Im Gegensatz zu
@La Traviata kenne ich nicht einen einzigen Menschen, der freiwillig in einen Krieg ziehen würde. Und ich kenne auch nicht einen einzigen, der sich Krieg nicht in seiner ganzen Grausamkeit vorstellen könnte.
Vielleicht weil ich aus einer Generation stamme, deren Eltern, wenn auch noch sehr jung, unfreiwillig in einen Krieg gezogen wurden. Mein Vater verlor dabei ein Bein. Bei uns wurden Waffen und Kriege als die denkbar ungeeignetesten Mittel zur Lösung von Konflikten angesehen.
@wilmaa Aus diesem Grund müsste ich keine Sekunde überlegen, ich wäre unter keinen Umständen bereit, mit Waffen an einer Kriegsfront zu kämpfen und empfinde deutlich mehr Hochachtung vor denen, die sich weigern als vor denen, die freiwillig an die Front ziehen, um dann festzustellen, dass sie sich das alles ganz anders vorgestellt haben.
Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass dieser Krieg mit Waffen nicht gewonnen werden kann sondern dass Diplomatie gefragt ist. Wer anderer Ansicht ist, möge dann aber doch bitte so konsequent sein, für seine Überzeugung zu kämpfen. Die Einstellung, `Kamerad sei nicht feige, lass mich hinter den Baum´ finde ich schwierig.
Also, ich und die meisten anderen, die sich hier beteiligen, stammen, soviel ich weiß, aus derselben Generation, nämlich der, deren Eltern und / oder Großeltern reichlich Kriegserfahrungen sammeln mussten.
Mein Opa war 1899 geboren, wurde in den ersten Weltkrieg gezwungen, war als 17-jähriger bereits in englischer Gefangenschaft...
In meiner Kindheit waren Gespräche über die "schlimme Zeit", wie meine Oma die Kriegsjahre immer nannte, an der Tagesordnung. Ich weiß nicht wie oft ich die schrecklichen Geschichten gehört habe. Noch heute kenne ich exakt die Stellen im Dorf, wo in den letzten Kriegstagen tagelang tote Soldaten lagen oder wo ein totes Pferd verweste, weil es aufgrund der Gefechte nicht möglich war, es wenigstens zu bergen.
Mein Vater erzählt heute noch, wie er und seine Geschwister dem toten SS-Mann, der hinter unserem Haus lag, gern die Uhr geklaut hätten, sich aber nicht trauten, weil sie Angst hatten, der bewegt sich nochmal. Kinder zwischen 4 und 10 Jahren...
Oder die Geschichte, als meine Oma weinend mit ihren 5 kleinen Kindern im Bunker saß während des Fliegeralarms, betete, und irgendwann zu den Kindern sagte: "Ich meine, es wäre das Beste, wenn wir hier jetzt alle zusammen sterben würden." (Woraufhin mein Onkel, 4 Jahre alt und später der Lebenslustigste von allen, sagte: "Oh, nää, ich aber net!" )
Meine Oma hatte Zeit ihres Lebens eine fertig gepackte Tasche mit allen wichtigen Papieren im Kleiderschrank, weil sie seit dem Beschuss immer Angst hatte, daß es nachts anfängt zu brennen und sie schnell das Haus verlassen müsste. Sogar bei jedem Gewitter saß sie im Sessel mit dieser Tasche auf dem Schoß.
Im Gästezimmer in meinem Elternhaus hängt bis heute ein großes, "antikes" Bild der heiligen Familie, in dem noch Einschusslöcher zu sehen sind, die nach dem Krieg notdürftig geflickt wurden. Ich könnte es wegwerfen oder mal fachmännisch reparieren lassen, aber das will ich nicht, weil es mein "Mahnmal" ist.
Ich könnte dir noch jede Menge Geschichten aufzählen. Was ich sagen will: du bist weiß Gott nicht der Einzige, der mit den grauenvollen Kriegserlebnissen seiner Verwandten aufgewachsen ist. Und trotzdem - oder gerade wegen dieser Prägung ist mein Standpunkt heute, wie er ist.
Dieser Krieg in der Ukraine ist doch keine kleine Meinungsverschiedenheit, die sich in einem friedlichen Stuhlkreis mit Catering lösen ließe. Alles, was dort passiert, all das unvorstellbare Leid und Elend der Bevölkerung, die Zerstörung eines ganzen Landes, eines durchaus zuvor aufstrebenden, modernen, kultivierten Landes passiert doch nicht, weil die Ukrainer das wollen, sondern weil ein völlig durchgeknallter Despot dieses Land hinterfotzig überfallen hat um es sich einzuverleiben. Und die Menschen tun nichts anderes, als sich und ihre Freiheit zu verteidigen.
So nett die Idee sein mag, sich an einen runden Tisch zu setzen und den Konflikt diplomatisch zu lösen, so absurd ist sie. Weil so etwas mit Wahnsinnigen wie Putin schlichtweg nicht möglich ist.