Ausbildung von Behinderten-Führhunden
Der Weg hinter den Dünen in Rostock-Markgrafenheide. Eine junge Frau im Rollstuhl bewegt sich mühselig vorwärts, nur mit der Kraft ihrer Arme. Neben ihr trottet ein großer Golden-Retriever. Plötzlich greift die Frau in ihre Jackentasche und zieht einen Zehn-Mark-Schein heraus. Sie lässt ihn fallen. „Heb' ihn auf!“, befiehlt sie dem Hund. Der nimmt den Geldschein vorsichtig zwischen die Zähne und bringt ihn der Besitzerin zurück.
Die junge Frau tätschelt den großen Hund und erhebt sich lachend. Gott sei Dank: Sie ist nicht wirklich behindert. Ihr Name ist Melanie Lischka, sie ist Biologin und leitet ein ehrgeiziges Projekt: Sie trainiert Begleithunde für Rollstuhlfahrer, und dazu schlüpft sie selbst in die Rolle einer Behinderten.
Einer ihrer „Versuchshunde“ ist Micha, der brave Golden-Retriever. Er hat schon eine Menge gelernt, kann die Wohnungsschlüssel apportieren und sogar die Waschmaschine leeren. Noch drei weitere Hunde werden von der Biologin ausgebildet: Es sind noch zwei Golden Retriever und ein Labrador. „Diese Rassen eignen sich besonders gut dafür“, weiß die Hunde-Trainerin. „Sie sind bindungsfähig, stressstabil und zeigen kaum Aggressionen.“
Für Melanie Lischka ist ihr neuer Job, den sie seit zwei Wochen ausübt, ein echter Traumberuf. Ein wohlhabendes Verleger-Ehepaar aus Trier hat sie engagiert und das Projekt ins Leben gerufen. Es gründete die Kynos-Stiftung, über die das Projekt finanziert wird. Der Standort Markgrafenheide wurde nicht zuletzt deshalb ausgewählt, weil es hier das Behindertenhotel „Heidehof“ gibt. Erste Gäste des Hauses haben bereits ihr Interesse an einem Hund bekundet und üben auch mit den Tieren.
Melanie Lischka selbst stammt aus Schwerin. „Diese Form der Hundeausbildung ist in Deutschland einmalig“, sagt sie. Es sei zwar üblich, dass die Krankenkasse Blinden einen Blindenführhund bereitstelle, für motorisch Behinderte aber gebe es nur den Rollstuhl. „Für Menschen im Rolli ist es ein echtes Problem, wenn ihnen etwas herunterfällt“, erklärt Melanie Lischka. „Jedem fällt doch ständig was herunter – Geld, Schlüssel, Handschuh“, meint die Neu-Rostockerin. „Ein ausgebildeter Begleithund kann das alles aufheben.“ Um es zu beweisen setzt sie sich wieder in den Rollstuhl und lässt einen Kugelschreiber fallen. Den Micha fast herunterwürgt, sichtlich schwer fällt es ihm, das rutschige Ding quer ins Maul zu schieben. Aber er schafft es. „So ein Hund ist ideal für Behinderte, die alleine wohnen oder im Büro arbeiten“ erzählt die Trainerin. „Die Tiere können sogar Türen öffnen, Fahrstühle bedienen und Telefone apportieren.“
Um das zu lernen, steckt sie den Hunden unermüdlich Leckerbissen zu. Irgendwann reagieren sie dann automatisch auf den Befehl, weil sie den Reiz verinnerlicht haben. „Ich setze mich nicht mit Gewalt durch“, so die Hundeexpertin. „Mit Geduld kommt man am weitesten.“
Melanie Lischka rollt zum Behindertenhotel. Dort wird die nächste Übung absolviert: Melanie öffnet die Klappe einer Waschmaschine. Micha soll die Trommel leeren. Tatsächlich: Mit seinem Maul greift er vorsichtig ein Handtuch, zerrt es raus und hebt es hoch. „Prima gemacht“, lobt Trainerin Lischka und fährt ins Freie.
Vor ihr liegt ein 3000 Quadratmeter großes Gelände, auf das eine Zwinger- und Ausbildungsanlage gebaut wird. „Die Kynos-Stiftung hat dieses Land gepachtet“, erzählt Lischka. Hundefreunden ist der Kynos-Verlag, der mit der Stiftung zusammenhängt, bekannt als der größte im deutsprachigen Bereich, der sich in seinen Büchern nur mit dem Thema Hund beschäftigt.
Die Kynos-Stiftung hat das Problem erkannt: Etwa 200 000 bedürftigen Rollstuhlfahrern stehen nicht mal 100 einsatzfähige Tiere gegenüber. „Da wartet eine Menge Arbeit auf uns“, prophezeit Lischka. Die Ausbildung eines Begleithundes sei zeitaufwendig und koste etwa 30 000 Mark. „Wir hoffen, dass uns Sponsoren auf die Beine helfen.“ Fürs nächste Jahr sucht sie Familien, die einen Welpen aufziehen wollen. Die Stiftung übernimmt anfallende Kosten, wie Tierarztbesuche, Versicherung, Steuer und Futter. Außerdem sind Züchter gefragt, die Welpen kostenlos abgeben.
Nach 18 Monaten sind die Welpen familientauglich. In diesem Augenblick holt Melanie Lischka die jungen Hunde zu sich nach Markgrafenheide. „Der Abschied von der Familie ist oft schmerzhaft“, gesteht sie.
Es folgen vier Monate Grundausbildung. „Dann treffen Behinderter und Hund erstmals aufeinander und ich schauen, ob sich beide riechen können“, erzählt die Trainerin. „Wenn es läuft, überlegen wir, was der Behinderte vom Hund erwartet – Ziehen am Notrufseil oder auf welcher Seite vom Rollstuhl er laufen soll.“ Ist das Spezialtraining gelaufen, machen sich die Behinderten selbst für zwei Wochen auf zum Badestrand von Markgrafenheide, um den Umgang mit ihren Hunden zu lernen. „Die Behinderten auszubilden ist fast genauso anstrengend. Immerhin muss ich sie zu Trainern machen.“
Alleine schafft die Biologin das nicht. Spätestens nächstes Frühjahr braucht sie Mitarbeiter. In Zukunft sollen 20 Hunde im Jahr ausgebildet werden. Kostenlos werden die Angereisten ihren Hund jedoch nicht mitnehmen können. Der voraussichtliche Abgabepreis liegt derzeit bei 5000 Mark. Den Preis drücken könnte noch ein Förderverein, den Lischka ebenfalls mit aufbauen möchte.
Was sie freut: „Die Engländer streben eine internationale Zusammenarbeit an. Schon bald wollen uns Behinderte aus England besuchen kommen“, sagt sie und fährt noch ein Stückchen im Rollstuhl. Als sie ihren rechten Arm ausstreckt, schnappt Micha zu. Er verlagert sein Gewicht auf die Hinterbeine und zieht mit nickenden Kopfbewegungen am Ärmel. „Keine Panik “, sagt die junge Frau gelassen. „Er hilft mir nur, aus der Jacke.“
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dogsaver.de
Der Weg hinter den Dünen in Rostock-Markgrafenheide. Eine junge Frau im Rollstuhl bewegt sich mühselig vorwärts, nur mit der Kraft ihrer Arme. Neben ihr trottet ein großer Golden-Retriever. Plötzlich greift die Frau in ihre Jackentasche und zieht einen Zehn-Mark-Schein heraus. Sie lässt ihn fallen. „Heb' ihn auf!“, befiehlt sie dem Hund. Der nimmt den Geldschein vorsichtig zwischen die Zähne und bringt ihn der Besitzerin zurück.
Die junge Frau tätschelt den großen Hund und erhebt sich lachend. Gott sei Dank: Sie ist nicht wirklich behindert. Ihr Name ist Melanie Lischka, sie ist Biologin und leitet ein ehrgeiziges Projekt: Sie trainiert Begleithunde für Rollstuhlfahrer, und dazu schlüpft sie selbst in die Rolle einer Behinderten.
Einer ihrer „Versuchshunde“ ist Micha, der brave Golden-Retriever. Er hat schon eine Menge gelernt, kann die Wohnungsschlüssel apportieren und sogar die Waschmaschine leeren. Noch drei weitere Hunde werden von der Biologin ausgebildet: Es sind noch zwei Golden Retriever und ein Labrador. „Diese Rassen eignen sich besonders gut dafür“, weiß die Hunde-Trainerin. „Sie sind bindungsfähig, stressstabil und zeigen kaum Aggressionen.“
Für Melanie Lischka ist ihr neuer Job, den sie seit zwei Wochen ausübt, ein echter Traumberuf. Ein wohlhabendes Verleger-Ehepaar aus Trier hat sie engagiert und das Projekt ins Leben gerufen. Es gründete die Kynos-Stiftung, über die das Projekt finanziert wird. Der Standort Markgrafenheide wurde nicht zuletzt deshalb ausgewählt, weil es hier das Behindertenhotel „Heidehof“ gibt. Erste Gäste des Hauses haben bereits ihr Interesse an einem Hund bekundet und üben auch mit den Tieren.
Melanie Lischka selbst stammt aus Schwerin. „Diese Form der Hundeausbildung ist in Deutschland einmalig“, sagt sie. Es sei zwar üblich, dass die Krankenkasse Blinden einen Blindenführhund bereitstelle, für motorisch Behinderte aber gebe es nur den Rollstuhl. „Für Menschen im Rolli ist es ein echtes Problem, wenn ihnen etwas herunterfällt“, erklärt Melanie Lischka. „Jedem fällt doch ständig was herunter – Geld, Schlüssel, Handschuh“, meint die Neu-Rostockerin. „Ein ausgebildeter Begleithund kann das alles aufheben.“ Um es zu beweisen setzt sie sich wieder in den Rollstuhl und lässt einen Kugelschreiber fallen. Den Micha fast herunterwürgt, sichtlich schwer fällt es ihm, das rutschige Ding quer ins Maul zu schieben. Aber er schafft es. „So ein Hund ist ideal für Behinderte, die alleine wohnen oder im Büro arbeiten“ erzählt die Trainerin. „Die Tiere können sogar Türen öffnen, Fahrstühle bedienen und Telefone apportieren.“
Um das zu lernen, steckt sie den Hunden unermüdlich Leckerbissen zu. Irgendwann reagieren sie dann automatisch auf den Befehl, weil sie den Reiz verinnerlicht haben. „Ich setze mich nicht mit Gewalt durch“, so die Hundeexpertin. „Mit Geduld kommt man am weitesten.“
Melanie Lischka rollt zum Behindertenhotel. Dort wird die nächste Übung absolviert: Melanie öffnet die Klappe einer Waschmaschine. Micha soll die Trommel leeren. Tatsächlich: Mit seinem Maul greift er vorsichtig ein Handtuch, zerrt es raus und hebt es hoch. „Prima gemacht“, lobt Trainerin Lischka und fährt ins Freie.
Vor ihr liegt ein 3000 Quadratmeter großes Gelände, auf das eine Zwinger- und Ausbildungsanlage gebaut wird. „Die Kynos-Stiftung hat dieses Land gepachtet“, erzählt Lischka. Hundefreunden ist der Kynos-Verlag, der mit der Stiftung zusammenhängt, bekannt als der größte im deutsprachigen Bereich, der sich in seinen Büchern nur mit dem Thema Hund beschäftigt.
Die Kynos-Stiftung hat das Problem erkannt: Etwa 200 000 bedürftigen Rollstuhlfahrern stehen nicht mal 100 einsatzfähige Tiere gegenüber. „Da wartet eine Menge Arbeit auf uns“, prophezeit Lischka. Die Ausbildung eines Begleithundes sei zeitaufwendig und koste etwa 30 000 Mark. „Wir hoffen, dass uns Sponsoren auf die Beine helfen.“ Fürs nächste Jahr sucht sie Familien, die einen Welpen aufziehen wollen. Die Stiftung übernimmt anfallende Kosten, wie Tierarztbesuche, Versicherung, Steuer und Futter. Außerdem sind Züchter gefragt, die Welpen kostenlos abgeben.
Nach 18 Monaten sind die Welpen familientauglich. In diesem Augenblick holt Melanie Lischka die jungen Hunde zu sich nach Markgrafenheide. „Der Abschied von der Familie ist oft schmerzhaft“, gesteht sie.
Es folgen vier Monate Grundausbildung. „Dann treffen Behinderter und Hund erstmals aufeinander und ich schauen, ob sich beide riechen können“, erzählt die Trainerin. „Wenn es läuft, überlegen wir, was der Behinderte vom Hund erwartet – Ziehen am Notrufseil oder auf welcher Seite vom Rollstuhl er laufen soll.“ Ist das Spezialtraining gelaufen, machen sich die Behinderten selbst für zwei Wochen auf zum Badestrand von Markgrafenheide, um den Umgang mit ihren Hunden zu lernen. „Die Behinderten auszubilden ist fast genauso anstrengend. Immerhin muss ich sie zu Trainern machen.“
Alleine schafft die Biologin das nicht. Spätestens nächstes Frühjahr braucht sie Mitarbeiter. In Zukunft sollen 20 Hunde im Jahr ausgebildet werden. Kostenlos werden die Angereisten ihren Hund jedoch nicht mitnehmen können. Der voraussichtliche Abgabepreis liegt derzeit bei 5000 Mark. Den Preis drücken könnte noch ein Förderverein, den Lischka ebenfalls mit aufbauen möchte.
Was sie freut: „Die Engländer streben eine internationale Zusammenarbeit an. Schon bald wollen uns Behinderte aus England besuchen kommen“, sagt sie und fährt noch ein Stückchen im Rollstuhl. Als sie ihren rechten Arm ausstreckt, schnappt Micha zu. Er verlagert sein Gewicht auf die Hinterbeine und zieht mit nickenden Kopfbewegungen am Ärmel. „Keine Panik “, sagt die junge Frau gelassen. „Er hilft mir nur, aus der Jacke.“
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