So, nun bin ich wieder da.
Das "Insiderwissen" gehört wirklich zu Recht in Anführungszeichen, aber immerhin weiß ich ein wenig (wörtlich zu nehmen) darüber, wie (Tages-)Zeitungen ihre Seiten füllen und ihre Themen finden.
Vorab: Eine "allgemeine Grundtendenz" in der Auswahl oder dem Blickwinkel der Nachrichten je nach Einstellung der Redaktion und der Zielgruppe der Nachrichten gibt es natürlich. Einflussnahme auf die Inhalte zB durch Politiker oder Anzeigenkunden wird auch, denke ich, regelmäßig versucht - mal erfolgreich, mal nicht so.
Aber im Großen und Ganzen läuft es hierzulande im Vergleich zu anderen Ländern sehr gemmäßigt ab - es gibt durchaus Blätter, die zB Hofberichterstattung für bestimmte Politiker betreiben - aber es gibt immer auch mindestens ne Handvoll andere, die das nicht tun. Und alle erscheinen sie und finden ihr Publikum.
Etwas schwieriger ist es bei den Inhalten selbst.
Internationale Nachrichten werden oft von Nachrichtenagenturen "zugekauft", einfach weil sich einzelne Zeitungen keine eigenes weltumspannendes Korrespondentennetz leisten können. Manche Zeitungen teilen sich auch einen Korrespondentenpool (zumindest gab es das mal, hab aber vergessen, bei welchen Zeitungen) und über die Verlage gehören mittlerweile ja auch viele Blätter mehr oder weniger großen Verbünden an und teilen sich dann die internationalen Nachrichten. Und einzelne Korrespondenten arbeiten aber durchaus auch für mehrere Agenturen.
Allein dadurch wird die Auswahl an zugänglichem Material schon eingeschränkt.
Dann ist es so: Jede Redaktion bekommt jeden Tag eine Mappe mit aktuellen Meldungen auf den Tisch und muss entscheiden, was davon auf den kostbaren, knappen Seiten gedruckt ist, was also geeignet ist, die Leser so zu fesseln, dass sie dieselbe Zeitung morgen wieder kaufen, weil sie sich brandaktuell über die wirklich wichtigen (also, die gefühlt wichtigen) Sachen informiert fühlen.
Ein Kriterium bei der Auswahl ist immer auch (auch immer schon gewesen
"Was macht die Konkurrenz? - Bringen die das auch, HABEN sie es vielleicht schon gebracht, falls ja, was können wir anders machen, damit es bei uns noch besser ankommt?" usw usf.
Im Zeitalter der Online-Zeitschriften hat sich diese Situation insofern zugespitzt, als wir alle, die Online-Leser, es mittlerweile gewohnt sind, alles möglichst schnell zu unserer Verfügung zu haben. Die Zeitverzögerung, die sich nach einem Anschlag am späten Abend bis zur ersten Morgenausgabe der Zeitung ergibt, ist vielen schon zu lang. Spätestens seit 9-11 gibt es Liveticker zu jedem Event, und die müssen gefüllt werden, und auf den Online-Seiten der Zeitschriften muss schnellstmöglich etwas zum aktuellen Thema stehen. Sprich: zu DEM aktuellen Thema, das gerade ALLE interessiert. Wenn da nichts steht, kassiert die Konkurrenz die kostbaren Klicks der Informationswilligen, und tut das eventuell auch weiterhin.
Also - ist mein Eindruck, das ist jetzt kein wie auch immer geartetes Lernwissen - sitzen in den Onlineredaktionen dieser Welt fast rund um die Uhr Leute und belauern die Konkurrenz, um zu beobachten, was die grade so für aktuell hält. Und umgekehrt... und wenn sich dabei EIN Thema ergibt, überschlagen sich alle bei dem Versuch, das abzudecken, und
alles andere wird erstmal beiseite geräumt. Das gibt nämlich keine Klicks.
Ihr müsst mal drauf achten. Wenn irgendwas plötzlich hochkocht oder gehypet wird, und man möchte mehr darüber erfahren... dann findet man oft EINE Meldung, die der Auslöser war, wenn man Glück hat noch eine, die einen minimal anderen Blickwinkel einnimmt, und der Rest der Pressewelt hat dann munter bei Meldung No. 1 (oder einer der dann bereits zahlreich entstandenen Kopien) abgeschrieben. Teils ändert sich nichtmal der Wortlaut. Es muss ja alles schnell gehen, und umformulieren kostet kostbare ZEIT.
(Mir ist das zB bei diesem "Gaucho"-Lied der Nationalmannschaft ins Auge gefallen. Da gab es eine Ursprungsmeldung, und x andere haben da teilweise wörtlich abgeschrieben, nur um auf die Schnelle irgendwas dazu zu sagen.)
Und letztlich wird dann also immer nur über EIN Thema prominent berichtet, es ist in jeder Zeitung, kommt auf allen Kanälen, bindet Zeit und Ressourcen - und dann kommt was anderes aktuelles, und in dem Bemühen, das nur nicht zu verpassen, springen alle auf diesen Zug auf, und der Rest wird aus dem Scheinwerferlicht genommen und verschwindet wieder in der Versenkung.
Das meinte ich vorhin mit "selbstorganisierend" - der Versuch, auf keinen Fall DAS Thema der Stunde zu verpassen, führt dazu, dass weite Teile der Tagespresse eben auch nur noch DARÜBER berichten - das lenkt keiner, es
ergibt sich.
Und ich glaube, dass es durch die Schnelligkeit der Neuen Medien (also Online-Ausgabe von Zeitungen, Soziale Netzwerke, Youtube, keine Ahnung was noch alles) und dadurch, dass ja sehr viele Leute übers Smartphone ständig Zugang zu den Nachrichten haben tatsächlich so ist, dass diese "Selbstorganisation" mittlerweile durch das höhere Veröffentlichungstempo und die höheren Ansprüche der Leser an die Berichterstattung ("in Echtzeit", also am liebsten schon eine Analyse des Ganzen, während das Ereignis stattfindet) dauz geführt hat, dass es eben wirklich, statt einer schmalen, aber immer noch vielfältigen Auswahl, nur noch EIN Thema "auf die Titelseiten" schafft und als DAS Thema wahrgenommen wird.
Und sowie das nächste kommt, verschwindet es und lässt uns Nebenbei-Leser atemlos und etwas verdattert zurück.
Hoffe, das war jetzt nicht wieder zu verschwafelt und es ist etwas klarer, was ich meine.