung, da lief hier in der KSG ein Strang zur Augsburger Puppenkiste und ich habe das alles angeklickt und auch noch etwas gepostet - und dann plötzlich kam wie ein Hammerschlag die Erkenntnis, dass wir das immer als Kinder bei Oma und Opa gesehen haben, da brach es einmal raus. Sie wäre vor 4 Tagen 75 geworden...
Das schlimmste war jedoch mit Abstand, den Schmerz und das Leid meines Opas zu sehen. Natürlich zum einen wie er am Sarg zusammenbrach, zum anderen auch wie er - als sie im Koma lag - immer wieder ihre Hand drückte und immer wieder sagte: "Lotti, ich bin es - dein Mann. Ich liebe dich doch so, kannst du mich nicht hören?" Wenn ich schreibe laufen mir die Tränen...
Seitdem kommt mein Opa nicht mehr auf die Beine. Er wechselt zwischen Wohngruppe und Krankenhaus fast wöchentlich hin und her, ist inzwischen schwer dement, schwer depressiv, hat keine Kraft mehr und redet ständig nur davon, dass er "zur Mutti" will. Ich weiß nicht, wie lange das noch gehen soll. Er will nicht mehr, er kann nicht mehr, aber als Mensch muss man weiterleben, ob man will oder nicht. Jedes Tier darf man einschläfern, aber einen Menschen muss man wieder und wieder und wieder operieren und in die Reha schicken und mit Medikamenten vollpumpen, auch wenn er nur "zu seiner Frau" möchte, mit der er fast 55 Jahre zusammen gelebt hat.
Er selbst hat es nicht mehr in der Hand, dazu ist er zu schwach und verwirrt... Wenn es bei ihm so weit sein wird - und ich denke, das ist nicht mehr fern - wird es auch für ihn eine Erlösung sein.
Meine fast 89-jährige Oma bau auch zunehmend ab, geistig wie körperlich. Eine kommt zum anderen, schwere Osteoporose, Herzprobleme, Demenz... In dem Alter braucht man sich über die weitere Lebensperspektive auch keine Illusionen mehr machen. Auch sie äußert zunehmend, dass sie manchmal gar nicht mehr aufwachen möchte.
Wenn es so kommt, wie ich befürchte, habe ich alle meine Großeltern innerhalb von 2 Jahren verloren - auch wenn ich den Teufel nicht an die Wand malen möchte...
Aber wirklich schlimm beutelt mich momentan ein anderes Schicksal - mein Onkel liegt im Sterben. Er ist letzten Monat 52 geworden und hat Lungenkrebs. Er ist ein unheimlich lieber Mensch, der immer erst an andere und dann an sich denkt. Von allen meinen Onkeln war er mir immer der liebste und auch der, zu dem mit am regelmäßigsten Kontakt bestand. Er hat Lungenkrebs und nachdem er mit der Diagnose schon einige Zeit lebt, geht es seit dem Sommer ziemlich bergab. Schon Anfang Oktober sah es nicht gut aus, Anfang November hieß es das erste mal, dass es sein kann, dass er Weihnachten nicht mehr erlebt... Heute kam der Anruf, dass es nur noch um Tage geht.
Ich war heute bei ihm im Krankenhaus - es war so furchtbar. Ihn so zu sehen. Das allererste mal in meinem Leben, muss ich bewusst Abschied nehmen. Musste ich einen Menschen, der noch bei Bewusstsein ist, verlassen in dem Wissen, dass es sein kann, dass dies der letzte Besuch ist - und der das selbst auch weiß. Er ist so stark gewesen, hat immer offen über alles geredet und ganz klar gesehen, dass jede Behandlung nur noch palliativ ist und er einfach nur noch so viel Zeit wie möglich rausholen möchte. Und heute lag er so da, da war nur noch Leid. Ich wünsche ihm so sehr, dass er nochmal auf die Beine kommt und Weihnachten friedlich zuhause erleben darf - oder aber, dass es ohne viel weiteres Leid und ohne großen Schmerz zuende geht.
Mir geht das wahnsinnig nagh, viel näher als ich gedacht hätte, denn in den letzten Jahren war der Kontakt nicht mehr ganz so eng wie früher. Was sagt man jemandem zum Abschied? Jemandem, der erst 52 ist und noch viel vorgehabt hätte? Ich muss schon den ganzen Abend weinen, weil mich das so hilflos macht...
Man will ja auch nichts sagen, was den Tod quasi voraussetzt, weil er ja sicher selbst hofft nochmal auf die Beine zu kommen, aber man will auch irgendwie Abschied nehmen... Es ist so eine Scheißsituation...
Und wie muss das erst meiner Tante und meinen Cousins gehen?
Ich habe seit diesem Jahr eine enorme Angst bekommen, meine Eltern zu verlieren. Ich darf gar nicht dran denken...