Mein Engelchen
prinzipiell wusste ich ja, dass man an gebrochenem Herzen tatsächlich sterben kann, dass das nicht nur so ein "Spruch" ist...
Mir war schon den ganzen Nachmittag schon irgendwie so "nicht gut". Bin dann trotzdem mit Gutti spazieren; wir haben eine nette Frau mit einem Pudel namens Sally getroffen, war ein wirklich netter Spaziergang. Mittlerweile hatte sich ein regelrechter Druck auf meiner Brust breitgemacht und mein Herz schlug wie verrückt.
Zu hause kramte ich den Blutdruckmesser hervor: oh sch.eisse, Puls 161, Blutdruck normal.
Das hatte ich zwar schon öfter mal gehabt, auch schon mit höherem Puls - aber noch nie so lange und dieses Druckgefühl war auch noch nie so massiv. Ich kann ja vielleicht wenigstens mal beim Notarzt anrufen und fragen, ob das ein Fall für ihn ist...
Mir fiel absolut nicht mehr ein, wie die Nummer vom Notarzt ist. Und es ist wirklich eine echte Schande, was man so alles für Zeugs bekommt, wenn man im Internet nach "Notarzt" sucht. Alles, nur keine Telefonnummer für den echten Notfall. Also wählte ich die 110 und fragte nach der Nummer. 112 - ach ja genau. Der Herr bei der 112 fand das durchaus notfallverdächtig, er würde mir auf alle Fälle den Sanka schicken. Ich versuchte, einen "normalen Notarzt" herauszuschinden, aber er liess net mit sich handeln.
Gutti begrüßte die 3 Herren, die ein paar Minuten später vor der Haustür standen, mit lautem Gebell und ziellosem Umeinanderlaufen. Als er sich beruhigt hatte, steckte er ständig die Schnauze zwischen die Arme der 3 Herren - einen Sinn für menschlich bedrohliche Situationen hat er wohl eher nicht
Der Puls war mittlerweile bei 170, das EKG war allerdings unauffällig. 170 schnelle, aber schön rhythmische Schläge. Blutdruck weiterhin im normalen Bereich, der BZ mit 118 auch. Das Alpha der Sankabesatzung versuchte mich zur Mitnahme in die Klinik zu bewegen. Er hatte schon gefragt, ob ich jemanden für den Hund hätte, was ich derzeit leider immer noch mit einem klarem NEIN beantworten muss. Außerdem passiert das ja öfter und ich war deshalb auch schon beim Arzt - hat nur keinen wirklich interessiert. Und dann jetzt deshalb so einen Grande Notfall inszenieren und das arme Gutti ins Tierheim schicken? Nö - geht nicht.
Das Alpha war nett und verständig. Es sei ja auch keine hochakute Notfallsituation, aber wenn der Puls jetzt noch länger so weit oben bleibt, belastet das den Herzmuskel - und das geht nur ein paar Stunden lang gut. Vorhofflimmern mit Herzstillstand, Thrombenbildung mit nachfolgendem Herzinfarkt, Schlaganfall. Wir fanden einen guten Kompromiss: ich fahre mit dem Sanka in die Notaufnahme nach Schwabing und das Gutti bleibt derweil hier. Entweder die kriegen das dort wieder hin, dann darf ich eh wieder nach hause oder ich entlasse mich dann selbst auf eigene Verantwortung, aber dann weiss ich wenigstens konkreter was los ist. Oder ich muss dann halt doch eine Versorgung für das Gutti finden.
Während ich meine Tasche samt Krankenkassekarte zusammenpackte, dem Gutti noch schnell ein Futter hinstellte und seinen Wassernapf auffüllte, merkte ich wie der Puls wieder massiv nach oben knallte. Ist wohl echt vernünftiger zumindest erstmal mit zu fahren. Das Notarzt-Alpha war raus zum Sanka gegangen, um mich anzumelden, die anderen beiden blieben bei mir, falls mir schwindelig werden würde.
Im Sanka wurde ich festgeschnallt, bekam eine rosa Verweilkanüle für eine NaCl-Infusion in den Handrücken gelegt und die EKG Elektroden wurden wieder angesteckt. Mein Herzmedaillon war ihm ein bißchen im Weg, er sagte, er würde es aber nur auf die Seite schieben. Ich war ihm echt dankbar und sagte "solange ich es nicht abmachen muss, ist alles gut". Er musste etwas pfriemeln, aber es ging ohne mein kleines Silberherz abmachen zu müssen. Ich glaube, ich hätte echt Panik bekommen, wenn ich es hätte abnehmen müssen.
Im Liegen ging der Puls dann auch langsam runter, bis wir im Krankenhaus Schwabing ankamen, war er schon wieder runter auf 150.
Ich war echt einigermaßen fassungslos, weil ich so einen "Aufstand" ja echt nicht gewollt hatte. Die Notärzte beruhigten mich "was glauben Sie, wegen was für Lappalien wir oft gerufen werden. Und das hier ist ganz sicher keine".
In der Notaufnahme, Abteilung "Chest Pain Unit" hatte das Personal gut zu tun. Ein Patient wurde gerade rausgeschoben, ich rein. Einer der Notärzte fieselte meine Krankenkassenkarte aus meiner Handtasche und ging die Formalitäten für mich erledigen, das Alpha besprach sich mit dem Arzt in der Notaufnahme, der dritte blieb bei mir - sie waren wirklich rührend. Als ich auf meinem Bett in der Notaufnahme lag und neu ans EKG angestopselt waren, verabschiedeten sie sich ganz herzlich und wünschten mir alles Gute - und gingen. Ich fühlte mich auf einmal ziemlich alleine gelassen ...
Im Notaufnahmezimmer waren lauter Abteilungen, mit Betten die durch blaue Vorhänge abgetrennnt waren. Ein älterer und ein ganz junger Mann lagen mir gegenüber, der alte Mann war etwas ... störrisch und pöbelte gerade ein bißchen herum. Ich musste dringend aufs Klo, aber die Schwester wollte mich mit den Werten nicht aufstehen lassen und brachte mir eine Schüssel. Puuuh ...
Der Monitor über mir zeigte immer noch 157 und mit jeder Bewegung erzeugte ich ein Alarmklingeln. Beim Hochziehen der Jeans und des Reissverschlusses gab es ein regelrechtes Alarmkonzert - na Klasse, das kann ja heiter werden. Ich grübelte, wem ich notfallmäßig einfach das Gutti aufs Auge drücken könnte, aber mir fiel niemand ein.
Nach den üblichen Fragen, die schnell beantwortet waren, weil ich weder Medikamente nehme noch eine Herz-Kreislauf-Anamnese vorzuweisen habe, kam der Arzt der Notaufnahme.
Er versuchte alle verfügbaren Tricks, den Puls runterzukriegen. Die meisten davon hatten wir auch schon in der Schule gelernt, und mit dem Notarzt-Alpha auch ohne Erfolg bei zu Hause auf der Couch versucht: Carotissinusdruckmassage links, Carotissinusdruckmassage rechts, kühlen Waschlappen über die Augen, Backen mit Druck aufblasen - nichts tat sich. Er überlegte "was noch?" Bulbusdruckmassage schlug ich vor, aber die hab ich schon zu hause versucht, hat auch nix gebracht. "Kaltes Wasser trinken" fiel ihm noch ein und er ging es sofort holen. "Kalt ist es nicht wirklich, aber wir versuchen es trotzdem". Der Puls blieb unverrückbar konstant bei knappen 160, nix zu wollen.
Ich bekam einen Sauerstoffzugang in die Nase gelegt und dann legte er noch mir eine neue Verweilkanüle, diesmal in die Ellenbeuge, weil die am Handrücken nicht richtig läuft und er mir jetzt dann gleich ADENOSIN spritzen würde und da braucht er ein einen "gscheiten" Zugang. Meine Tachykardien würden kreiseln und deshalb geht der Puls auch nicht wieder runter. Das Adenosin wird das Kreiseln unterbrechen. "Lungenprobleme, Asthma, COPD? Nein? Gut!" Er verschwand und kam mit einer Ärztin wieder. "Wir spritzen Ihnen jetzt das Adenosin. Sie werden einen Druck auf der Brust spüren, es kann Ihnen auch übel werden".
Der Druck kam ziemlich schnell und war wirklich unangenehm. Aber nichts passierte, der Puls blieb wo er war. Die Ärztin wurde leicht unruhig. Nachspritzen? Ich hustete, weil ich nur noch schlecht Luft bekam. "Moment mal, husten Sie noch mal!" Musste ich sowieso und ich hustete brav. "Nochmal, so fest Sie können!" Ich hustete als gäbe es einen Preis zu gewinnen und am zufriedenen Lächeln der beiden Ärzte merkte ich, dass der Puls jetzt endlich anfing abzufallen. Der Puls war jetzt bei gut 105. Zufrieden verließen die beiden mein Bett.
Kurz darauf kam der Arzt wieder, nestelte in seiner Brusttasche "würden Sie ein Aconitum von mir nehmen?" Aconitum? Er nickte. Sie meinen das Homöopathikum? Homöopathisches Aconitum? Wieder nickte er nur "würden Sie das nehmen?" Natürlich nehme ich das - ich war nur viel zu verblüfft, um zu antworten. Er schob mir 3 Globuli aus einem Notfallröhrchen in den Mund. Welche Potenz war das? rief ich ihm noch nach, weil er schon entschwunden war. C30.
Sowas. Der hat eine homöopathische Notfallapotheke. Nicht zu fassen. Ist das geil!
Geil war auch, was jetzt mit dem Puls passierte. Er rutschte unmittelbar nach den Globuli runter bis auf 97, man konnte richtig zugucken, wie er sich runterhangelte. Zum ersten Mal konnte ich auch die Zahlen auf dem Monitor über mir wieder klar erkennen. Klar, logisch - Aconitum ist ein Schockmittel. DAS Schockmittel eigentlich.
Nach einer weiteren halben Stunde mit konstantem Puls von 97 und meiner Versicherung, dass der Wert eigentlich normal für mich sei, durfte ich gehen. Die Schwester gab mir gerade meine Sachen, da kam der Arzt nochmal zurück "übrigens, wer was am Herzen hat, sollte auf sein Herz achten!" Sprachs und war auch schon wieder weg. "Ja, was ist denn das für ein Arzt? Solche Ärzte gibt's doch überhaupt nicht mehr!" rutschte es mir raus. Die Schwester lächelte zufrieden und meinte "der ist immer so".
Ich bekam noch einen Schrieb mit für einen Arzt im Pasinger Krankenhaus. Der würde mir evtl. die Leitungsbahn durchtrennen, die diese Tachykardien auslöst. Die Vorstellung gefällt mir eindeutig besser, als irgendwelche Medikamente zu schlucken, aber schauen wir mal. Erstmal muss ich wohl abklären, ob diese Episoden nicht durch den Tumor auf der Nebenniere ausgelöst werden. Den Verdacht habe ich ja schon sehr viel länger. Ein Gutes hat der heutige Abend ja, jetzt müssen das die Herren Endokrinologen endlich mal ernst nehmen. Gerade weil die ansonsten einzige Option ja in einer Operation besteht und man nicht mal einfach so den Rezeptblock zücken kann.
Ach Engelchen, dein Kalium war ziemlich hoch als ich dich damals in die Klinik gebracht habe. Diese Tachykardien wirst du also genau so gehabt haben. Nur hat die doofe Pute
das nicht gecheckt, obwohl ich sie auf das Kalium hingewiesen habe. Hättest du einen Arzt gehabt, der auch nur halb so gut gewesen wäre, wie meiner heute abend - dann würdest du noch leben. Und ich müsste nicht auf
mein Herz achten, sondern könnte immer noch dem geliebten Donnerschlag des
deinen lauschen.
Die medizinische Diagnose mag jetzt klar logisch und lateinisch exakt feststehen, aber kein Herzproblem entsteht einfach so innerhalb so kurzer Zeit. Da hat der Arzt schon recht. Also werde ich brav auf ihn hören und auf "mein gebrochenes Herz achten". Gebrochen oder nicht, das Gutti braucht es schließlich noch ein Weilchen.
Und auch wenn sich das vielleicht ein bißchen "schräg" anhört, aber irgendwie bin ich ganz zufrieden damit. Es gibt so viele gesundheitliche Störungen, wo man sich fragt, warum man das hat oder "womit man das verdient hat". Diese hier - macht wenigstens Sinn. Schließlich hab ich mich auch schon so gefühlt, als wäre mein Herz gebrochen an dem Tag als du gehen musstest. Und dann ist es jetzt eben tatsächlich so.
Hab ich dir heute schon gesagt, wie lieb ich dich hab, mein Herz?