Ich kam nach einer eher dörflichen Grundschule mit 200 Schülern, Miniklassen und einem einzigen Lehrer unter sonst nur Lehrerinnen auf eine riesige Gesamtschule, seinerzeit verschrien bis dorthinaus von wegen Waldorf light, die Schüler würden da nix lernen, wäre alles rot verseucht etc. pp...
In der Grundschule war ich stilles Mäuschen total untergegangen. Mathe verstand ich gar nix von, ich bekam zuhause überhaupt keine Unterstützung z.B. bei den Hausaufgaben, das interessierte niemanden, also hab ich die auch fast nie gemacht.
Ich ging da nur hin zum Tagträumen, weil es halt sein musste. Unsere Klassenlehrerin war eine Schreckschraube, eine Sopranistin, die am liebsten den ganzen Tag nur gesungen hätte mit den Schülern. Ich war nach den ersten Versuchen vom gemeinsamen Gesang suspendiert, sie meinte, das wäre niemandem zumutbar, ich soll die Klappe halten. Und seitdem bekam ich auch bei gleicher Punktzahl immer schlechtere Noten als meine Mitschüler. Hat leider auch niemanden interessiert... ich konnte mich darüber nur alleine ärgern. Das war total demotivierend.
Dann der Umzug in ein anderes Dorf und Kulturschock... die Schule hatte über 2000 Schüler, mehr Lehrer als meine Grundschule Schüler hatte, war ein riesiger Plattenbau, noch keine 10 Jahre alt. Alles neu, alles schick, alle Möglichkeiten dieser Welt. Unfassbar moderne Chemie- und Physikräume, Musikräume mit allen Instrumenten und schalldichte Proberäume, Sporthallen und Außensportanlagen vom Feinsten mit bester Ausstattung, eine riesige Aula für Theateraufführungen und Kino, moderne helle Klassenräume, eine Mensa mit phantastischem Essen (gabs zuhause so nicht), eine eigene Bibliothek, eine eigene Spielothek (mit Gesellschafts- und Brettspielen für die Mittagspause.
Schulzeit von 8 bis 16 Uhr mit 2 Stunden Mittagspause.
Man konnte freiwillig Arbeitsgemeinschaften beitreten, gärtnern, handwerkeln, Mofaführerschein machen für 30 DM...
Die Lehrer waren engagiert und super nett und konnten echt was.
Ich bin schon im ersten Jahr dort von einer eher schlechten Grundschülerin zu einer echt guten Schülerin mutiert, das zog sich durch die gesamte Gesamtschulllaufbahn. Notenschnitt von 4 auf 1 Komma nochwas...
Die Bibliothek war meins, die Mitschüler waren überwiegend nett, wir waren respektvoll zu den Oberstüflern und zu den Lehrern, Respektlosigkeiten, Prügeleien oder Mobbing gabs so gut wie nicht.
Ich fand es echt toll, wenn ich nicht unbedingt von zuhause weg gewollt hätte und ergo nach der 10. eine Ausbildung angefangen hätte (in einer Bibliothek), dann hätte ich da gerne auch das Abitur gemacht. Die Quali für die Oberstufe habe ich mit Leichtigkeit geschafft.
Alles an dieser Schule war rückblickend gesehen echt toll, man hatte keinen Klassenzusammenhalt in der Form wie in anderen Schulen, weil für jede Stunde die Klassen neu zusammen gestellt wurden. Jeder Schüler kam seiner Leistung und Neigung entsprechend in Grund- oder Erweiterungskurse in den Hauptfächern, da konnte man auf- und absteigen je nach Leistung. Und man konnte frei entscheiden ob man die sprachliche oder naturwissenschaftliche Richtung einschlagen wollte nach der 7. Klasse. Wechsel war auch da möglich. Eine individuellere Förderung war echt nicht möglich, da wurde auf jeden eingegangen.
Ein klasse System und dazu noch eine perfekte Vorbereitung auf das Arbeitsleben dank Praktika und "Werkwochen" und dank der Schulzeiten bis 16 Uhr, mir fiel die Umstellung in die Ausbildung gar nicht schwer, während meine Kollegin vom Gymmi, die immer um 13 Uhr Schulschluss hatte, nach 13 Uhr im Job für nix mehr zu gebrauchen war und echt fertig mit der Welt.
Bei meiner späteren Ausbildungsplatzssuche musste ich allerdings feststellen, dass das Zeugnis der Gesamtschule leider nicht mit dem der Realschule gleichgesetzt sondern als "minderwertiger" betrachtet wurde, obwohl ich - wie ich im direkten Vergleich mit meiner Kollegin feststellen konnte, auf einem höhren Bildungsstand war wie sie, mit gleichem Abschluss.
Ich war dort in den 80er Jahren. Meine Patenkinder waren dort in den 2000er Jahren, da war diese Schule einfach nur noch grauenhaft, alle total respektlos, das Gebäude und die Einrichtung nicht instand gehalten, alles vergammelt und verranzt, Schulschwänzereien, Kloppereien an der Tagesordnung, hilflose Lehrer, die nix mehr ausrichten konnten und renitente Schüler, deren unmögliches Verhalten von den Eltern noch gepusht wurde mit Lehrerbashing. Ganz furchtbar.
Meiner Meinung nach ein gesellschaftliches Problem, das in den Elternhäusern ihren Ursprung hatte...
Gruß
tessa