Ich möchte das Thema "Schuld, Mitschuld, Verantwortung, fahrlässige Tötung" gerne noch mal aufgreifen.
Gegen Tims Vater wird ja nun wegen fahrlässiger Tötung ermittelt.
Es gibt einen anderen "öffentlichen" Fall, in dem jemand wegen fahrlässiger Tötung bereits rechtskräftig verurteilt worden ist: Der Thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus.
Sicher wäre es interessant und erkenntnisreich, das Verhalten der Medien in beiden Fällen zu vergleichen, und vielleicht ergibt sich das ja auch noch, aber im Moment geht es mir darum, wie Althaus mit dem Geschehenen umgeht, wie er mit seiner "Schuld" umgeht.
Es gab heute einen sehr interessanten "Presseclub" zu diesem Thema, (wer ihn verpasst hat, kann ihn sich morgen früh bei Phoenix anschauen, oder aller Wahrscheinlichkeit nach in den Mediatheken von ARD und Phoenix) der mir Infos geliefert hat, die ich noch nicht hatte (ich gehöre nicht zu den BLÖD-Lesern).
Kurz die Fakten:
- am 1.1.2009 gab es einen schweren Skiunfall, einen Zusammenstoß, bei dem eine Frau getötet und Althaus schwer verletzt wurde.
- Anfang März wurde Althaus in einem bemerkenswert kurzen Verfahren in Österreich der fahrlässigen Tötung für schuldig befunden. Strafe: 33.000 € Geldstrafe.
- Althaus erschien nicht vor Gericht, aus gesundheitlichen Gründen
- wenige Tage nach dem Gerichtsverfahren, an dem er aus gesundheitlichen Gründen nicht teilnehmen konnte, gab er der BLÖD-Zeitung ein (exklusives) Interview.
Soweit die Fakten, hoffentlich einigermaßen neutral wiedergegeben.
Ich frage mich, wie jemand so plötzlich gesunden kann, dass er zwar nicht (und das wäre schon alleine eine Respektsbezeugung gegenüber der Verstorbenen gewesen) am Gerichtsverfahren teilnehmen kann, aber kurz später ein Interview mit der BLÖD durchsteht.
Im Interview beantwortet Althaus die Frage, ob er sich schuldig fühle, folgendermaßen: "Ich glaube, Schuld ist nicht die richtige Kategorie, um ein solch tragisches Unglück zu bewerten. Ich fühle mich aber verantwortlich." (bei der BLÖD nachzulesen, die ich grundsätzlich nicht verlinke, aber auch bei
)
Hallo??!! Wenn ICH für den Tod eines Menschen verantwortlich wäre, ich würde meines Lebens nicht mehr froh! Und damit meine ich nicht die finanzielle Wiedergutmachung. Und im Falle Althaus gibt es deutliche Indizien (Gutachten; Zeugen gab es ja nicht), dass Althaus sich auf der Piste direkt vor dem Unfall nicht gerade vorbildlich verhalten hat
Mein Daddy hat vor vielen, vielen Jahren aus Unachtsamkeit (= juristisch: Fahrlässigkeit) einen Mofa-Fahrer angefahren. Der Junge wurde verletzt, glücklicherweise nicht so schwer, dass er dauerhafte Beeinträchtigungen davongetragen hat. Mein Daddy war völlig durch den Wind, hat sich Vorwürfe gemacht, den Jungen im Krankenhaus besucht, mich um Rat gefragt (wir waren ungefähr im selben Alter), mit welchem Geschenk er ihm eine Freude machen könnte. Taktische Überlegungen gab es vielleicht (weiss ich nicht, wäre aber möglich; mein Daddy war schon immer eine Mischung aus Emotionalität und Rationalität), aber die Betroffenheit und das Schuldgefühl standen eindeutig im Vordergrund. Ich weiss nicht, wie mein Daddy es verkraftet hätte, wenn der Junge schwerer verletzt oder gar getötet worden wäre.
Und was passiert hier?
Ein Mensch, der für den Tod eines Anderen verantwortlich ist (und von einem Gericht eindeutig für SCHULDIG befunden wurde), lehnt den Begriff "Schuld" für sich ab. Statt dessen appelliert er an das Mitgefühl (wofür?) seiner Landsleute - und bekommt es auch. In dem genannen Interview kein einziges, entschuldigendes Wort an die Angehörigen, das einzige zu diesem Thema: "Natürlich war ich zutiefst traurig und entsetzt, dass infolge des Unfalls eine junge Frau starb. Deshalb war für mich von Anfang an klar: Ich stehe zu dem, was geschehen ist – auch jenseits aller Schuldfragen. Und unabhängig davon, dass ich keine Erinnerung daran habe." (Quelle: BILD). Das ist erbärmlich!
Stattdessen wird daran gearbeitet, den "Mitleids-Bonus" (für den ich nach wie vor keine Veranlassung sehe; nur eine Schonfrist für einen schwerverletzten Menschen scheint mir angemessen) für den anstehenden Wahlkampf - und damit die Weiterführung der eigenen Karriere - zu nutzen. Keine Einkehr, keine Erkenntnis, kein Reifungsprozeß. Damit schlägt er denselben Weg ein wie Schäuble. Mit dem Unterschied, dass Schäuble kein Täter, nur Opfer war. Aber ebenfalls eine einmalige Chance versäumt hat.
Ich hoffe, dass Tims Vater einen anderen, einen für - letztendlich - alle Beteiligten besseren Weg geht. Dieser Weg ist schwieriger, zumindest am Anfang. Aber am Ende winken innerer Frieden, Ausgleich, vielleicht unschätzbare Einsichten und Begegnungen.
Viele Grüße
Petra