Und wie gesagt, ich fürchte, dass dieses oberflächliche verbieten nichts an der Einstellung der Menschen ändert, die rassistisch denken.
Ich finde hier muss man 2 Ebenen unterscheiden.
Oberflächlich betrachtet hast du völlig recht. Jemand kann sich formal an alle "Sprachgebote" halten, diese sogar verteidigen (eben weil ihm das Einhalten gar nicht weh tut), aber auf viel bedeutsameren Ebenen trotzdem zutifestt rassistisch agieren. Auf Ebenen, die im Einzelfall viel mehr schaden als wenn er die Wörter mit N oder Z benutzen würde.
Konkret: Jemand, der eine Wohnung zu vermieten oder einen Job zu vergeben hat, kann einer PoC den Zuschlag erteilen und danach freudig rumerzählen, dass in seinem Haus/seiner Firma demnächst ein N**** wohnt/arbeitet.
Und jemand anderes kann politisch korrekt formuliert eine Absage erteilen, weil er keine PoC in seinem Haus/Firma wohnen haben will.
Diese Dinge (Sprache und Verhalten) können korrelieren (und tun sie meist) müssen aber eben nicht.
Und natürlich - im schlimmsten Fall nutzt jemand sogar seine überkorrekte Ausdrucksweise, mit der er nie andere diskriminieren würde, um damit tieferliegendes rassistisches Verhalten zu überdecken, entschuldigen, bagatellisieren und abzustreiten.
Gibt es alles. Dürfte aber selten sein.
Der häufigere Fall dürfte sein, dass Sprache und Änderungen der Sprache sensibilisiert und Aufmerksamkeit schafft. Und im Idealfall über den konkreten Fall bzw. das konkrete Beispiel hinaus, für ein grundsätzliches Problem.
Ich war von diesen Debatten bisher wenig betroffen. Ich bin in einem Elternhaus aufgewachsen, was extrem linkspolitisch gepägt war. Mir wurde schon mit der Muttermilch eingeimpft, dass man Negerkuss und Mohrenkopf nicht sagt. Auch dass Eskimo, Indianer und Zigeuner keine netten Wörter sind habe ich spätestens im Grundschulalter gelernt. Ich hab auch nie Cowboy und Indianer gespielt. Die früher verbreitete Redewendung "bis zur Vergasung" hat es in meinem Umfeld nie gegeben und mit ca. 12 hörte ich sie zum ersten mal und war entsetzt, weil mein ganzes Mindset sie eben sofort ins dritte Reich eingeordnet hat. Das heißt die meisten "Forderungen der Sprachpolizei" waren für mich nie neu - und es ist immer einfach anderen zu sagen "gewöhnt euch gefälligst mal um", wenn man das bisher nie tun musste.
Und dann hat mir letztes Jahr jemand in einer Facebookdiskussion, die ich nach einem provokanten Beitrag beendete mit "jetzt steinigt mich" eine Nachricht geschrieben mit dem Hinweis, dass noch immer täglich Menschen in anderen Ländern aus nichtigen Anlässen zu Tode gesteinigt werden. Legal (in deren System). Und dass es ein schrecklicher Tod ist. Und ob ich es angemessen finde, das so als Stilmittel zur Untermauerung meiner Argumentation zu nutzen. Und ja, das stimmt tatsächlich! Ich musste arg schlucken, aber es stimmt. Es passiert mir immer noch ab und zu. Niemand erwartet, dass jemand, der das schreibt oder der Zigeunerschnitzel sagt oder Negerkuss dafür (Achtung auch so eine böse Falle: ) "standesrechtlich erschossen" wird. Ich würde noch nicht mal erwarten, dass derjenige, dem es rausrutscht (solange es eben eine Privatperson ist) das groß zum Thema macht oder sich entschuldigt, aber vielleicht einfach nur für sich denkt "ups, nächstes mal versuche ich dran zu denken". Und so können diese Ausdrücke und Redwendungen peut a peut verschwinden.
Und das werden sie - über unsere Kinder. Weil nämlich jedesmal wenn wir Pippi Langstrumpf gucken und vom Negerkönig die Rede ist, ich dazu sage, dass das kein schöner Ausdruck ist, weil er eigentlich bedeutet, dass Menschen mit heller Haut besser sind als Menschen mit dunkler Haut. Und dann sind sie empört, weil die geliebte Klassenlehrerin meiner Tochter eben auch nicht hellhäutig ist und einer der besten Freunde meines Sohnes auch nicht.
Und wenn Opa Mohrenkopf gesagt hat, habe ich die Kinder an die Seite genommen und erklärt, dass der Opa alt ist und das sein Leben lang so gesagt hat und sich nicht mehr umgewöhnen kann oder möchte. Und dass auch der Papa es darum von Kind an so gelernt hat und noch oft sagt, aber dass man heute eben weiß, dass manche Menschen dann traurig werden und wir darum versuchen sollten, es nicht zu sagen. Ganz ohne Drama. Und obwohl mein Mann leider eher von der Fraktion ist "Ich hab kein Bock mich umzugewöhnen", lernen meine Kinder es von mir anders. Und da ich diejenige bin, die erklärt und thematisiert, übernehmen sie es eher von mir. Und mein Mann versucht wenigstens sich vor den Kindern zusammen zu nehmen. Und sei es nur, weil er nicht will, dass SIE diese Diskussionen auch irgendwann führen müssen.
So lernen Kinder von ihren Eltern und das ist eine große Macht, denn die, die darauf beharren, Dinge so nennen zu dürfen, die sterben irgendwann aus. Wir haben das in der Hand.
Und manche Dinge lernen die Eltern auch von den Kindern. Z.B. war ich immer jemand, der es überhaupt nichts ausmachte, wenn nicht gerndergerecht geschrieben/gesprochen wurde. Für mich war das völlig okay, dass ich mit "Liebe Studenten" mit gemeint war. Ich brauchte keine "StudentInnen oder Studierende". Für mich war das nicht wichtig. Als ich letztens zu meiner Tochter sagte, dass sie im Hörspiel der Klasse "Erzähler 1" spricht, sagte sie voller Überzeugung "Erzählerin 1 meinst du" - und obgleich es mir nie wichtig gewesen wäre, finde ich es toll, dass sie das für sich so klar hat. Sie muss sich nicht mehr "mitangesprochen" fühlen. Auch wenn das für mich okay war und ist, muss es das für sie nicht auch sein. Punkt. Wieder was gelernt