Ja, das kann ich mir gut vorstellen.
Je nachdem, wie alt und wie pflegebedürftig die Leute tatsächlich sind, kommt das Personal ihnen ja auch sehr nahe.
Bei Demenz kommt noch hinzu, dass die Leute oft sehr kindlich sind und körperlich distanzlos reagieren.
Ich habe oft überlegt, wie es für Mariellchen gewesen wäre. Sie war eine der Bewohnerinnen im Wohnheim für geistig behinderte Erwachsene, in dem ich gearbeitet habe, war 7 Jahre älter als ich und hatte Downsyndrom. Mariellchen hatte ungefähr das geistige Level einer pfiffigen 4-jährigen. Sie war auf der Suche nach einer Mama und adoptierte mich kurzerhand emotional. Sie war eine gestandene Koblenzerin mit dem entsprechenden Dialekt und viel Lebenserfahrung. Leider war sie zu ihrer Zeit noch nicht schulpflichtig. Also ging sie mit ihrer Mutter, die als Raumpflegerin arbeitete, zur Arbeit und putzte mit und ging abends mit ihr in die Wirtschaft. Als die Mutter starb, kam sie ins Wohnheim.
Ich nannte sie "Schnecksche" und sie mich "Muttersche". Sie saß oft auf meinem Schoß, an mich gekuschelt und wenn sie lachte, fiel auch schon mal ihr Gebiss auf meinen Oberschenkel. Körperlicher und enger Kontakt mit ihr war unvermeidbar. Distanz war halt nicht so ihr Thema. Es hätte schlicht nicht funktioniert, sie auf 1,5 Meter körperliche Distanz zu halten. Abgesehen sowieso von den Pflegemaßnahmen wie Duschen, Kunstauge rausnehmen und reinigen, Sauerstoff geben, eincremen.
Dass wir Menschen wie Mariellchen geschützt haben, für die das Virus mit ihrem Herzfehler tödlich gewesen wäre, ist für mich völlig selbstverständlich. Trotzdem sind viel zu viele Menschen gestorben.
Die, die sich nicht impfen lassen, können aber sicher nicht von mir erwarten, dass ich mit dem gleichen Verständnis und der gleichen Zustimmung in einen eventuellen neuen Lockdown gehe wie beim ersten Mal. Denen, die sich nicht impfen lassen konnten, gilt mein Mitgefühl. Für die, die aus freiem Willen nicht geimpft sind, habe ich dann nur ein Kopfschütteln übrig.
Ich verstehe die Situation auch nicht wirklich. Es gibt ein gefährliches Virus. Es gibt eine Impfung, die zwar nicht zu 100% schützt, aber trotzdem viel kann. Wir haben in Europa genügend Impfstoff. Die Impfung ist umsonst. Wir können uns leisten, gefährdete Gruppen ein drittes Mal zu impfen. Ein Privileg im Gegensatz zu vielen anderen Ländern.
Anstatt in der Impfung eine Chance zu erkennen, fabulieren manche von Impotenz, Unfruchtbarkeit, Peilsender und sehen einen Angriff vom Staat auf die Bürger. Das sind ja nicht die meisten, sie schreien aber am lautesten. Andere wollen eine Belohnung, wenn sie den Arm hinhalten.
Andere haben Sorge, dass die Impfung schwere Folgen haben könnte und erinnern an die Todesfälle nach Impfungen. Wobei jede Statistik zeigt, dass das Risiko, nach einer Impfung einen Schaden zu erleiden, um ein vielfaches niedriger ist als eine schwere Infektion mit Folgen. Für mich ist es einfach logisch, dass nur Impfungen uns aus der Situation rausbringen können.
Ich kenne privat real nur eine einzige Person im Gegensatz zu vielen anderen Personen, die sich nicht impfen lassen möchte. Nicht wegen Verschwörung oder Nebenwirkung oder so. Der Mann hat einfach "nur" eine Spritzenphobie. Demnächst muss er aber da durch, denn sonst darf er nicht mehr arbeiten. Er sagt selbst, dass der Tritt in den Hintern durch die neuen Gesetze dafür sorgt, dass er sich jetzt trotz seiner Phobie impfen lässt. Alle anderen, die ich kenne, haben sich impfen lassen, sobald sie konnten.
Hier in Frankreich haben zwar einige gegen den harten Kurs demonstriert, wobei die grundsätzliche Zustimmung zu den neuen Regeln groß ist. Gleichzeitig stieg die Impfquote erheblich. Egal, wo wir hinkommen, müssen wir unser Impfzertifikat und unseren Ausweis vorzeigen. Wer sich nicht daran hält, kommt nicht rein. Kinder und Leute, die sich nicht impfen lassen können, bekommen eine Ausnahmegenehmigung mit Test. Die Zahlen fallen hier zur Zeit, allerdings ist das Klima auch noch so, vor allem im Süden, dass man viel draußen sein kann. Und die Schule hat grade erst begonnen.
Manchmal habe ich das Gefühl, die Welt ist irre geworden und denke, dass die Zeiten nur mit Telefon, TV mit drei Programmen, Radio und Tageszeitung gar nicht mal so schlecht waren.