@lektoratte was genau hat der Bursche denn? Wenn das nicht zu viel gefragt ist.
Nein, ist nicht zu viel gefragt.
Er hat eine sogenannte Reizfilterstörung - das ist eine bestimmte Form von ADHS. Sprich, er kann sensorische (v.a. akustische) Reize kaum filtern, und war in der Grundschule total überfordert. (Ich habe das auch, aber lange nicht so extrem ausgeprägt. Ich kann's ihm aber durchaus nachfühlen).
Bei ihm ging das bis dahin, dass das Gehirn bei sensorischer Überforderung alle paar Sekunden einfach Dinge rauswarf und nicht mehr mitschnitt, weil der Speicher einfach voll war. Sprich, er kriegte Sachen nicht mit, oder auch, er sagte Sachen, wusste aber 2 Sekunden später nichts mehr davon und war dann ständig dezent desorientiert.
Und mitmaßlich als co-morbide Störung hatte er depressive Schübe und diverse Ängste. (Ich denke, da spielte auch noch etwas anders mit hinein, eher in Richtung PTSD, aber die andere Geschichte hat das definitiv nicht besser gemacht.)
Er war lange in psychotherapeutischer Behandlung und bekommt seit 3 Jahren (also, seit wir genau wissen, was er hat), Ritalin (bw. MediKinet).
Und bisher hat ihm das wirklich gut getan. Was er auch selbst so gesagt hat.
Im Grunde hat auch die Psychotherapie erst nach der Medikation so richtig gegriffen, als er nicht mehr ständig um sein inneres Gleichgewicht kämpfen musste.
Dass er jetzt das Gefühl hat, es geht ihm "ohne" unter Umständen besser, ist relativ neu.
Und nachdem ich mir den Rest des Abends anhören durfte, wie schrecklich sein Leben doch sei und wie furchtbar alles geworden wäre, nur weil er einen Bruder hätte, den er "einfach unerträglich" fände und der täglich schlimmer würde, und dass er sein altes Leben zurück wolle (das jetzt 6 Jahre her ist... - und das nicht etwa maulend, sondern weinend - bezweifle ich das ernsthaft.
Dass er in diesem Zustand ziemlich gehässig zu seinem kleinen Bruder ist - geschenkt. Ist nicht nett, aber für mich noch im Rahmen des normalen. Dass er mal alberner oder lauter wird oder beim Spielen das Ende nicht findet... alles erträglich, solange er später wieder runterfindet.
Aber diese rabenschwarzen Abgrundphasen, unf auch die Ängste - die gehen auf Dauer gar nicht.
(Wobei: Fixe Ideen und endloses Wiederholen von irgendwelchen Gedankengängen im Kreis hatten wir dieses Mal gar nicht!
)
Wobei er immerhin recht offen darüber gesprochen hat, was ihn als ganz Kleiner gequält hat, als der Bruder dazu kam, und wie allein und abgeschoben er sich gefühlt hat. - Damit hat er sich selbst ein bisschen beruhigt und war nachher wieder leidlich normal. Da war ich ja schon froh, das ist an sich ein Riesen-Fortschritt.
Ich glaube, ein bisschen ist da auch real begründete Zukunftsangst dabei. Dass er nicht in den Kindergarten zurückkann, an den Gedanken hat er sich jetzt, am Ende von Klasse 5, gewöhnt. Seit dem Gymnasium geht er eigentlich ganz gern zur Schule.
Aber - er merkt schon selbst, dass er nicht so tickt, wie die anderen alle. Und ist in seiner Klasse auch noch der Jüngste. Und die anderen interessieren sich langsam für Mädchen/Jungs, komische Musik, Handy-Spiele, Klamotten und ihr Äußeres... da ist er noch lange nicht. Und "Jugendliche", mit denen er ja Bus fährt, findet er einfach furchtbar. Größ0er werden fände er gut (er ist nicht nur der Jüngste, er ist auch der Kleinste in der Klasse) - aber Jugendlicher werden... igittigittigitt. Nee. Will er nicht. Die sind alle doof. Und hässlich. Und benehmen sich schlecht.
Und er will nichts, was auch nur ein bisschen damit zu tun hat. Und wenn es Schleifebinden ist.
*Seufz*