Weil ich mich gerade über deine Aussage sehr geärgert habe.
Nee, im Ernst: Natürlich können wir diskutieren. Aber ich habe mich
wirklich geärgert.
Lass mich kurz erklären, wieso.
Das gerät jetzt allerdings etwas OT, denn über die Versuche an den Affen in Bremen wären wir vermutlich sogar einer Meinung (ich sage "vermutlich", da ich über diese Versuche im Detail gar nichts weiß und schlichtweg nicht weiß, wie ich sie beurteilen sollte).
Also:
Es fing mit Pommels Aussage an:
Pommel schrieb:
Aber es geht ja schliesslich um Reputation, Veroeffentlichungen, in der Fachliteratur seinen Namen genannt bekommen, Fortschungsgelder, Labore, Mitarbeiter .... lauter so wichtige Sachen, wo einige 'Wissenschaftler' anscheinends nur schwer drauf verzichten koennen/wollen
!
Diese Aussage suggeriert, dass Wissenschaftler ihre Veröffentlichungen eigentlich nur zur Befriedigung ihres Egos schreiben, und weil es so g.eil ist, den eigenen Namen gedruckt zu sehen. Mitarbeiter sind der Hofstaat, den der Professor sich hält, und er könnte auf all das verzichten, wenn er nicht so ein selbstverliebter Größenwahnsinniger wäre.
Diese Interpreation geht komplett am Alltag eines Wissenschaftlers an einer Universität vorbei und tut sogar den eitelsten von ihnen bitter Unrecht - zumindest in den Naturwissenschaften, und da spreche ich aus eigener Erfahrung.
Selbst wenn ein Forscher an der Uni liebend gern auf das Schreiben von Veröffentlichungen verzichten würde - womit außer ihm niemand von seinen Ergebnissen erfährt, aber immerhin muss er sich dann auch nicht mit dem Schreiben abquälen - er
könnte es nicht.
Warum nicht?
Das ganze ist ein ewiger Kreislauf, aber fangen wir mal relativ weit oben an: Die einzige Chance, an der Uni noch einen unbefristeten Vertrag zu bekommen, ist die Professur. Unbefristete Stellen im Mittelbau gibt es so gut wie keine mehr. Willst du Professor werden, musst du habilitieren. Und für die Habilitiation brauchst du Veröffentlichungen. Die Zahl ist in den verschiedenen Habilitationsordnungen vorgeschrieben, manchmal ist sogar festgelegt, dass mindestens x Veröffentlichungen in "wichtigen" Journalen sein müssen, die, flappsig gesagt, nicht alles drucken, was eingereicht wird.
Das führt dazu, dass die Leute teilweise ihre Ergebnisse so oft wiederkäuen, wie möglich, um sie irgendwo unterzubringen, oder stückeln, oder, oder... Hauptsache, sie kriegen ihre Liste voll.
Irgendwie muss man ja überprüfen können, ob jemand gute Forschung macht oder nur vor sich hinprökelt und nichts dabei herauskommt. Es wird also einfach gezählt. Und ein bisschen gewichtet... Nature Genetics schlägt das Moldawische Journal für Mikorbiologie um Längen, so in der Art. Viele Veröffentlichungen, gute Journale, viele Erstautorschaften (oder Seniorautorschaften) = gut. Alles andere = nicht so gut.
(Ich sage nicht, dass ich das gut finde, nur, wie es ist.)
Aber auch als Professoren hört das nicht auf, denn die Uni stellt meist nur die Räume, die Grundausstattung an Geräten, ein paar wenige Stellen für Mitarbeiter, und den Rest musst du woanders herbekommen.
Das gleiche gilt auch dann, wenn du nicht habilitierst, oder habilitierst, aber eben nie zum Professor berufen wirst (denn die Habilitation heißt nur, dass du Prof. werden darfst, nicht, dass du es bist.)
Dann kannst du theoretisch mittlerweile ewig an der Uni bleiben, wirst aber immer nur befristete Verträge bekommen und musst die Mittel dafür, also im Prinzip dein eigenes Gehalt (und das deiner Mitarbeiter), aus anderer Quelle einwerben.
Woher?
ZB von der Deutschen Forschungsgesellschaft, Stiftungen, Selbsthilfegruppen (wenn du über Krankheiten forschst), der Deutschen Krebshilfe - oder auch von der Industrie.
Dafür musst du Anträge schreiben. Und was brauchst du für die Anträge, um nachzuweisen, dass deine Arbeit förderungswürdig ist? - Richtig, Veröffentlichungen.
Nicht umsonst kursiert in Amiland der Spruch: "Publish or Perish" (Veröffentliche oder geh zugrunde)
Zu fordern, dass ein Wissenschaftler auf das Veröffentlichen verzichtet, ist etwa so sinnvoll, wie von einem Verkehrspolizisten zu verlangen, dass er seinen Job auf Rollschuhen macht, da das besser für die CO2-Bilanz ist - und ihm vorzuwerfen, sein schnelles Auto würde er nur fahren, um sein Ego zu befriedigen.
(Besseres Beispiel ist mir grad nicht eingefallen, tut mir leid.)
Natürlich gibt es auch eitle Wissenschaftler - wie es überall eitle und uneitle Leute gibt. Auch machtgierige. Aber die meisten mir bekannten Exemplare leben das dann eher über diverse Pöstchen und Vorsitze in irgendwelchen Gremien aus, weniger in der Art, wie sie ihre Experimente entwerfen.
So - und warum brauchen Forscher nun Mitarbeiter, für die sie Gelder einwerben müssen? Können sie nicht allein im stillen Kämmerlein die Pipette schwingen?
Abgesehen davon, dass es für Nachwuchswissenschaflter fast der einzige Weg ist, an Arbeit zu kommen, forscht es sich erstens im Verbund besser.
Zweitens lohnen sich manchen Großgeräte erst, wenn man sie für eine Gruppe anschafft, denn sie sind teuer.
Und drittens sind Projektleiter heute durch vielfältige Vorschriften usw. so sehr damit beschäftigt, Verwaltungsaufgaben wahrzunehmen, Lehre abzuhalten und - richtig - Anträge zu schreiben, dass die allerlallerwenigsten Arbeitsgruppenleiter noch selbst dazu kommen, im Labor zu stehen. Sie können Forschung nur noch organisieren und ihre Mitarbeiter betreuen.
Ohne Mitarbeiter keine Arbeit, die man veröffentlichen könnte, also kein Geld, also im Fall eines normalen Wissenschaflters ohne Professorenstelle, keine Mittel, also kein Gehalt - da beißt sich die Katze in den Schwanz.
Wieder: Ich sag nicht, dass ich das gut finde, nur, wie es ist.
Dann hast du geschrieben:
Anubis schrieb:
In den Laboren wird gerne "Gott" gespielt und die armen Tiere müssen unnötig leiden!!!!
1. Da die allermeisten Naturwissenschaftler Atheisten sind, spielen sie nur sehr ungern Gott.
Nun kann man drüber diskutieren, ob wissenschaftliche Experimente, die an oder unter Verwendung von Tieren durchgeführt werden, grundsätzlich unnötig sind.
In dem Fall würden alle diese Tiere unnötig getötet, und die, die leiden, tun das unnötig.
Pommel, die sogar ihre Hunde vegetarisch ernährt, hat vermutlich hier einen ganz klaren Standpunkt, den ich (wenn ich richtig liege, und auch sonst) respektiere, aber nicht teile.
Ob ein Experiment, das auf Tiere angewiesen ist, grundsätzlich unnötig ist, finde ich im Einzelfall schwer zu beurteilen. Sehr viele davon werden tatsächlich nicht am Tier durchgeführt, sondern es wird auf tierisches Gewebe zurückggegriffen. Das Tier wird also getötet (oder es wird ihm Blut entnommen) und seine Organe werden für den Versuch verwendet.
Andere Tiere werden geschlachtet und gegessen oder zu Schuhen verarbeitet. Für mich ist das vom Vorgang her kein wesentlicher Unterschied. Wer Fleisch isst - oder tierische Produkte aus Massentierhaltung zu sich nimmt - kann gegen diese Art des Einsatzes von Tieren in der Forschung schwerlich etwas haben. (Vorausgesetzt, es handelt sich um "sinnvolle und notwendige" Experimente und es wird respektvoll mit dem Tier umgegangen.)
Wenn Forscher, die für ihre Versuche auf Mäuse, Ratten und Kaninchengewebe angewiesen sind, "Gott spielen", tut das jeder, der Fleisch isst, genauso.
Ich will das alles gar nicht schönreden. Natürlich haben Labortiere kein richtig schönes Leben, genausowenig wie die meisten Schlachttiere. Aber auch kein so schlechtes, denn sie werden nach Vorschrift versorgt, nicht vernachlässigt, stets gesäubert und gefüttert, wenn auch mit etwas fader Einheitskost. Die Plexikäfige sind zwar klein, aber es sitzen äußerst selten Ratten oder Mäuse oder Meeris in Einzelhaft. Ob es einem im Zoogeschäft zu Weihnachten verscherbelten Kleinnager oft wirklich so viel besser geht, sei mal dahingestellt... aber wie gesagt: Damit meine ich nicht, das Labor sei das Paradies, oder will irgendwas rechtfertigen.
Leiden Tiere in diesen Versuchen? - Sicherlich schon deshalb, weil ja Tiermodelle für bestimmte Krankheiten (etwa Mäuse mit Mukoviszidose oder Diabetes oder einer Neigung zu bestimmten Tumoren) nicht unter das Qualzuchtgesetz fallen.
Aber sie leiden auch so gelegentlich, und das dann wirklich unnötigerweise, wenn:
- Wissenschaftler schlampig arbeiten
- keine gescheite Zeitplanung hinkriegen, und sich etwa Tiere in einem gewissen Alter "bestellen", dann aber doch im Urlaub sind, und die Viecher einfach bei sich im Labor "vergessen"
- technische Mitarbeiter Fehler machen (und statt einer Maus mit Fettsucht eine hochtragende Maus liefern... - oder das Narkosemittel verwechseln, oder...)
Alle diese Fälle sind bei uns an der Hochschule im Laufe der 8 Jahre, die ich da gearbeitet habe, passiert, und die jeweils Verantwortlichen haben richtig Ärger bekommen.
Und das nicht, weil Tiere "Geld kosten", sondern weil bei uns das Tierhaus seine Aufgabe sehr ernst genommen hat.
- Leute es gut meinen, sich also Tiere etwa für eine Organentnahme "bestellen", dann Muffensausen kriegen und das Experiment abblasen, ohne sich zu überlegen, was das für die Tiere bedeutet (s.o. - die Tiere müssen getötet werden, und würden gar nicht existieren, wenn die Betreffenden sich vorher überlegt hätten, dass sie keine Ratten töten können)
...oder ähnliches.
In keinem dieser Fälle haben die Leute "Gott gespielt" - sie haben sich im Gegenteil sehr menschlich verhalten. Wenn auch nicht im positiven Sinne.
Gott ist, soweit mit bekannt, barmherzig oder sollte es zumindest sein. Gedankenlos oder faul oder ignorant sind nur Menschen.
Und Tierversuche während des Studiums... kann jetzt nur für meinen Studiengang (Biochemie) sprechen, aber da ist das nicht (mehr) wirklich der Fall.
Der einzige Fall, in dem tatsächlich Studenten mit ausgedehnten Tierexperimenten konfrontiert sein könnten, der mir spontan einfällt, ist, wenn Medizinstudenten eine Laufbahn in der Wissenschaft anstreben und eine entsprechende Doktorarbeit machen (die dort oft parallel zum Studium läuft).
Das ist aber zum Glück nur eine Minderheit.
Das "der Wissenschaftler an sich" (oft ein Biologe, Chemiker oder Biochemiker) bereits in seinem Studium immer wieder mit Tierexperimenten konfrontiert wird bzw. diese schon im Studium weit verbreitet sind, ist nicht wahr.
So. Das trifft nun alles auf die Bremer Versuche genauso zu wie auf jede andere Art der Forschung.
Das heißt nicht, dass man deswegen über die Bremer Versuche nicht diskutieren sollte oder darf: Natürlich wird es immer wieder strittige Forschungsgebiete geben, natürlich darf "Forschung" nicht alles dürfen.
Vielleicht sind die Bremer Versuche nötig, vielleicht nicht. Vielleicht sind sie für die Hirnforschung von immenser Bedeutung, auch für die Entwicklung neuer, tierversuchsfreier Methoden (denn die muss man, um zu wissen, ob sie funktionieren, auch kontrollieren, wenigstens anfangs), vielleicht nicht.
Vielleicht ist der betreffende Herr Professor ein bisschen sehr von seinem Forschungsgebiet fasziniert, um sich noch zu fragen, ob es ethisch vertretbar ist, was er macht - oder vielleicht ist es ethisch vertretbar.
Wenn ich seine Äußerungen über Doktorarbeiten und ähnliches lese, die nicht zuende geführt werden können, denke ich, der ist eher zu sehr in seinem Forschungsalltag eingebunden als dass er meint, er sei Gott.
Aber darum jetzt gleich wieder Tiraden über alle Wissenschaftler abzulassen, finde ich mehr als nur ein bisschen daneben. Das ist genau wie mit den SoKas, die alle irgendwann durchdrehen und kleine Kinder zerfleischen. Ne grobe, unzutreffende und äußerst unfaire Verallgemeinerung.
LG,
Lektoratte