Eigentlich wollten wir uns schon mit den potentiellen Hundesitterinnen getroffen haben, aber durch meine Erkältung habe ich die Rendez-vous verlegt. Nun kommt morgen die 19-Jährige und am Sonntag die 44-Jährige.
Dem Mann haben wir abgesagt. Bevor wir das getan haben, gab es noch eine irritierende Aktion von ihm, die unsere Entscheidung endgültig gemacht hat. Da er zur Zeit kein Auto hat, hatte Chris ihm angeboten, ihn für das Treffen in Metz abzuholen und auch wieder zurück zu bringen. Das sind nur ein paar Minuten Fahrt. Der Typ meldete sich dann nochmal und fragte nach, ob Chris ihn nach dem Treffen hier statt nach Metz nach Thionville bringen könne, weil er seine Freundin besuchen möchte. Chris war ziemlich perplex, als er die sms las, weil Thionville um einiges weiter weg ist als Metz und weil er die Frage völlig unpassend fand. Ich übrigens auch.
Wir hatten schon beim Telefonat (ich hatte mit der Erlaubnis vom Mann den Lautsprecher angemacht) den Eindruck, dass irgend etwas mit ihm für uns seltsam ist und fassten es mit dem Begriff "distanzlos" zusammen. Wir hatten ja schon eine Hundesitterin in Lux, die sehr lieb mit den Tieren war, aber mit ihren vielen Problemen auch anstrengend, zumal sie diese gerne mit uns besprechen und unseren Rat dazu wollte. Es mag sein, dass wir dem Mann unrecht tun, aber da wir beide ein sehr ungutes Bauchgefühl hatten, haben wir es lieber gelassen.
Bevor wir ab 11. Februar in Urlaub fahren, wird die zukünftige Hundesitterin schon mal ein Wochenende die Hunde sitten, um sich einzugewöhnen. Eigentlich sollte das nur eine Übernachtung sein und wir wollten in der Nähe bleiben, falls was ist, um möglichst schnell kommen zu können. Das werden aber nun wohl doch gleich zwei Nächte werden und der "Hintergrunddienst" wird von meinem Exmann übernommen, der in 2,5 Stunden hier sein könnte. Christines Urne wird Samstag, 29.1. um 11 Uhr im Friedwald beigesetzt. Da es Wochenende ist, können Chris und ich gemeinsam hinfahren, was uns sehr freut. Für zwei Übernachtungen können wir aber nicht die Hunde 900 km hin und 900 km zurück karren. Zumal wir den Freitag für die Anreise brauchen, den Sonntag für die Heimfahrt und am Samstag für die Hunde wenig Zeit haben werden.
Christine und wir waren öfter mit ihren Hunden im Friedwald. Ihr hat es gut getan, dort spazieren zu gehen und zu sehen, wie schön der Platz ist, an dem sie ruhen wird. Der Platz wird es nun nicht mehr sein, aber ich bin sicher, das ihr der neue Platz auch gefallen wird. Aber wehe, von dort aus ist nicht der Blick auf die Förde möglich. Dann beantrage ich vor Ort eine sofortige Verlegung.
Ich habe selten eine so starke Frau erlebt wie Christine. Sie war noch im Dezember für eine Woche in Rom. Am 8.12. hat sie dort "Tosca" gesehen und gehört. Sie war auch noch ein letzten Mal in der Katzenschutzstation "Torre Argentina". In der restlichen Zeit hat sie im Hotel viel geruht, betreut von ihren italienischen Freunden, in dessen Hotel sie war und in dem wir auch alle zusammen im vorletzten Oktober waren. Als Ann sie dann 12.12. vom Flughafen abgeholt hat, meinte sie, dass nun alles gut ist. Die Woche Rom und die Oper waren ihr letztes Projekt, das sie noch machen wollte und ihre Ärztin hat sie dabei sehr unterstützt, hatte aber auch Sorge, dass das machbar. Wobei uns allen klar war, dass Christine schon in Rom hätte sterben können.
Unsere Wochenenden, die wir mit ihr verbrachten, waren voller Leben und ich staunte über ihre Energie, die sie dabei zeigte, obwohl die Chemo sehr anstrengend war. Dabei kam es aber auch zu skurrilen Situationen: An einem Wochenende wollte sie mit uns in einen Park und danach in ein uriges Cafe mit hausgemachten Kuchen und Torten im Park, weil sie das gerne als Trauerfeiercafe nehmen wollte. Wir sollten hinterher sagen, wie uns das Cafe gefällt. Also bestellten wir Kaffee und jede Menge Kuchen und Christine kam mit der sehr gesprächsfreudigen Serviererin ins Plaudern:
Christine: "Das Cafe hier ist wunderschön. Eine Freundin hat mir davon erzählt. Es ist so schön dekoriert und hat so eine schöne Atmosphäre"
Serviererin: "Vielen Dank! Leider wird es das Cafe nicht mehr lange geben."
Christine (betroffen
"Oh, warum"
Serviererin: "Die alten Besitzer können das nicht mehr und es gibt niemanden, der es übernehmen möchte. Ich habe hier lange gearbeitet und es ist wirklich ein schöner Arbeitsplatz.
Christine war erst mal kurz sprachlos und fragte dann nach: "Wann schließen Sie"
Serviererin: "Zum 1.1.2020"
Christine spontan: "Das reicht nicht"
Serviererin: "Was meinen Sie?"
Christine: "Ich wollte hier eigentlich meinen Beerdigungskaffee gestalten, aber so schnell bin ich dann doch nicht"
Die Serviererin, etwas überfordert mit der Information, aber durchaus interessiert: "Ach, Sie Arme. Stirbt jemand in ihrer Familie"
Christine: "Ja, ich. Aber erst 2021. Das habe ich mir zumindest fest vorgenommen"
Chris und ich hatten dem Plausch über unseren Kuchenbergen mit Schlagsahne interessiert zugehört und verschluckten uns fast, wobei wir zwischen Lachkrampf und tiefer Traurigkeit schwankten. Die Serviererin hielt sich aber richtig gut, machte nicht auf Mitleid, sondern fragte freundlich nach, was Christine denn hätte, worauf Christine antwortete und die beiden über die verschiedenen Krebsarten fachsimpelten, weil der Neffe vom Onkel der Serviererin auch einen ganz gemeinen Krebs hatte. Dann kassierte die Serviererin ab und Christine bezahlte und gab ihr ein großzügiges Trinkgeld. Die Serviererin wollte sich extra nett bedanken und meinte zu Christine: "Dann wünsche ich Ihnen mal, dass Sie ganz schnell ein schönes Cafe für Ihre Beerdigung finden" Christine musste darüber herzhaft lachen und kicherte noch einen Tag immer wieder über den guten Wunsch der Serviererin.
Als sie die Diagnose bekam, gaben ihr die Ärzte bis Anfang Dezember 2020, dann hätte der Krebs gewonnen. Aber nicht mit Christine: Sie fand eine tolle Krebsärztin und stellte klar, dass sie an einer Chemo nur interessiert ist, wenn die Zeit, die sie damit gewinnt, auch eine gute Zeit wäre. Die Ärztin hat ihr daraufhin eine Chemo empfohlen, die eigentlich zweitrangig ist, aber mit weniger Nebenwirkungen behaftet ist. Für diese Chemo müsste sie auch nicht tageweise ins Krankenhaus, sondern könne sie ambulant bekommen. Dafür wäre diese Chemo weniger wirkungsvoll und es gäbe danach nur eine Alternative, wenn sie diese Chemo, was irgendwann passieren wird, nicht mehr verträgt oder die Chemo nicht mehr wirkt. Würde sie die Erstrangige nehmen, gäbe es noch zwei Optionen anstatt nur einer.
Da es bei Christine aber nie um Heilung ging, sondern um eine palliative Behandlung, war das für sie nicht wichtig. Sie wollte noch viel machen. Sie wollte gerne mehr Lebenszeit, aber nicht um jeden Preis. Also entschied sie sich für die zweitrangige Chemo. Wobei die Nebenwirkungen dabei auch übel waren. Die Chemo bekam sie wöchentlich, nach drei Wochen hatte sie eine Pause, danach ging der nächste Zyklus los. Der Tag der Chemo und der Tag danach war übel, aber die folgenden Tage waren gute Tage.
Unsere gemeinsame Romreise Mitte Oktober 2020 legten wir in eine Chemopause. Da war schon klar, dass die Chemo nicht mehr so wirkt wie am Anfang, denn sie hatte Lungenmetastasen bekommen. Trotzdem hat sie uns täglich 10 Stunden durch Rom und Umgebung gescheucht, mit einer unglaublichen Energie und trotz Maske, die wir auch im Freien tragen mussten. Sie hat den Leihwagen gefahren und die Tage geplant und wir haben so viel gesehen und hatten eine traumschöne Zeit.
Masken abnehmen in der Öffentlichkeit war nur erlaubt, wenn man irgendwo saß. Es gab auf den Plätzen in Rom viele Bänke, aber die waren immer belegt, weil viele Leute gerne mal bei den warmen Temperaturen die Maske abnehmen wollten. Christine brauchte von Zeit zu Zeit eine Pause in den Straßen von Rom, in der sie mal sitzen und ohne Maske atmen konnte, um sich ein bisschen auszuruhen, bevor sie uns weiterscheuchte. Sie war aber verständlicherweise nicht erpicht darauf, mit Fremden auf einer Bank zu sitzen mit der Gefahr der Ansteckung, denn die Zahlen in Rom explodierten grade. Dann kam mein Auftritt: Ich suchte mir eine Bank aus, auf der nur zwei Leute in entsprechendem Abstand saßen und noch Platz für eine dritte Person war. Dort nahm ich Platz, grüßte freundlich, nahm die Maske ab und begann ein bisschen zu schniefen und zu hüsteln oder zu husten, worauf sich die Bank in der Regel recht schnell leerte. Dann winkte ich Christine, Chris und Andrea herbei und wir genossen Rom eine Zeitlang im Sitzen.
So viele schöne Erinnerungen und immer wieder muss ich auch breit grinsen, wenn ich an unsere gemeinsame Zeit denke. Als wir uns anfreundeten, wusste ich nicht, dass es nur eine relativ kurze gemeinsame Zeit werden wird und wir hatten auch unsere schlechten Tage. Kurz vor ihrer Diagnose hatten wir richtig Zoff miteinander und eine Zeitlang keinen Kontakt. Das tut mir immer noch leid. Trotzdem waren die fast 3 Jahre, in denen wir befreundet waren, so intensiv. Wir waren uns schnell einig, dass wir einander mögen und schätzen und daraus wurde sehr schnell eine tiefe Liebe. Ich bin traurig, aber trotzdem so dankbar für jeden Moment, den wir miteinander hatten und ich habe so viel von ihr und über mich gelernt.
Als die Diagnose stand und klar war, dass es der Krebs war, der am tödlichstem ist und ihre Prognose bitter, war ich verzweifelt. Ich wollte nicht schon wieder meine liebste Freundin verlieren. Gleichzeitig wollte ich sie unterstützen, so gut es mir möglich war und Christine hat es mir so leicht gemacht. Wir konnten zusammen lachen, weinen, uns freuen und schöne Erlebnisse teilen.
Als meine vorherige liebste Freundin durch einen umstürzenden Baum starb, als Chris und ich in Österreich Urlaub machten, war ich monatelang neben der Spur. Noch heute tut mein Herz weh, wenn ich an sie denke. Sie war von einem Moment auf den anderen "weg", für ein paar Stunden hirntot, dann ganz tot. Völlig unerwartet. Ich hätte nie gedacht, dass sie sterben könnte. Wir hatten oft von einer Alten-WG phantasiert, in der wir im hohen Alter gemeinsam leben würden. Mit Zivis, die unsere alten Hunde um den Block führen und Joints bauen können und "Essen auf Rädern".
Bei Christine ist es anders. Dadurch, dass wir so oft Gelegenheit hatten, uns voneinander zu verabschieden, in dem Wissen, dass wir uns vielleicht nicht wieder sehen werden, tut es zwar weh, ist aber wesentlich akzeptabler. Ich habe schon um Christine getrauert, als sie noch lebte. Wir haben jeden Moment genossen, aber die Prämisse war, dass unsere Zeit verdammt begrenzt ist. Bei meiner anderen Freundin war ich fälschlicherweise sicher, dass wir noch so viel Zeit haben.
Ich habe als Kind und kurz als Jugendliche in Flensburg gelebt und wollte da eigentlich nie nie wieder hin, weil es nicht die beste Zeit meines Lebens war. Ich war erst 2014 mit Chris für eine Woche wieder dort, um ein paar Dinge besser einzuordnen und zu verarbeiten. Das lief gut und danach dachte ich, Flensburg sei abgeschlossen. Als Christine und ich uns später anfreundeten, stellten wir fest, dass wir sehr viel gemeinsam haben und uns gleichzeitig auch sehr viel trennt. Wir waren auf demselben Gymnasium und hatten die gleichen Lehrer. Sie war zwar 4 Jahre jünger als ich, aber in ihrer Klasse waren jüngere Schwestern oder Brüder meiner Klassenkameraden. Sie lebte mit ihrer Familie in der besten Gegend von Flensburg in einem großen Eigenheim und ich in einer Militärsiedlung in einer 65qm-Wohnung in einer nicht so guten Gegend. Ihre Urlaube als Kind gingen in ferne Länder, meine Eltern und ich machten Urlaub im Zelt. Wir haben oft sehr gelacht, wenn wir unsere Erinnerungen abgeglichen haben und ich habe gelernt, dass die reichen Familien, die ich nur aus der Ferne kannte, ähnlich gestört sein können wie die armen Familien. Wobei es sich mit Geld noch ein bisschen leichter weint als ohne. Und nun hat sie mir quasi Ann als Freundin vererbt. Anns Vater war mein Lehrer und ihre Stiefschwester war meine Klassenkameradin.