@Paulemaus
Wir hatten das mal in der Weiterbildung, bei der Kalkulation von Kosten und Budgets.
Da ging es darum, dass reiche Leute die Durchschnittseinkommen und die durchschnittlichen Kosten für Dinge des täglichen Bedarfs grundsätzlich überschätzen und die Kosten für Arbeitsstunden (die nicht ihrem Berufsfeld entsprechen) regelmäßig noch stärker unterschätzen als "normale Leute".
Während Leute frisch von der Uni
alle Kosten regelmäßig unterschätzen.
Also, es ist anscheinend schon so, dass sich die Wahrnehmung je nach Umfeld unmerklich (also nicht von heute auf morgen, sondern nach und nach) verschiebt.
Ich bin sicher, dass es die Wahrnehmung verschiebt, wenn man reich ist. Allerdings erlebe ich bei meinen AGs zum Teil eine merkwürdige Verschiebung. Ich komme sehr gut mit ihnen klar und liebe die Arbeit mit den Kids. Aber manchmal haut es mich doch ein bisschen aus den Socken:
Die Mutter arbeitet in einem großen Konzern und da gibt es auch ein Second-Hand-Tool für die Angestellten. Sie verkauft da regelmäßig nicht mehr benötigte Sachen, zum Beispiel den Rasenmäher, weil ein Roboter jetzt die Arbeit macht anstatt eine Hilfskraft, den "alten" Kaffeevollautomaten und auch die Kinderkleidung, aus der die Kids rausgewachsen sind. Letztere würde ich z.B. in einem Second Hand Laden abgeben, vor allem, wenn ich so ein Einkommen hätte. Oder spenden. Oder der Raumpflegerin mitgeben, die Kids hat und eine grosse Familie drumherum - Verwendung gäbe es da genug.
Auf der anderen Seite landen jeden Monat locker Lebensmittel für 400 Euro im Abfall. Das tut mir immer richtig weh, wenn ich in den Biomüll-Abfall schaue.
Als ich klein war, waren wir arm. Also so richtig. Meine nicht gegessenen, angebissenen Brote hat mein Vater dann abends gegessen. Wobei er noch als Kind richtig gehungert hat, uns ging es also schon einen Tacken besser. Ich hatte immerhin Schulbrote. Nie wären Lebensmittel im Müll gelandet. Das habe ich fast 1:1 übernommen, aber wir haben letztlich auch noch die Hunde, für die dann mal was abfällt.
Meine AG sind sehr lieb zu mir und behandeln mich nicht wie eine Angestellte. Aber wir würden auch nie Freunde werden. Ich mag sie, auch wenn ich manchmal innerlich den Kopf schüttele. Auch, was den sehr strengen Umgang mit den Kindern betrifft. Aber das liegt nicht nur daran, dass sie sich so in ihre Karrieren hängen und das an erster Stelle steht. Es liegt auch an der unterschiedlichen Sozialisierung. Der Vater durch das französische Erziehungs/Bildungssystem, die Mutter durch das englische mit Internat und Nannys.
Und ich komme dann mit meinen sehr deutschen und auch altmodischen Ideen.
Da ist wirklich alles durchgetaktet bis auf die Minute und wenn was Unplanmäßiges dazwischen kommt, wird es erst mal chaotisch.
Ich bin da so ein bisschen der Fels in der Brandung, bringe den gefallenen Nannysohn ins KH zur Untersuchung, kaufe schnell noch Arbeitshefte, die zu kaufen vergessen wurden, habe den Nachmittagsplan der Kids besser im Kopf als die Eltern und achte darauf, dass da, wo die Unterschriften der Eltern erforderlich sind, auch unterzeichnet wird. Alltagskorrespondenz mit den Lehrern mache ich selbstständig und maile ihnen nur schnell das Ergebnis. Möglichst knapp mit einem vorgesetzten : FYI
Ich fühle mich nicht unwohl, auch weil ich die Kinder so liebe, aber manchmal staune ich. Ich würde das Wohlergehen meiner Kinder, wenn ich denn welche hätte, nicht so sehr aus der Hand geben. Aber es ist da eben normal. Ich kenne ja auch die größere Familie und es ist bei allen so.
Unwohl habe ich mich in einer vorherigen Stelle gefühlt, wo die Kulturen so richtig aufeinandergeprallt sind:
Meine damalige Arbeitgeberin ist eine von Haus aus reiche und sehr erfolgreiche Businessfrau mit einem Businessmann, der irgendwie immer weg war. Beim Vorstellungsgespräch durften das Mädel und der Sohn nicht dabei sein. (11 und 14). Als sie sie rausschickte, meinte ich noch, dass sie doch gerne dabei sein können, weil sie vielleicht auch Fragen an mich hätten. Tiefer hätte ich wohl nicht ins Fettnäpfchen treten können.
Ich fing da zwar an, hörte aber 3 Wochen später wieder auf, weil die Frau und ihre Kinder mich wie eine Bedienstete behandelten.
Der letzte Tropfen war, als die Mutter vergessen hatte, den Kindern den Haustürschlüssel mitzugeben. Dass sie mir keinen geben wollte, war für mich völlig okay. Ich stand dann aber mit den 2 Kindern vor dem Haus und kam nicht rein. Es war November, 18 Uhr und es regnete. Wir hatten 2 Stunden zu überbrücken und ich ging mit den Kindern ins Sushi-Restaurant. Ich wollte eigentlich in eine Pizzeria, aber die Kids wollten Sushi und bestellten eine Familienplatte und Nachtisch.
Ich aß mit. Vorher hatte ich die Mutter natürlich informiert. Die Rechnung betrug 70 Euro. Als ich ihr die Rechnung übergab, meinte ich Idiotin dazu, dass sie ein Drittel von meinem Lohn abziehen könnte, weil ich ja mitgegessen hatte. Sie tat es wirklich. Für mich war das eine höfliche Floskel und ich war felsenfest davon überzeugt, dass sie ablehnt.
Ich hätte mir das aber vorher denken können. Sie ist in Asien mit Personal aufgewachsen. In Asien sind die Verhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern oft anders als bei uns. Man fraternisiert nicht mit dem Personal.
Tja, die Familie davor ist deutsch und ich blieb immerhin 5 Monate, bevor ich hinschmiss. Da lag es an den übel verzogenen und erzogenen Kids. Hauaha, waren die gut drauf
Die Kleine (5) wollte eine Reiswaffel. Die zerbrach beim Rausnehmen. Die Kleine warf die Reiswaffel wütend auf den Boden. Sie isst keine zerbrochene und wollte eine Neue. Ich hob die 2 Stücke vom Boden auf (Boden pieksauber, die Raumpflegerin leistete gute Arbeit),pustete sie ab (und verteilte damit wohl mehr Viren als vom Boden) und meinte freundlich "diese oder keine".
Die Kleine schoß aus dem Zimmer. Drei Minuten später klingelte mein Handy "Ach, liebe Britt, mein Kind hat mich grade so verzweifelt angerufen. Es verhungert", gesprochen mit zuckersüßer Stimme. "Geben Sie ihm doch bitte eine heile Reiswaffel und grüßen Sie die Kinder" (Wir hatten uns auf das "hanseatische Du" geeinigt)
Dass ich nun schon 2 Jahre bei der Familie bin, zeigt ganz deutlich, dass es richtig gut läuft, von beiden Seiten. Ich kann mir nicht vorstellen, bei einer anderen Familie zu arbeiten und will das solange machen, solange die Kids eine Nanny brauchen. Was wohl noch Jahre sein werden. Sie sind jetzt 8 und 6.
Natürlich versuche ich, auch einen anderen Teil des Lebens zu vermitteln.
Menschen, denen es schlechter geht, Tiere, Schönheiten in der Natur. Kann ja nicht schaden
Da hatten mein Nannysohn und ich vor ein paar Tagen eine nettes Gespräch:
Wir kamen darauf, was er machen würde, wenn er erwachsen ist und arbeitet. Er meinte, er kauft ein Haus und dann hat er Kinder und er kauft sich ein großes Auto und ich würde für seine Kinder sorgen.
Ich bin ja echt froh, dass ich nicht mehr im Team arbeiten muss. Ich fand das in meiner vollberuflichen Zeit immer schwierig. Vor allem endlose Diskussionen im Teamgespräch, z.B. ob die Bewohner neben Tee auch noch stilles Mineralwasser zum Abendessen haben könnten.
Man hätte es in 10 Minuten abhaken können, aber das passierte nie.
Aber mir fehlt tatsächlich manchmal ein bisschen der Austausch.
Aber ich denke, das ist immer so. Es ist nie ganz perfekt, aber so schon ganz in Ordnung