Es sind schockierende Videos aus dem Kriegsgebiet - sie zeigen die Tötung ukrainischer Soldaten, nachdem sie sich ergeben haben. Kiew sieht darin eine russische Taktik, die auf beiden Seiten Angst verbreiten soll.
"Aufnahme läuft", sagt eine Stimme auf Russisch im Hintergrund des Videos. Ein maskierter Mann in russischer Uniform richtet sein Gewehr auf einen jungen ukrainischen Soldaten. Dieser liegt mit verbundenem Oberschenkel auf einem Waldboden. "Hast du noch letzte Worte?", fragt der Maskierte, "willst du vor dem Tod beten?"
Der junge Mann schaut und schweigt. Dann feuert der maskierte Soldat mehrere Schüsse auf den unbewaffneten Ukrainer ab. Der Schütze wirkt dabei vollkommen ruhig. Der Körper des ukrainischen Soldaten bäumt sich auf und liegt dann bewegungslos auf dem braunen Waldboden.
Ukrainische Drohnen sammeln Beweise
Seit dem Beginn der russischen Großinvasion tauchen immer wieder Fotos und Videos auf, die Tötungen ukrainischer Soldaten durch russische Invasoren zeigen sollen. Sie können aus russischen Quellen stammen oder sind Aufnahmen ukrainischer Drohnen, sagt Petro Jazenko. Er ist Sprecher des "Koordinierungsstabs" in Kiew. Dieser besteht unter anderem aus Vertretern der Armee, des Geheimdienstes sowie des Verteidigungsministeriums und ist für ukrainische Kriegsgefangene und Zivilisten in russischer Hand zuständig.
Jazenko sagt, die Fälle, die von ukrainischen Drohnen gefilmt worden seien, zeigten unbewaffnete ukrainische Soldaten, die sich gerade ergeben hätten, beispielsweise aus einem Unterstand heraus.
Kiew meldet Zunahme von Exekutionen
Das Video, das die Hinrichtung des ukrainischen Soldaten zeigen soll, stamme aus geschlossenen russischen Telegram-Kanälen, die man systematisch beobachte, so Jazenko.
Allein zwischen Dezember 2023 und Februar 2024 registrierte die UN-Mission zur Beobachtung der Menschenrechte in der Ukraine die Tötung von 32 Soldaten an zwölf unterschiedlichen Orten. Die Zahl solcher Hinrichtungen habe zugenommen, berichtet Jazenko. Das bedeute, dass dies eine staatliche russische Politik sei und nicht auf Initiative einfacher Soldaten geschehe.
Angehörige von Gefangenen sind besorgt
Der "Koordinierungsstab" in Kiew ist eine wichtige Anlaufstelle für Angehörige von Soldaten und Zivilisten in russischer Hand. In der Nähe des Gebäudes haben sich Frauen versammelt. "Wann werden die Asow-Leute ausgetauscht?", steht auf selbstgemachten Pappschildern.
Margarita Manschos Verlobter kämpfte nach dem russischen Angriff auf Mariupol im dortigen Stahlwerk und musste sich auf Befehl des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj schließlich in russische Gefangenschaft ergeben. Ihren Verlobten habe sie seit weit mehr als zwei Jahren nicht gesehen, sagt die 31-Jährige. Meist vergesse die Gesellschaft die Asow-Gefangenen und andere.
"Wir sind jeden Tag hier"
"Wir sind jeden Tag hier vor dem Koordinierungsstab, um die Gesellschaft und die Mitarbeiter des Stabs zu erinnern," berichtet Manschos. Auch Angehörige von Zivilisten in russischer Gefangenschaft seien hier, denn diese würden auch nicht ausgetauscht.
Das Video der mutmaßlichen Hinrichtung des ukrainischen Soldaten hat die Frauen alarmiert - auch Margarita Manschos: "Dass Gefangene hingerichtet werden, ist bezeichnend, denn das ist in Russland bereits zu einer Art Norm geworden."
Violetta Schokowas Ehemann kämpfte ebenfalls in Mariupol. Er wurde nach seiner Gefangennahme in einem russischen Schauprozess zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Video habe sie schockiert und sie habe Beruhigungsmittel nehmen müssen, sagt die junge Juristin. "Ich werde schon verrückt, wenn ich sehe, wie das einem Fremden geschieht. Was wäre, wenn jemand so erschossen würde, den ich kenne?"
Tötungen sollen auch in Russland Angst machen
Mit der Tötung unbewaffneter Soldaten wolle Moskau in der Ukraine Angst verbreiten, ist Jazenko vom "Koordinierungsstab" überzeugt. Sie seien aber auch ein Signal an russische Soldaten, sich nicht zu ergeben, da sie dann angeblich ebenfalls hingerichtet würden.
Die Täter der Exekutionen seien meist einfache russische Soldaten und Kommandeure. Dank militärischer Aufklärung kenne man Einzelheiten, etwa deren Einheiten oder Rufnamen. Dies sei auch aufgrund des "gläsernen Schlachtfelds" möglich, das durch den Einsatz von Drohnen entstanden sei.
"Wir sehen und hören diese Leute reden. Es gibt abgefangene Gespräche, Fotos und Videos. Und wenn diese Menschen nicht während des Krieges in der Ukraine sterben, dann werden sie gefunden und angeklagt", kündigt Jazenko an.
Von einem Schwert durchbohrt
Der Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, Dmytro Lubinets, musste unterdessen die mutmaßlich extralegale Hinrichtung eines weiteren ukrainischen Soldaten kommentieren. Ein Foto, das von der Staatsanwaltschaft als echt einstuft wird, zeigt einen toten jungen Mann in blutdurchtränkter ukrainischer Uniform offenbar nahe Pokrowsk im Gebiet Donezk. Aus der Leiche ragt ein großes Schwert mit der russischen Inschrift "Für Kursk".