Freake,
Bürste hat Recht. Ich weiß, wovon ich spreche, ich habe auch so einen Hund.
Was Matty gemacht hat (Kommandos erst mal im Wald und ohne Ablenkung üben, dann langsam steigern) ist eine gute Sache.
Alles andere ("fixieren" auf irgendwas, "Ablenken" mit irgendwas, "Gewöhnung" in einer Hundegruppe) kannst du bei einem solchen Hund, der beim Anblick von anderen Hunden so unter Anspannung gerät, vergessen.
Auch Versuche wie "Hund in die Box sperren" und dann dran vorbei gehen, sind absolut sinnlos. Mit einiger Sicherheit zeigt der Hund 'vorbeugendes Abwehrverhalten', entweder weil er schlechte Erfahrungen gemacht hat oder andere Hunde nur aus dem Tierheim kennt.
Jetzt stell dir vor, du hättest im Prinzip, sagen wir, panische Angst vor Hunden und würdest darum gern jedes Mal, wenn du einen siehts, am liebsten vorbeugend mit der Schaufel draufhauen, damit der dich nicht beißt.
Nun bindet dich einer wo an oder sperrt dich ein, sodass du überhaupt nichts machen kannst, und kommt dann mit nem Hund an dir vorbei. Keine Schaufel da. Keine Fluchtmöglichkeit. Gar nichts. - Nicht so toll, oder?
So gewöhnt sich so ein Hund an
gar nichts.
Wie Bürste würde ich dir zu einem
guten Trainer raten, der mit euch
Einzeltraining macht. in der Gruppe ist dieser Hund noch komplett überfordert.
Der wird darum nichts daraus mitnehmen, weil er sich überhaupt nicht konzentrieren kann - er muss ja immer aufpassen, dass ihm keiner zu nahe kommt. Ist er dann erschöpft, macht er zwar mit, ist aber innerlich so alle, dass er sich nichts davon merken kann.
Noch mal: Ich habe all das mit meinem Hund genau so mitgemacht. Darum bin ich sehr sicher bei dem, was ich schreibe.
Und drum sage ich dir eines: So etwas in den Griff zu kriegen, dauert JAHRE. Wir arbeiten schon beinahe 2 daran. Allerdings war mein Hund auch schon 2 oder 2,5 Jahre alt, als ich ihn bekommen habe. Deiner ist noch jünger.
Herauszufinden, was ein "guter" Trainer ist, ist nicht so einfach, und zwar aus folgendem Grund: Ein solcher Hund ist nicht einfach. Und ist oft den "gängigen" Methoden nicht zugänglich, weil er so unter Stress steht, dass er nicht mehr so reagiert wie ein normaler Hund. - Nicht, weil er nicht will, nicht, weil er so "dominant" und "stur" ist, sondern weil er nicht
kann.
Man braucht also einen Trainer, der das einsehen kann, und bereit ist, von seiner "Lieblings-" Methode abzuweichen, wenn die bei diesem Hund wirkungslos bleiben sollte. - Und vor allem muss der Trainer oder die Trainerin in der Lage sein,
dir zu vermitteln, was du tun musst und tun kannst, um deinen Hund sicherer zu führen.
Du musst das Gefühl haben, dass du verstehst, was der Trainer dir sagen will, du musst es nachvollziehen und dahinterstehen können.
Ein Trainer, der nur sagt: "Mach es wie ich, dann machst du es richtig!", ist
kein guter Trainer. Auch ein Trainer, der sagt: "Du machst es nicht richtig. Bei
mir macht der Hund, was er soll!" ist kein guter Trainer.
Auch ein Trainer, der deinen Hund offenbar nicht besonders mag, weil der sich "asozial" verhält, und ihn "zurechtbiegen" will, ist kein guter Trainer, weil so ein Hund schon klare Signale und gelegentlich eines auf den Deckel braucht, aber vor allem eines: Hilfe.
Auch wenn er sich nicht besonders nett verhält. Denn ständig so angespannt sein zu müssen ist für den Hund sehr anstrengend. - Geh mal in die Stadt und einkaufen, und pöbele jeden einzelnen Passanten lauthals an, dann weißt du vermutlich, was ich meine... (Nee, mach das besser nicht, das war nur ein Beispiel...
- Net, dass sie dir noch den Hund wegnehmen, weil sie denken, du seiest übergeschnappt.)
So. Hier nun also meine alltagspraktischen (und bewährten) Tipps für den Umgang mit nicht-sozialisierten spinnerten Hunden:
1) Geh
nur mit Beißkorb raus. Dieser muss passen und fest sitzen, und
vorn geschlossen sein. Wie Bulli-Maus schon schrieb: So etwas geht und gibt es. Nimm keinen Korb mit Klickverschluss. Stabiler Leder- oder Drahtkorb, am besten so einen, den man direkt hinter den Ohren sehr eng zumachen kann, und zwar mit einer Schnalle.
Er muss gut sitzen. - Notfalls mach ihn mit zwei Extra-Strippen am Halsband fest.
2) Geh nur mit
stabiler Leine und Halsband raus -
kein Halsband mit Plastikverschluss. Nimm ein (breites) Kettenhalsband oder ein echt stabiles breites Lederhalsband.
Nimm
keine Kettenleine, gerade wenn dein Hund zum explosionsartigen Vorspringen neigt...
(FYI: Willst du mitlachen, lies hier:
)
Das hat einen Vorteil: Wenn dann mal ein unangeleinter Hund kommt, kannst du ganz ruhig bleiben. Stellst dich hin und hältst deinen gut fest, lässt ihn nicht zu wild rumspringen. Nicht großartig auf deinen Hund einwirken - in dem Moment, wenn ein anderen vor seiner Nase auftaucht, ist (im Moment noch) eh alles zu spät. Schon gar nicht schreien. Da fühlt er sich eher noch bestätigt: Er macht Theater, du machst Theater, so muss es sein.
Die wenigsten unangeleinten Hunde fangen wirklich Streit an, wenn ein angeleinter Hund sich so aufführt. Sie bellen vielleicht mal, wenn sie aber merken, dass der andere Hund nicht an sie rankommt und auch nicht "richtig" beißt (wegen des Beißkorbs), gehen sie ihrer Wege.
Dass es anders läuft, habe ich in 2 Jahren 3 Mal erlebt. Und sogar da war es in einem Fall so, dass der angreifende Hund sich eigentlich nicht so richtig sicher war, ob er das wirklich wollte - der war eher verunsichert als sauer. Und ehe er sich anders entschlossen hatte, war sein Besitzer dann da und übernahm die Initiative, ist also nichts passiert. Die anderen beiden Fälle waren beides Berner Sennenhunde, die würde ich also an deiner Stelle meiden.
3) Wenn du deinen Hund an der Leine hast und an einem anderen angeleinten Hund vorbei musst, bleib nach Möglichkeit nicht stehen. (Ich weiß, das ist leichter gesagt als getan). Notfalls trag den Hund auf zwei Beinen an der Situation vorbei. Er muss merken, dass er an den anderen Hund auf gar keinen Fall dran kommt und dass dir an einer Konfrontation (mit dem anderen Hund) nicht gelegen ist.
Ausnahme: Das Gelände ist nicht so richtig gut gangbar. Dann lieber stehenbleiben und den anderen Hundehalter ruhig(! - auch wieder leichter gesagt als getan) bitten, den anderen Hund vorbeizuführen. - Am wichtigsten ist, dass du in einer solchen Situation genau weißt, dass du den Hund im Griff hast. Das merkt dann auch der Hund.
4) Sowie der andere Hund außer Sicht ist und deiner nicht mehr rumprollt: Zügig weitergehen und loben, auch wenn er noch nicht wieder ganz auf die Frequenz der Bodenkontrolle zurückgefallen sein sollte (und dir der Frust aus den Ohren kommt). Nicht, weil er gebellt hat, sondern weil er aufgehört hat. Das hat bei meinem immerhin dazu geführt, dass er jetzt nicht nach jder Hundebegegnung noch Stunden rumjammert, immer noch hinterherwill oder wwi.
(Wenn er daraufhin nochmal anfängt, natürlich mit Leinenruck und "Nein!" korrigieren und unterbinden. Weitergehen. Wenn er mitkommt, wieder loben.)
Ach, ich fürchte, 4) geht schon zu sehr ins Detail... ob das Verfahren bei euch angebracht ist, kann ein Trainer vor Ort sicher besser entscheiden.
Auf jeden Fall funktioniert verbales Lob, eventuell Streicheln, besser als Leckerchen, nicht nur wegen des Beißkorbes (Leckerchen kann man, wenn sie klein genug sind, nämlich durchaus trotzdem geben), sondern weil der Hund vermutlich viel zu angespannt ist, um Leckerchen zu nehmen. Da hilft übrigens in so einem Fall auch "Hungern lassen" (ein sehr beliebter Tipp) nicht wirklich weiter. nach meiner Erfahrung schiebt der Hund dann eher noch mehr Frust, kann aber beim Anblick der Bedrohung "anderer Hund" immer noch nichts essen.
5) Versuch mal, abzuklären, ob dein Hund ganz gesund ist. Verträgt er ein bestimmtes Futter nicht? - Hat er Phasen, wo er schlapp in der Ecke hängt und noch mieser drauf ist als sonst? - Dann könnte es sein, dass er Schmerzen hat, und dann reißt ihm der Geduldsfaden noch eher als sonst. - Das muss nicht sein, kann aber, und auf jeden Fall arbeitet es sich leichter mit einem gesunden Hund als mit einem, der sich mies fühlt.
Uff. Ich hoffe, das war jetzt nicht zu viel zum Lesen.
Wie gesagt: An so etwas arbeitet man nicht 4 Tage oder 4 Wochen lang, sondern unter Umständen über ein Jahr. Man braucht also viel Geduld und gute Nerven (und Konsequenz!). - Und man muss lernen, den Hund erstmal so zu akzeptieren, wie er ist und sich dann über jeden kleinen Fortschritt zu freuen.
Dass es u.U. lange dauert, heißt aber nicht, dass es gar nicht geht. Wir sind der lebendige Gegenbeweis, auch wenn wir immer noch nicht fertig sind. Es geht. Aber man muss sehr hart dafür arbeiten und viel Zeit und Nerven investieren.
Aber es lohnt sich auf jeden Fall.
Wünsche euch alles Gute und drücke die Daumen.
Berichte doch mal, wie es mit euch weitergeht.
Liebe Grüße,
Lektoratte