Der typische Rassehund Teil I

Joker1

15 Jahre Mitglied
Wer mich kennt, weiß, dass ich einen Charakter wie Stahl habe: Von meinem damaligen Plan, mir einen Hund anzuschaffen, konnten mich weder Wolfgang noch meine Eltern abbringen. Ich sah mich schon im Sessel sitzen, zu meinen Füßen das edle Tier, lang hingestreckt wie die Königin von Saba. Bedauerlich, dass ich keinen Kamin besitze! Große Hunde wirken besonders gut am Kaminfeuer. Aber das Rauchen mit Zigarettenspitze wollte ich mir angewöhnen. Diese spillrigen Zigaretten allein, passten nicht zu einem großen Hund. Ich wollte das geheimnisvolle Tier durch die Straßen führen, und die attraktivsten Männer würden mir bewundernd nachblicken ...

Eines Montags trudelte der Züchter, ein verwitterter Zeitgenosse namens Spaltzmann, mit einer großen Einkaufstasche an. Ich wunderte mich, dass er den Hund nicht bei sich hatte. „In ihrer Tasche läuft etwas aus, Chef!“ bemerkte ich, denn unser neuer Teppich hat 775,- DM gekostet.

Da stellte der Züchter die Tasche ab, und heraus schob sich der Kopf eines unwahrscheinlich dicken Lebewesens mit feuchter Nase. ‚Ein junges Nilpferd’, dachte ich.
„Das ist er – genau zehn Wochen alt!“, sprach Spaltzmann und setzte das dicke Tier auf den Teppich. Es schielte mich mit nassen Augen an.

„Das ist ja ein eingelaufenes Bullenkalb, ein verhunzter Elefant – fehlt nur noch der Rüssel!“, rief ich erschüttert. Das Bullenkalb schlackerte mit einer Art Bockwurst, die wohl sein Schwanz darstellen sollte. Dieses Schlackern nahm mich für das Tier ein.

„Sieht so ein junger Schäferhund aus?“, fragte ich staunend. „Er hat das klassische Aussehen eines kerngesunden Rasserüden“, sprach der abgebrühte Züchter und erzählte mir, der Hund hätte unter einem Holunderbaum das Licht der Welt erblickt. „Seine Mutter hat sich dort eine Höhle gegraben und die Jungen geworfen. Er ist der einzige Knabe in der Familie, sonst nur Weiber, nur Weiber.“

Sofort erschien mir der Hund in einem romantischen Licht. Ich dachte an „Wolfsblut“ von Jack London und drückte dem Züchter dankbar die hornhäutige Pranke, wobei 400,- DM den Besitzer wechselten.

Der Holunderbaumwolf taumelte indessen auf dicken Stempeln durch die Wohnung und schluchzte herzzerreißend. „Jetzt sucht er seine Mama und seine Schwestern“, erklärte Spaltzmann kaltblütig. „Das gibt sich. Junge Hunde sind vergesslich. Wie Menschen.“ Mir brach fast das Herz, und der Hund lief auf meinem Teppich aus. Spaltzmann unterrichtete mich och über Behandlungsmethoden, dann ließ er mich brutal im Stich.

Allein mit dem Hund, blickten wir einander in die aufgerissenen Augen und hatten Angst. Der Hund roch kräftig nach Fisch und nach Hühnerstall. Nach Holunderbaum roch er nicht.
„Du stinkst, mein Junge“, flüsterte ich. Das schluchzende Bullenkalb nickte und machte eine weitere Pfütze auf meinen Teppich.

Von nun an verbrachte ich einen Großteil meiner Freizeit mit der Beseitigung von Pfützen und der Herstellung von Hundemenüs. Täglich musste ich Unmengen von Fleisch durch den Wolf drehen, rohes Ei besorgen und Bernburger Wirkstoffkonzentrat und rohe Heringe und Buttermilch und saure Milch und Haferflocken und Reis mit Fleischbrühe. Und zarte Kalbsknochen. Und möglichst auch Grünes wegen der Vitamine. Ein Luxussäugling! Der Hund fraß alles.

Er wurde groß und knochig dabei und begann mich zu lieben. Ich ließ ihm von meiner Tante Elfriede einen Balg zum spielen anfertigen. „So was haben junge Hunde besonders gern!“ hatte mir der Züchter unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitgeteilt. Der Hund betrachtete den Balg voller Ekel. Angerührt hat er ihn nie. Meine Socken liebte er um so heftiger. In meinem ganzen Leben hatte ich nicht so ansehnliche Bollen in den Socken wie in jener Zeit, als der Hund im Stimmbruch war.

Fortsetzung folgt ...
 
In der ersten Zeit blickten mich die Nachbarn ziemlich giftig an, wenn ich den Hund im Gesträuch hinter dem Haus neben den Mülltonnen mal müssen lassen ließ, denn er pflügte dabei stets die Wiese um, und wir entdeckten nach und nach ein Stück deutscher Geschichte unter der Grasnarbe – versteinertes Kommissbrot, uralte Hosenträger, zerfranste Ochsenziemer, zerdrückte Uniformknöpfe, tausendjährige Knochen, verrostete Stahlhelme, verschimmelte Filzlatschen, Schnapsflaschen in allen Größen und antike Blumenpötte: Altdeutschland, wie es weint und lacht.

All das musste ich dem begabten Burschen unter großen Anstrengungen abjagen. ich wurde sehr schlank dabei. Die Bewohner der umliegenden Häuser sahen meinen Hetzjagden schadenfroh grinsend zu. Ich wurde zur Närrin der Umgebung.

Das änderte sich radikal, als der Hund die Zweizentnerbombe ausbuddelte. Von diesem Tag an, war er der Held unserer Straße. Unsere zuständige PI überreichte ihm einen Präsentkorb mit frischer Leber und Hundekuchen. Die Leber aßen wir, den Hundekuchen bekam der Hund. Jedenfalls wurde ich seit dem Bombenfund mit Achtung behandelt. Der Bombenkerl aber wuchs. Die Absicht ein reinrassiger Schäferhund zu werden hatte er vermutlich aufgegeben. Die Eltern waren nach Angaben des Züchters reinrassig gewesen. Nur über den Vater des Vaters breitete sich Dunkelheit aus. Sagte der Züchter. Ich besuchte ihn jede Woche mindestens einmal. Er hatte schon Handzittern davon.

Ich pfeife ja kräftig auf alles reinrassige bei einem Hunde, wenn er nur als Hund stimmt. Aber meiner bekam mit der Zeit eine Art Dauerwelle am ganzen Körper. Er sah merkwürdig verpfuscht aus, fast kitschig. Auch die Ohren ließ er hängen. Zum Ausgleich trug er den Schwanz konsequent aufrecht.

„Ein reinrassiger Schäferhund trägt so die Rute nicht!“, sprach mein hilfreicher Nachbar Württemberger. „Die müssen sie ihm mal brechen lassen!“ Ich erbleichte. Seitdem spreche ich kein Wort mehr mit diesem Rohling.

Abends miaute der Hund wochenlang vor unserer Schlafzimmertür. Wenn ich ihn schließlich völlig entnervt ins Zimmer ließ, wollte er mir vor Dankbarkeit das Gesicht ablecken. Es hat mich viele Ringkämpfe gekostet, ihm das abzugewöhnen. Schließlich hat man ja immer irgendwelche Kosmetika- oder Seifenreste im Gesicht, die dem Hund schaden können.

Auch die Heringe musste er sich aus dem Kopf schlagen. Ein Hund der dauernd nach Fisch riecht, ist vielleicht gesund und ein guter Fährtenhund, aber auf meinen Füßen bitte nicht! Nun frisst er keinen Hering mehr und darf wieder auf meinen Füßen schlafen. Morgens brauchen wir, der Hund und ich, stets zehn Minuten, um meine Füße zu wecken. Im Frühling fliegt er aber auf den Balkon zum schlafen, das wäre ja gelacht!

Ein einziges mal versuchte ich auch, den Hund zu erziehen. Nachbarin Annemarie Schallert, die sich auch recht schnell mit ihm abgefunden hatte, vielleicht weil der Hund nun langsam so dick wurde wie sie selbst, gab mir den weisen Ratschlag, den Hund mit Hilfe einer größeren Eisenkette auf die Gefahren der Straße hinzuweisen und ihn zum vorbildlichen Fußgänger zu erziehen.

„Wenn er sich wie ein Blödmann in den Verkehr stürzen will“, erklärte sie, „dann schmeißt du ihm die Kette vor den Riecher und brüllst Stopp. Sofort wird das Tier entsetzt vor der Kette zurückschrecken und sich das Stopp einprägen. Wenn du aber keine Kette schmeißt, dann musst du Geh sagen, und gleich trippelt das Vieh fröhlich über die Straße, weil es nichts scheppern hört. Das machst du jeden Tag zwanzigmal, und in einem Monat brauchst du die Kette nicht mehr, dann geht es mit Stopp und Geh.“

Ich weiß nicht woher Annemarie dieses perverse Rezept hatte, aber ich machte mich mit meinem Hund und einer ungeheuren Kuhkette, die mir Tante Elfriede aus Kleinmachnow besorgt hatte, zur Joseph-Meyer-Straße auf. Sofort versammelte sich eine Menge gaffender Passanten. „Wird hier gefilmt?“ fragte einer. „Nein hier dressiert eine Verrückte ihre Kuh!“ rief ein anderer. Wie man sieht, alles unhöfliche Menschen. ich ließ mich nicht provozieren.

Fortsetzung folgt ...

Erst wollte der Hund überhaupt nicht auf die Straße. Vor den vielen Autos, hatte er schon von jeher einen mächtigen Horror. Ich übrigens auch, denn die Joseph-Meyer-Straße rasen die Kameraden Kraftfahrer immer wie vom Affen gebissen hinunter.

Also schleuderte ich eine Leberwurst, wie ich sie aus Erziehungsgründen immer bei mir trage, in den Verkehrsfluss. Als das Tier nun auf die Wurst losstürzen wollte, warf ich die Kette, die furchtbar schepperte, vor seine Nase, hielt den Hund an der Leine fest und schrie Stopp!

Sofort stoppten sämtliche Kraftfahrzeuge, der Hund begann mächtig an der Leine zu zerren und versuchte die Fahrzeuge zu beißen. Er nahm wohl an, dass sie ihm die Leberwurst wegfressen wollten, und bei Leberwurst kann er zum Teufel werden.

Die Autofahrer fluchten und in der Ferne tauchte ein fröhlich galoppierender Streifenpolizist auf. Flugs verzog ich mich mit meinem Hund. Annemarie habe ich aber die Meinung gegeigt!

Meine Nachbarn lieben den Hund jetzt über alles. Nicht nur wegen des Bombenfunds, sondern weil er sie schweifknatternd begrüßt, weil er der schweigsamste Hund der Welt ist und keinen Wurstzipfel ausschlägt. Die Leute haben ja gern, wenn man sie gern hat. Er sitzt manchmal stundenlang schweigend vor der Haustür und lacht die Passanten an. Und wenn die Kinder auf der Wiese spielen – denn wir haben eine Wiese, auf der Kinder spielen dürfen! – dann kugelt er mit ihnen um die Wette durchs Gras. Um ehrlich zu sein: Er benimmt sich immer noch wie ein Hundesäugling, obwohl er mittlerweile groß wie ein Ochse geworden ist und uns die Haare vom Kopf frisst.

Annemarie Schallert sagt, dieser Hund wäre der verzogenste, dämlichste Hund, der ihr jemals begegnet wäre, trüge aber das große, gütige Herz eines von Annemarie verehrten Kohlenträgers namens Paul Kulicke in der Brust. Und wenn ich der verrückten Annemarie auch selten recht geben kann – in diesem Falle stimme ich ihr ohne Einschränkung zu.

Ende
 
... ich liebe es! :D :D :D

Gruss Tanja
 
nachdem meine ersten beiden Antworten

"Ich liebe es"
und
"Und nun ein Bild"

schon wech sind, kann ich dich nur bitten, dass in einem Magazin zu veröffentlich - es ist einfach zu schön ... und nu das Foto, bitte

LG Dirk
 
Also ihr vier...., jetzt verwöhne ich euch schon mit einer zuckersüßen "Gute Nacht Geschichte"
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und ihr wollt noch das Foto.....
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Dann bekommt ihr euch ja gar nicht mehr wieder ein... Freu mich, wenn ich dem einen oder anderen ein Lächeln ins Gesicht zaubern konnte oder gar ein Lachen.

Hauptsache, es hat euch Spaß gemacht zu lesen.
 

Anhänge

Also bei mir hast Du es auch geschafft -

Grüße, mit dem breitesten Lächeln zu dem ich fähig bin :) .
 
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...*tränenlachend*...

das Beste, was ich seit 'ner Ewigkeit gelesen habe --> Spitze !!

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Du solltest Dir überlegen, ein Bulli- Märchenbuch zu verfassen! :respekt:
 
is ja ne super süße story ALSO ICH FIND AUCH DIE MUSS DU MAL IN DER ÖFFENTLICHKEIT PRÄSENTIEREN......
 
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