Bremer Nachrichten:
US-Sahnetortenkino: Zotig, albern, pubertär
In „American Pie – Jetzt wird geheiratet“ eskaliert einmal mehr der maßlose Toilettenhumor
Von unserem Mitarbeiter
Jens Fischer
Ihm rutscht zum Hochzeitsantrag die Hose herunter, weil er gerade unterm Restauranttisch von der Gattin in spe oral befriedigt wurde.
Schnitt.
Die Kamera zoomt auf die nun frei gelegten Boxershorts und lässt ein deutlich erigiertes Glied darunter erahnen. Ein unhörbarer Tusch erklingt schon nach dieser ersten Sequenz von ,,American Pie – Jetzt wird geheiratet': Achtung, das ist lustig, bitte jetzt hysterisch lachen.
Auf der ständigen Suche nach einem Stoff, der Kids während der Sommermonate in die Multiplexe locken könnte, hat Hollywood mit dieser Teenie-Comedy-Serie einem neuen Genre zum Durchbruch verholfen: das vor keiner Körperöffnung und -funktion mehr Halt machende Kino unbegrenzten Pubertierens. Je mehr Körpersäfte fließen, je derber die Gags werden, je maßloser der Toilettenhumor eskaliert, desto erfolgreicher der Film.
Einerseits wird dabei mit der verklemmten S.exualität in der US-Gesellschaft gespielt, andererseits der Spaßwille mit Unappetitlichkeiten befriedigt. Hierfür zuständig ist im dritten ,,Pie' wieder der hübsch sportive Psychopath Stifler (Seann William Scott).
Als Trauzeuge für Jim (Jason Biggs) soll er den Ehering bis zur feierlichen Zeremonie aufbewahren. Aber es kommt, wie es in der infantilen Ästhetik gezielter Geschmacklosigkeiten kommen muss: Der Ring wird von einem Hund verspeist. An dessem Hinterteil muss Stifler nun herumkitzeln und aufs große Abführ-Geschäft warten. Schnell klaubt er das Hundehäufchen auf und beteuert gegenüber der Hochzeitsgesellschaft, Schokotrüffel in der Hand zu halten. Bald darauf ist sein Verstand vollends ruiniert, weshalb er statt einer potenziellen Freundin die Großmutter von Jim vergewaltigt.
Ging’s in der ersten ,,American-Pie“-Folge noch um ersten S.ex mit heißem Apfelkuchen, versuchte die ,,Pie'-Highschool-Clique im zweiten Teil durch amouröse Exzesse ihre Unschuld zurückzugewinnen. In Teil 3 wird jetzt als Finale der Trilogie die letzte Party der Jugend gefeiert – also die Hochzeit. Und die ist nun mal die ödeste, weil gezierteste, ritualisierteste Party, bei der sich auch die S.exgierigsten Draufgänger als ,,natürlich perfekt normal' erkennen müssen: Für ,,Jetzt wird geheiratet' muss die forsche Lust an drastischer Regression dem Erwachsenwerden geopfert werden.
Drehbuchautor Adam Herz verhökert noch schnell die letzten Zoten und Albereien. Während in Zuckerguss-Farben das einst mitverantwortete Schmuddelkino-Genre begraben – und samt älter und langweiliger gewordenem Personal in die romantische Hochzeitskomödie überführt wird. ,,American Pie' nun als Sahnetortenkino.
Berliner Morgenpost:
Schluss mit schlüpfrig
Normalität als allerletzter Skandal: "American Pie - Jetzt wird geheiratet"
Von Josef Engels
Sie schockten uns mit Ergüssen sämtlicher Körperflüssigkeiten, Apfelstrudelbesteigungen und ähnlichen Ferkeleien: Jetzt wird ganz brav in Weiß geheiratet
Foto: Verleih
Zum Schluss tanzt der Perverse mit der Nymphomanin den Hochzeitswalzer. Und da geschieht das Wunder. Keine Körperflüssigkeit ergießt sich über das Paar, kein Hund schubbert am Bein des Bräutigams, keine weibliche Brust ist im Hintergrund zu sehen. "Wir sind beide völlig normal", flüstert der frisch gebackene Gatte seiner Braut zu. Er bringt damit etwas Trauriges zum Ausdruck: das Ende der Jugend, der Flausen und derben Scherze.
"American Pie", die große Trilogie über das ekelhafte Verhalten gerade geschlechtsreif gewordener US-Amerikaner, ist somit gegessen. Was soll noch kommen? "American Pie IV - der Mutterkuchen"? "American Pie V - Scheide(n) tut weh"? Oder gar Teil VI: "American Haferschleim - je oller, desto doller"? Nein, es gilt jetzt, endgültig Abschied zu nehmen. Das gagfreie Finale von "American Pie - Jetzt wird geheiratet" markiert den Übergang zum Ernst des Lebens. Der besteht meist aus Bausparverträgen, Haarausfall und Steuererklärungen. Kein Mensch, nicht mal der zotige Autor Adam Herz, wird daraus eine spritzige Komödie machen können. Andere Teenie-Filmchen mögen nun folgen. "American Pie" aber ist endlich als Quellenmaterial für die Untersuchung des westlichen Humorverständnisses zur Jahrtausendwende freigegeben.
Die Reihe hat Standards gesetzt, die schwer zu überbieten sind. Die Entgrenzung von Gewalt, S.ex und Frust, die die libertinen neunziger Jahre im Film auf die Spitze trieben, fand in "American Pie" ihre konsequente Umsetzung für die pubertäre Zielgruppe. Mit P.orno und Splatter konnte man sie nicht mehr schocken oder zum Lachen bringen. Wohl aber mit einem Tabubruch anderer Art: dem unerschrockenen Einsatz von Substanzen aus dem Geschlechts-, Darm- und Harn-Trakt. Top Sekrete! In Teil eins gibt's Samen im Bier, in Teil zwei Urin in der Champagnerdusche, in Teil drei Hundekot in der Pralinenverpackung. Das alles muss verdaut werden. Und garantiert, dass kein Erziehungsberechtigter mit ins Kino will. Obwohl die Eltern ja mittlerweile für alles Verständnis haben. Auch das ist eine der genrespezifischen Neuerungen, die "American Pie" der Pubertätskomödie gebracht hat. Der Vater der linkischen Hauptfigur ist kein böser Patriarch, sondern schonungsloser Aufklärer aus dem Geist der Hippie-Zeit. Man kann mit ihm über alles reden. Nur will man das gar nicht. Seine offenherzigen Tipps zu Onanie, Schamhaarrasur und Rammelei verstören mehr, als dass sie helfen. Denn die Jugend ist in ihrem schweinischen Herzen eigentlich ganz konservativ.
Davon handelt nun die dritte Folge. Michelle, die unauffällig nymphomane Sommer-Camp-******** aus den ersten beiden Teilen, träumt von einer perfekten Hochzeit. Jim, der berühmte perverse Apfelstrudel-Besteiger, will ihr ein vollkommener Ehemann sein. Das ist bemerkenswert. Aber nichts gegen die Wandlung, die Stifler, die größte Sau der Serie, hier durchmacht: Er freundet sich mit Homosexuellen an. Er verliebt sich aufrichtig in ein Mädchen. Er rettet die Hochzeit. Auch wenn der Weg dorthin über die Großmutter und einen Hundehaufen führt - Stifler wird irgendwie erwachsen. Und mit ihm die Film-Reihe. Es gibt jetzt sogar Szenen, die man problemlos in hiesigen Boulevard-Theatern vor blauhaarigen Damen aufführen könnte. Natürlich ist "American Pie", der Dritte, dabei trotzdem immer noch sehr lustig und sehr albern. Sein Ziel jedoch lautet: Normalität. Es ist der allerletzte Skandal eines bald vergessenen Kapitels der Jugendkultur.