auf den Punkt gebracht
"
"
Anne Spiegel ist zurückgetreten. Als Bundesfamilienministerin nunmehr also Geschichte. Nicht etwa, weil sie in diesem Amt politische Fehler beging, sondern weil sie ihre eigene Geschichte während der Flutkatastrophe u.a. im Ahrtal und das eigene Verhalten danach einholten.
Langer Urlaub mit der Familie, eine (irgendwie veröffentlichte) sms, die auf den ersten Blick das eigene Renommee sichern helfen sollte, eine Unwahrheit zu ihrer Teilnahme an Kabinettsitzungen und das alles, wo sie doch -so zumindest die allgemeine Erwartung- als zuständige und mit Verantwortung versehene Landesumweltministerin an der Spitze des Krisenmanagements hätte sichtbar sein müssen.
Nun, lange Zeit danach, eine Entschuldigung mit viel Emotionalität. Auch mit verständlich aufgeführten Argumenten, warum dieser Urlaub für die Familie wichtig war. Hat nicht gereicht, der Druck wurde zu groß. Wobei ich persönlich finde, dass der Hauptgrund des wachsenden Drucks im Umgang mit ihren Fehlern durch Frau Spiegel selbst entstand. Es gab überhaupt keinen Grund, die Teilnahme an Kabinettsitzungen zu erfinden, was hat sie dazu veranlasst? Vor allem heutzutage, wo man doch recht sicher davon ausgehen kann, dass so etwas nicht verborgen bleiben wird. Es wäre auch durchaus möglich gewesen, zum damaligen Zeitpunkt die Auszeit mit der schwierigen Lage der Familie, kommend aus Corona und Erkrankung des Mannes zu begründen und dabei klarzustellen, wie trotzdem im Ministerium das Krisenmanagement organisiert ist, selbst wenn sie nur telefonisch dabei wäre. Beispiele, dass das in unserer Gesellschaft gehen kann, haben wir z.B. an Manuele Schwesig oder aber auch an Frank-Walter Steinmeier gesehen. Auch eine Unterbrechung zwischendurch, um vor Ort Gesicht zu zeigen, wäre vermutlich organisierbar gewesen. Klar, das sind Konjunktive, aber sind die völlig weltfremd?
Der letzte Versuch, das alles mit einer Entschuldigung aus der Welt zu räumen, war sicher beeindruckend und durchaus auch mutig. So richtig gewöhnt ist es die Öffentlichkeit nämlich nicht, dass eine Bundesministerin mit einer solchen Emotionalität, mit Einblicken in die familiäre Situation usw. vor die Kameras tritt und versucht, eine Entschuldigung zu erlangen. Es wäre jedoch nicht nötig gewesen, wäre das Verhalten vorher weitsichtiger und ehrlicher erfolgt. Abgesehen davon fand ich es mehr als befremdlich, dass die Opfer und Geschädigten der Flutkatastrophe in ihren Darstellungen kein einziges Wort der Anteilnahme geschenkt bekamen. Das erzeugte das Gefühl, dass das eigene familiäre Schicksal im Vergleich überhöht wurde. Geschickt geht anders. Souverän auch. Wie gesagt, meine Meinung.
Die öffentlichen Debatten danach sind jetzt höchst vielfältig. Mich interessiert dabei am meisten, ob „wir“ Frauen uns an der ein oder anderen Stelle nicht trauen, „nein“ zu sagen (z.B. selbst in einer völligen Ausnahmesituation zwei Ämter zu übernehmen), weil man danach dann nicht mehr gefragt werden würde? Stärker diskutiert werden aktuell z.B. Gleichberechtigungsfragen. Also die, ob im Vergleich zu der neuen „Spiegel-Affäre“ nicht andere viel eher hätten zurücktreten müssen, die aber heute noch in Amt und Würden sind. In der Regel Männer. Oder eben auch, dass „Frau an sich“gegenüber „dem Mann“ benachteiligt wird, wenn es um den öffentlichen Umgang mit Fehlern von Spitzenpolitiker*innen geht. Zumindest treten Frauen gefühlt eher zurück. Oder (s. auch Ergebnis der zugehörigen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey), die weit verbreitete Einschätzung, dass sich Beruf und Familie bei Spitzenpolitiker*innen nicht gut vereinbaren lassen. Bedenklich, finde ich, denn eigentlich möchten wir doch in Parlament und Kabinett einen Querschnitt durch die Bevölkerung abgebildet sehen, damit alle Belange ihre Stimme erhalten. Und da finden wir es nahezu selbstverständlich, dass die Übernahme eines Amtes wahlweise nur an Kinderlose erfolgen kann oder nur dann, wenn das jeweilige Familienmodell alten Rollenvorstellungen folgt? Nach dem Motto, Frau soll Mann den „Rücken freihalten“?
Was also ist der Maßstab? Gibt es so etwas wie „Verfehlungskategorien“ für Personen in solchen Ämtern? Vielleicht sogar je nach Geschlecht unterschiedliche? Oder war der Versuch von Friedrich Merz, den „noch längeren“ Urlaub von Frau Spiegel im Vergleich zu dem der bis dato bereits zurückgetretenen NRW-Umweltministerin quasi als zwingenden Beweis für die Rücktrittsnotwendigkeit anzuführen, nicht irgendwie auch an den Haaren herbeigezogen? Die Geschichten der beiden sind in meinen Augen weder zu vergleichen, noch gleichzusetzen.
Oder hat sich bewahrheitet, was manche glaubten? Nämlich, dass es bei den Rücktrittsforderungen um die „gewollte“ Reduzierung von Frauen in Spitzenämtern geht und Ministerin Spiegel dafür unberechtigt als Opfer an den Pranger geführt wurde? Wohl kaum, denn erstens trägt Anne Spiegel wie gesagt für ihre Verfehlungen die alleinige Verantwortung und zweitens wurde nun mit Lisa Paus erneut eine Frau als Nachfolgerin im Bundesfamilienministerium eingesetzt. Das hat sich also in Luft aufgelöst. Wer die grüne Logik von Parität kennt, wußte das.
Was können wir daraus lernen?
Politiker*innen stehen unter dem Druck öffentlicher Erwartungen. Schon deshalb, weil sie (wieder-)gewählt werden wollen. Wollen wir also vermeiden, dass Amtsträger*innen der Versuchung erliegen, die Wahrheit zu beugen, braucht es vielleicht an manchen Stellen die Modernisierung dieser Erwartungen. Zum Beispiel bei der, dass Menschen, die eine hohe Verantwortung tragen, nur dann erfolgreich erscheinen, wenn sie ihr (Familien-)Leben vollständig für das Amt opfern und es quasi 24/7 unverletzbar, mit unerschütterlicher Kraft und vollständiger Aufopferung -koste es was es wolle- wahrnehmen.
Diese Erwartung führt zu Überforderung und zu der Tendenz, trotzdem dieses immer allmächtige Bild abzugeben. Das verführt dazu, ggf. die Wahrheit dann auch mal zu verbiegen, wenn ansonsten dieses Bild beschädigt würde. Vielleicht braucht es mehr Toleranz und Wohlwollen für die Menschen in solchen Spitzenfunktionen. Nicht, damit sie sich darauf ausruhen können, sondern zum Erhalt einer geeigneten Resilienz, damit wichtige Entscheidungen auf Basis guter auch persönlicher Stabilität und ohne Angst getroffen werden können. Und vielleicht auch eine andere Fehlertoleranz, denn auch in diesen Funktionen arbeiten Menschen wie wir, denen auch Fehler unterlaufen können. Es geht wie gesagt um den Umgang damit. Aber auch darum, dass Lügen(!) nicht hinnehmbar sind. Denn Ehrlichkeit und einen guten Charakter dürfen wir in jedem Fall von unseren Volksvertretern erwarten. Da ist wirklich (m)eine rote Linie.
dh