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Sera und Rest
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Immer mehr Freizeitpolizisten auch für Kampfhunde zuständig
Berlin, 20.11.01
Ein wenig Schießtraining, ein bisschen Rechtstheorie: Freizeitpolizisten sind seit dem 11. September gefragt wie nie. 570 gibt es in Berlin - die SPD hätte gerne mehr von ihnen. Grüne und FDP halten sie für eine "Schönwettertruppe".
Auf René Rufs Hemdsärmel vibriert der Berliner Bär. Immer dann, wenn die Pistole vor Anstrengung zu schwer wird und die Konzentration auf den Schuss zu lange dauert, zittert Renés Arm. Aber nach fünf Minuten ist schon alles vorbei. Der 24-Jährige sagt "Rohr frei" und reicht seine Pistole Andreas Günther. Der ist Fachausbilder bei der Freiwilligen Polizei Berlin und soll zehn weiteren Männern und einer Frau an zwei Tagen das Schießen beibringen. Und zwar so, dass sie danach aus sechs, zehn oder fünfzehn Metern einen fliehenden Kriminellen zielsicher in Beine und Arme treffen. Denn Berlins 570 Freizeitpolizisten sollen für Recht und Ordnung sorgen. Notfalls mit der "P 6", der Polizeipistole.
Seit dem 11. September sind sie gefragt wie nie. Die professionelle Schutzpolizei ist durch die Überwachung von zusätzlich 525 US-amerikanischen, israelischen, jüdischen und arabischen Einrichtungen überlastet. Deshalb forderten die Berliner Polizeidirektionen ihre Freiwilligen per Brief auf, sich öfter zum Dienst zu melden.
Die CDU-Fraktion im Roten Rathaus war schon immer ein Freund der Freiwilligentruppe und würde sie gerne auf 4000 Mann aufstocken. Und selbst die Sozialdemokraten, die in der Vergangenheit nicht gerade zu den Förderern der Freiwilligen gehörten, denken jetzt über eine personelle Ausweitung der Truppe aufs Dreifache nach. Nicht aus ideologischen Gründen, wie es heißt, sondern weil man eine Truppe, die mehr als drei Millionen Umsatz macht, nicht auflösen könne. Braucht man zum Patroullieren in Parks, Knöllchenschreiben und Bewachen von Gebäuden denn wirklich eine Pistole? "Die soll doch nur abschrecken", sagt Lothar Kubig. Der 62-jährige Taxifahrer aus Tegel ist seit 17 Jahren Hilfspolizist. Gebraucht hat er seine Pistole noch nie. Kubig hat ein kugelrundes Gesicht und lacht gerne. Üblicherweise dreht er jeden Dienstag und Donnerstag zehn Stunden lang seine Runden durch Grünanlagen in Marzahn. Seit November ist Kubig an vier Tagen die Woche dabei. "Worauf's ankommt", sagt er, "is nich, dass man jut schießen kann, sondern dass man det mit dem Bürjer zusamm' harmonisch jestaltet."
In dem zweiwöchigen Grundlehrgang mit Rechtstheorie und Straßenverkehrsordnung ist für psychologische Schulung kaum Platz. Nur an einem Tag sieht der Unterrichtsplan Rollenspiele zur Einübung unvorhersehbarer Gefahrensituationen vor. Dann kommt eine Woche Waffenkunde und zwei Tage Schießtraining. Für René Ruf und seine Kumpels, der älteste ist Mitte Dreißig, ist das so etwas wie ein sportlicher Wettkampf, bei dem man sich gegenseitig anfeuert und hinterher seine Scherze macht. Um die Übung zu bestehen, reicht eine Trefferquote von fünfzig Prozent.
Was treibt jemanden dazu, in seiner Freizeit mit einer Waffe durch Parks zu streifen und Knöllchen zu verteilen? Oder 12 Stunden lang vor einem Gebäude zu stehen? Und das für acht Mark die Stunde? Für Lothar Kubig ist es eine Art Krimiersatz. Er erlebe immer was. Heute habe er mal wieder einen "Bürjer" mit einem Kampfhund ohne Maulkorb erwischt und dann noch einen "polnischen Mitbürjer" mit gestohlenem Rad, der obendrein polizeilich gesucht wurde. Auf den Hundehalter habe er so lange eingeredet, bis der seinen Irrtum eingesehen und mit ihm in der Zoohandlung einen Maulkorb gekauft hat. Den Polen hat er an die Kollegen von der Funkstreife übergeben.
Dem Deutsch-Türken Ibrahim Sagir reicht das Gefühl, gebraucht zu werden und den Deutschen in der blauen Uniform zeigen zu können, dass er einer von ihnen ist, ein korrekter Staatsbürger. Die Hälfte der Bewerber ist arbeitslos, sagt Polizeihauptmeister Dietmar Kutscha vom Einstellungsbüro der Freiwilligen Polizei. Vertreten seien alle Berufsgruppen. 20 Prozent Bewerber sind Frauen. In den Vorstellungsgesprächen und dem dreiwöchigen Blockseminar hat man ihnen immer wieder eingehämmert, dass man keine Rambos bei der Polizei braucht. Und so antworten alle auf die Frage nach ihrer Motivation brav: "Vor allem, Gutes für die Gesellschaft tun."
Was tatsächlich dahinter steckt, das versucht Kutscha beim Vorstellungsgespräch herauszuhören. Er fragt nach Hobbies, nach Zeitungen und ob sein Gegenüber schon mal was von Gewaltenteilung gehört habe. Bei einem 19-jährigen Schüler aus Hellersdorf macht ihn skeptisch, dass der so gerne schießen und eine Uniform tragen will, bei einem anderen der Blick ins Strafregister. "Unter den Bewerbern sind viele Kriminelle", sagt Kutscha. "Die meinen, sie können der Polizei mit ihren Tricks helfen." Über jeden Bewerber holt der Polizeihauptmeister Informationen beim Landeskriminalamt ein, und fordert, falls einer vorbestraft ist, die Akte bei der Staatsanwaltschaft an. Aber dann sagt Kutscha, dass "die Profis, die wirklich Dreck am Stecken haben, sich sowieso verstellen" und wirkt hilflos - trotz seiner Beteuerungen, wie streng die Auswahlkriterien geworden sind - seit 1999.
1999. Das ist so eine Art magisches Datum für Kutscha. In diesem Jahr ging der Freiwillige Polizeidienst aus der Freiwilligen Polizeireserve hervor, die 1960 als Pilotprojekt und als Pendant zu den Bezirkskampfgruppen der DDR gegründet worden war. Immer wieder sind die Freizeitpolizisten in den letzten 40 Jahren wegen Rechtsradikaler in ihren Reihen in die Schlagzeilen geraten. Zuletzt 1993. Da wurde ein rechtsextremer Waffenhändler enttarnt. Danach mussten sich alle überprüfen lassen, und die militärische Organisation mit Gruppen-, Zug- und Hundertführern wurde aufgelöst. Von den 1500 Mann blieben noch 500 übrig. Kutschas Beweis dafür, dass jetzt alles anders ist: von 351 Bewerbern im Jahr 2000 wurden nur 43 übernommen.
Die Grünen im Senat glauben nicht an den großen Neuanfang bei den Freizeitsheriffs und fordern bei den Koalitionsverhandlungen ihre Abschaffung. "Die Freiwillige Polizei ist ein Hort von Stammtischparolen", sagt ihr Fraktionssprecher. "Die sind nicht in der Lage, die aktuellen Probleme zu lösen." Da stimmt ihm der Landesbezirksvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Eberhard Schönberg, zu: "Schon bei der Öcalan-Krise, als wir jeden Polizisten für den Schutz türkischer Einrichtungen brauchten, hat sich gezeigt, dass sich die Freiwilligen, dann, wenn man sie braucht, drücken - eine Schönwettertruppe, mehr nicht."
Dass sich die Grünen, die GdP und auch die FDP mit ihrem Plädoyer für die Abschaffung der Freiwilligen durchsetzen können, ist unwahrscheinlich. Denn gerade seit dem 11. September macht der Berliner Freiwillige Polizeidienst in anderen Bundesländern Schule als Vorzeigemodell, mit dem sich kostengünstig die Präsenz von Uniformierten auf den Straßen erhöhen lässt. Nicht nur Roland Schill ist von dem Projekt angetan, auch in Hessen ist gerade ein Pilotprojekt angelaufen, um in vier Städten einen Freiwilligen Polizeidienst aufzubauen. Bayern und Baden-Württemberg, die schon seit Jahren auf ihre Freiwilligen Polizisten schwören, haben ihre Zahl erhöht und ihnen zusätzliche Aufgaben erteilt. "Die Freiwilligen sind ein Wirtschaftsfaktor", sagt Svenja Schröder-Lomb, die Pressesprecherin von SPD-Innensenator Ehrhart Körting. Aber zum Knöllchenschreiben braucht man einen Block und einen Stift. Keine Pistole.
Sicherer ist es allemal, wenn der Berliner Bär auf Hemdsärmeln von Zwanzigjährigen nicht so oft wackelt.
Bis dann Sera
Quelle:
Nie vergessen wirst Du sein.
Berlin, 20.11.01
Ein wenig Schießtraining, ein bisschen Rechtstheorie: Freizeitpolizisten sind seit dem 11. September gefragt wie nie. 570 gibt es in Berlin - die SPD hätte gerne mehr von ihnen. Grüne und FDP halten sie für eine "Schönwettertruppe".
Auf René Rufs Hemdsärmel vibriert der Berliner Bär. Immer dann, wenn die Pistole vor Anstrengung zu schwer wird und die Konzentration auf den Schuss zu lange dauert, zittert Renés Arm. Aber nach fünf Minuten ist schon alles vorbei. Der 24-Jährige sagt "Rohr frei" und reicht seine Pistole Andreas Günther. Der ist Fachausbilder bei der Freiwilligen Polizei Berlin und soll zehn weiteren Männern und einer Frau an zwei Tagen das Schießen beibringen. Und zwar so, dass sie danach aus sechs, zehn oder fünfzehn Metern einen fliehenden Kriminellen zielsicher in Beine und Arme treffen. Denn Berlins 570 Freizeitpolizisten sollen für Recht und Ordnung sorgen. Notfalls mit der "P 6", der Polizeipistole.
Seit dem 11. September sind sie gefragt wie nie. Die professionelle Schutzpolizei ist durch die Überwachung von zusätzlich 525 US-amerikanischen, israelischen, jüdischen und arabischen Einrichtungen überlastet. Deshalb forderten die Berliner Polizeidirektionen ihre Freiwilligen per Brief auf, sich öfter zum Dienst zu melden.
Die CDU-Fraktion im Roten Rathaus war schon immer ein Freund der Freiwilligentruppe und würde sie gerne auf 4000 Mann aufstocken. Und selbst die Sozialdemokraten, die in der Vergangenheit nicht gerade zu den Förderern der Freiwilligen gehörten, denken jetzt über eine personelle Ausweitung der Truppe aufs Dreifache nach. Nicht aus ideologischen Gründen, wie es heißt, sondern weil man eine Truppe, die mehr als drei Millionen Umsatz macht, nicht auflösen könne. Braucht man zum Patroullieren in Parks, Knöllchenschreiben und Bewachen von Gebäuden denn wirklich eine Pistole? "Die soll doch nur abschrecken", sagt Lothar Kubig. Der 62-jährige Taxifahrer aus Tegel ist seit 17 Jahren Hilfspolizist. Gebraucht hat er seine Pistole noch nie. Kubig hat ein kugelrundes Gesicht und lacht gerne. Üblicherweise dreht er jeden Dienstag und Donnerstag zehn Stunden lang seine Runden durch Grünanlagen in Marzahn. Seit November ist Kubig an vier Tagen die Woche dabei. "Worauf's ankommt", sagt er, "is nich, dass man jut schießen kann, sondern dass man det mit dem Bürjer zusamm' harmonisch jestaltet."
In dem zweiwöchigen Grundlehrgang mit Rechtstheorie und Straßenverkehrsordnung ist für psychologische Schulung kaum Platz. Nur an einem Tag sieht der Unterrichtsplan Rollenspiele zur Einübung unvorhersehbarer Gefahrensituationen vor. Dann kommt eine Woche Waffenkunde und zwei Tage Schießtraining. Für René Ruf und seine Kumpels, der älteste ist Mitte Dreißig, ist das so etwas wie ein sportlicher Wettkampf, bei dem man sich gegenseitig anfeuert und hinterher seine Scherze macht. Um die Übung zu bestehen, reicht eine Trefferquote von fünfzig Prozent.
Was treibt jemanden dazu, in seiner Freizeit mit einer Waffe durch Parks zu streifen und Knöllchen zu verteilen? Oder 12 Stunden lang vor einem Gebäude zu stehen? Und das für acht Mark die Stunde? Für Lothar Kubig ist es eine Art Krimiersatz. Er erlebe immer was. Heute habe er mal wieder einen "Bürjer" mit einem Kampfhund ohne Maulkorb erwischt und dann noch einen "polnischen Mitbürjer" mit gestohlenem Rad, der obendrein polizeilich gesucht wurde. Auf den Hundehalter habe er so lange eingeredet, bis der seinen Irrtum eingesehen und mit ihm in der Zoohandlung einen Maulkorb gekauft hat. Den Polen hat er an die Kollegen von der Funkstreife übergeben.
Dem Deutsch-Türken Ibrahim Sagir reicht das Gefühl, gebraucht zu werden und den Deutschen in der blauen Uniform zeigen zu können, dass er einer von ihnen ist, ein korrekter Staatsbürger. Die Hälfte der Bewerber ist arbeitslos, sagt Polizeihauptmeister Dietmar Kutscha vom Einstellungsbüro der Freiwilligen Polizei. Vertreten seien alle Berufsgruppen. 20 Prozent Bewerber sind Frauen. In den Vorstellungsgesprächen und dem dreiwöchigen Blockseminar hat man ihnen immer wieder eingehämmert, dass man keine Rambos bei der Polizei braucht. Und so antworten alle auf die Frage nach ihrer Motivation brav: "Vor allem, Gutes für die Gesellschaft tun."
Was tatsächlich dahinter steckt, das versucht Kutscha beim Vorstellungsgespräch herauszuhören. Er fragt nach Hobbies, nach Zeitungen und ob sein Gegenüber schon mal was von Gewaltenteilung gehört habe. Bei einem 19-jährigen Schüler aus Hellersdorf macht ihn skeptisch, dass der so gerne schießen und eine Uniform tragen will, bei einem anderen der Blick ins Strafregister. "Unter den Bewerbern sind viele Kriminelle", sagt Kutscha. "Die meinen, sie können der Polizei mit ihren Tricks helfen." Über jeden Bewerber holt der Polizeihauptmeister Informationen beim Landeskriminalamt ein, und fordert, falls einer vorbestraft ist, die Akte bei der Staatsanwaltschaft an. Aber dann sagt Kutscha, dass "die Profis, die wirklich Dreck am Stecken haben, sich sowieso verstellen" und wirkt hilflos - trotz seiner Beteuerungen, wie streng die Auswahlkriterien geworden sind - seit 1999.
1999. Das ist so eine Art magisches Datum für Kutscha. In diesem Jahr ging der Freiwillige Polizeidienst aus der Freiwilligen Polizeireserve hervor, die 1960 als Pilotprojekt und als Pendant zu den Bezirkskampfgruppen der DDR gegründet worden war. Immer wieder sind die Freizeitpolizisten in den letzten 40 Jahren wegen Rechtsradikaler in ihren Reihen in die Schlagzeilen geraten. Zuletzt 1993. Da wurde ein rechtsextremer Waffenhändler enttarnt. Danach mussten sich alle überprüfen lassen, und die militärische Organisation mit Gruppen-, Zug- und Hundertführern wurde aufgelöst. Von den 1500 Mann blieben noch 500 übrig. Kutschas Beweis dafür, dass jetzt alles anders ist: von 351 Bewerbern im Jahr 2000 wurden nur 43 übernommen.
Die Grünen im Senat glauben nicht an den großen Neuanfang bei den Freizeitsheriffs und fordern bei den Koalitionsverhandlungen ihre Abschaffung. "Die Freiwillige Polizei ist ein Hort von Stammtischparolen", sagt ihr Fraktionssprecher. "Die sind nicht in der Lage, die aktuellen Probleme zu lösen." Da stimmt ihm der Landesbezirksvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Eberhard Schönberg, zu: "Schon bei der Öcalan-Krise, als wir jeden Polizisten für den Schutz türkischer Einrichtungen brauchten, hat sich gezeigt, dass sich die Freiwilligen, dann, wenn man sie braucht, drücken - eine Schönwettertruppe, mehr nicht."
Dass sich die Grünen, die GdP und auch die FDP mit ihrem Plädoyer für die Abschaffung der Freiwilligen durchsetzen können, ist unwahrscheinlich. Denn gerade seit dem 11. September macht der Berliner Freiwillige Polizeidienst in anderen Bundesländern Schule als Vorzeigemodell, mit dem sich kostengünstig die Präsenz von Uniformierten auf den Straßen erhöhen lässt. Nicht nur Roland Schill ist von dem Projekt angetan, auch in Hessen ist gerade ein Pilotprojekt angelaufen, um in vier Städten einen Freiwilligen Polizeidienst aufzubauen. Bayern und Baden-Württemberg, die schon seit Jahren auf ihre Freiwilligen Polizisten schwören, haben ihre Zahl erhöht und ihnen zusätzliche Aufgaben erteilt. "Die Freiwilligen sind ein Wirtschaftsfaktor", sagt Svenja Schröder-Lomb, die Pressesprecherin von SPD-Innensenator Ehrhart Körting. Aber zum Knöllchenschreiben braucht man einen Block und einen Stift. Keine Pistole.
Sicherer ist es allemal, wenn der Berliner Bär auf Hemdsärmeln von Zwanzigjährigen nicht so oft wackelt.
Bis dann Sera
Quelle:
Nie vergessen wirst Du sein.