Der Wolf aus Sicht eines Schäfers im Wolfsgebiet:
Heidschnucken im Wolfsrevier
Im Wolfsrevier ausgesetzt. Und das als Schaf. Da kann man sich doch bei seinem Menschen bedanken. Schäfer Andreas Habendorf bleibt allerdings gelassen. Seine 120Heidschnucken und fünf Ziegen grasen seit gestern wieder in der Königsbrücker Heide zwischen Schmorkau und Schwepnitz. Irgendwo hier mitten auf dem Platz hat das neue Wolfsrudel seinen Bau, indem dieses Jahr erstmals drei Welpen zur Welt kamen. Im Mai tappten die Jungen in die Fotofalle. Seitdem streift das Königsbrücker Rudel auf seinen Jagdzügen in der Gegend umher. In diesem Jahr zog es die Wölfe auch schon sechs Mal in die angrenzenden Orte im Großenhainer Land, außerhalb der Heide. In Dobra, Tauscha, Sacka und Linz wurden Schafe und Ziegen gerissen. Immer waren es angepflockte Tiere – leichte Beute eben. Sehr zum Ärger und zur Sorge von Naturschützern und Behörden. Denn nichts braucht der Wolf so wenig wie schlechte Publicity. Gerissene Schafe sind da gar nicht gut. Doch der Mensch bietet sie ihm ja regelrecht an und lockt den Wolf so in die Dörfer hinein.
Mehr Zaun ist zu unhandlich
Hat Andreas Habendorf da keine Angst, dass seine Schafe hier draußen sofort vom Wolf angegriffen werden? Er schüttelt den Kopf. Davon habe er noch nichts mitbekommen. Nur einmal, als er die Koppel abgebaut habe, hat er einen Wolf gesehen. Er hofft, dass es so bleibt.
Dabei mutet das Elektroweidenetz, das er noch aufgerollt auf dem Parkplatz vor dem Naturreservat zeigt, nicht gerade vertrauenserweckend an. Mit 1,08 Metern ist es zwar etwas höher als die mindestens geforderten 90 Zentimeter. Doch Untergrabschutz, Zaunschürze, Anker – alles nicht vorhanden. „Wer sollte denn das ständig auf- und abbauen?“, fragt Habendorf zurück und hat wohl Recht. 600 Meter Elektrozaun braucht er wenigstens für seine Herde. Größere Koppeln will er nicht aufbauen, denn je länger der Elektrozaun wird, umso schwächer ist die Spannung. 2500 Volt sollten mindestens anliegen. Bei feuchtem Boden erreicht dieser Zaun bis zu 4000 Volt. Das Ladegerät ist fast so groß wie eine Autobatterie und hält anderthalb Wochen. Doch zur Kontrolle fährt Habendorf jeden zweiten Tag heraus. 30Kilometer muss er dafür inkauf nehmen. Und das kribblige Gefühl, wenn man auf den Platz hineinfährt und doch überlegt, ob etwas passiert sein könnte, erzählt er.
Alle paar Monate wird umgekoppelt, schließlich sollen die Tiere effektiv Ginster, Heide und Gräser verbeißen und die Flächen so möglichst frei halten. 50 Hektar bewirtschaftet Habendorf in der Heide. Als einziger übrigens. Nur deshalb hat er seine Heidschnucken 1991 überhaupt angeschafft. Hauptsächlich hält er nämlich Mutterkühe.
Bis Jahresende bleiben die urigen Heidschnucken jetzt auf dem Platz, je nachdem wann es den ersten Schnee gibt. Dann kommen sie wieder nach Hause. Im Frühjahr beginnt alles von vorn. Hofft Andreas Habendorf jedenfalls. Dass der Wolf ihm seinen Erwerb streitig machen könnte, glaubt er nicht. „Wir werden miteinander leben müssen“, sagt er nüchtern. Aufgeregtheit ist nicht seine Sache.
Gestern Damwild-Kalb gerissen
Die dürfte stattdessen gestern in Glaubitz hochgeschlagen haben. In einem Damwildgehege wurde ein Kalb gerissen. Wolfsbeauftragter Andre Klingenberger kann einen Wolfsriss nicht ausschließen, sagte er gestern der SZ. Zwar weise das Kalb neben zwei großen Biss-Löchern an der Kehle auch zwei kleinere auf, aber aus Klingenbergers Sicht ist es unwahrscheinlich, dass ein Fuchs ein Kalb reißt, das zehn Kilo schwer und gesund ist. Wahrscheinlicher ist, dass der Wolf da war, während in seinem Zuhause in der Königsbrücker Heide die Heidschnucken grasen. Allerdings war das Damwild wieder eine leichte Beute, denn das Gehege war lediglich mit Bauzäunen umstellt und die einzelnen Gitter waren nicht fest und lückenlos miteinander verbunden. Der Wolf, scheint es, zeigt uns sämtliche Schwachstellen.
Birgit Ulbricht