Sorry, dass ich so spät antworte, aber ich war heute auf einer Beerdigung.
Deine Worte klingen nur so, als hättest du vor allem den Vater schon verurteilt. Und obwohl ich nicht sein Anwalt bin, empfinde ich das nicht als richtig.
Ich weiss, dass das so klingt, und ja, ich habe mich irgendwie auf den Vater eingeschossen. Aber ganz ehrlich: Ich weiss nicht, warum. Irgendetwas in mir fährt da die Stacheln aus. Ein Bauchgefühl, ohne wirklich handfeste Gründe dafür anführen zu können.
Vielleicht schließe ich da tatsächlich von mir auf andere.
Das tun wir alle. Was haben wir denn sonst als Orientierungspunkt, wenn nicht das eigene Erleben?
Ich habe leider schon einige Schicksalsschläge erleben müssen, bei denen ich rückblickend nur eins sicher weiss: ich habe es irgendwie überstanden. Aber (wahrscheinlich zum Glück) Vieles gar nicht bewusst wahr genommen, etliches abgenickt, weil ich froh war, dass es mir jemand abgenommen hat und mich an Dinge geklammert, die in der Situation völlig unsinnig erscheinen.
Mein Kind zu verlieren, und dann noch unter diesen Umständen, gehört definitiv zu den Dingen, die ich mir nicht einmal ansatzweise vorstellen möchte. Aber ich weiss, dass ich in einem solchen Moment nicht allein sein sollte. In meinen Gedanken spielen sich da weitaus schlimmere Dinge ab, als einem Anwalt etwas zu überlassen, was getan werden muss.
Ich habe auch das eine oder andere hinter mich gebracht, und habe wohl (je älter, je deutlicher) eher männlich-rational reagiert. Nicht ohne einen kräftigen Schuß tiefster Verzweiflung und Trauer. Und einmal, als es richtig schlimm hätte sein müssen, gab es einen völlig unerwarteten Trost-Anker.
Zwei Erlebnis-Welten. Zwei Ansichten. Beide nicht verkehrt. Beide nicht richtig. Aber wichtig zu wissen, dass es unterschiedliche Wege gibt, mit Extremsituationen umzugehen.
Marion schrieb:
Ich denke, dieser Brief war ein wichtiger erster Schritt - Für die Angehörigen der Opfer, die betroffenen Schüler/Lehrer und auch die Eltern selber.
Das sehe ich nicht so. Er ist, wie oben geschrieben, zu unpersönlich. Es fehlt sogar eine Anrede. Und er wurde über die Presse veröffentlicht.
Ich habe über Deine Frage gestern noch mal nachgedacht. Was erwarte ich? Ich erwarte (oder besser: hoffe), dass irgendwann mal eine Nachricht durchsickert, dass die Eltern des Täters mit den Eltern der Opfer (oder eines einzelnen Opfers oder wie auch immer) Kontakt aufgenommen haben. Ich muss nicht wissen wie, ich muss nicht wissen wo, ich muss nicht wissen, mit welchem Inhalt und ich muss nicht wissen, mit welchem Ergebnis. Einfach ein "es gab da was", von mir aus auch "vor fünf Monaten" würde mir völlig reichen. Dann würde ich mir denken: "Gott sei Dank, sie sind auf dem richtigen Weg." Für sich und für die anderen Angehörigen.
Aber dieser Brief ist nicht in allererster Linie für die Opfer gedacht, sondern für die Öffentlichkeit. Und das stört mich. Wenn man hätte wollen, hätte es andere Wege gegeben. Bspw. einen Brief an die Leitung der Kriseninterventionsteams zu schicken mit der Bitte, ihn an die betroffenen Angehörigen weiterzuleiten und vertraulich zu behandeln. Etwas in der Art.
Vielleicht bin ich furchtbar ungerecht, aber ich werde das Unbehagen einfach nicht los.
Viele Grüße
Petra