Die Themen des Artikels sind nicht neu, nein. Aber du darfst es ja nicht mehr aussprechen. Damit - und mit dem warum - beschäftigt sich der Artikel auch. Wir können in D vor falscher PC bald nicht mehr aus den Augen gucken und stehen uns massiv selbst im Weg ...
Offenbar haben wir in den letzten 30 Jahren in sehr verschiedenen Teilen dieses Landes und dieser Gesellschaft gelebt.
Wo ich herkomme, gab es durchaus auch Leute, die in übertriebener Art und Weise meinten, man dürfe nix zu nix sagen und nie ein reaktionäres Wort verlieren, schon gar nicht über Linke und Ausländer. Und dann gab es eine große Gruppe, ich würde sogar sagen, die Mehrheit, zumindest in meinem Umfeld, die hielt es genau anders herum.
Da wurden "unbequeme Wahrheiten" ausgesprochen, dass es eine helle Freude war (oder du sie gehabt hättest) - lange bevor sie überhaupt zu solchen
wurden.
Interessanterweise bei uns auf dem Dorfe mehreheitlich von Leuten, die Türken, Italiener etc. maximal an ihren schwarzen Haaren erkannt hätten, weil ihnen die praktische Erfahrung fehlte.
Garniert stets mit einem: "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen - aber darf man ja heute alles nicht mehr" - Was den Dorfstammtisch nicht daran gehindert hat, es trotzdem zu tun. Musst halt zur CDU gehen, da hat man damit
absolut kein Problem. Nicht heute, und auch schon vor 20 Jahren nicht.
Anderswo aber auch nicht - meine SchwiMu hat jahrelang in der Postzustellung gearbeitet. Sie ist zwar Gewerkschaftsmitglied, aber (intellektbedingt) völlig unpolitisch - was sie so von sich gibt, ist einfach ein Destillat aus dem, was der überwiegend deutsche Postzusteller einer niedersächsischen Kleinstadt bei der Arbeit mit den Kollegen zu bereden hat, und da sah es nicht anders aus. Ab und zu (bei ihre eher selten) mit dem Zusatz "darf/soll man ja so nicht sagen", oder einem betonten "unsere ausländischen Mitbürger" - aber dass sich irgendwer dort tatsächlich damit zurückhält, "etwas" zu sagen, habe ich
so nicht beobachten können.
Dieses Bulletin "ausländischer" Straftaten... das gab es in unserem zeitweise doch schon sehr rechtskonservativem Umfeld übrigens wöchentlich frei Haus, in der "Deutschen Wochenzeitung"... An die mich diese Aktion denn auch extrem erinnert, auch wenn ich denke, @Consultanis Motive sind denn doch andere...
- Es liegt einfach an der Ähnlichkeit der Präsentation.
Mit diesem Hintergrund muss ich mich jetzt natürlich fragen, ob all diese Leute, obschon ihr Blick selten über ihre Heimatgemeinde hinausgereicht hat, Propheten waren, die teils die Reaktionen von Moslems blind vorhersagen konnten, ohne selbst welche zu kennen, ebenso wie Dr. Frey und Konsorten...
Oder ob es sich nicht doch eher um eine selbsterfüllende Prophezeiung gehandelt hat?
2001 lebte ich schon mehrere Jahre in einer Großstadt. Also, keiner ganz großen, aber schon einer größeren Stadt, in der ich typsich studentisch viel mit den Öffis oder dem Fahrrad unterwegs war, auch mal nachts und allein. Und nicht ganz blind durchs Leben ging. Und gerade um die Jahrtausendwende beruflich auch viel mit Moslems und islamischen Ländern (konkret: Palästina und Jordanien, über eine Kollegin auch mit Syrern) zu tun hatte-
Trotzdem war ich bass erstaunt, als nach dem 11. September sehr viele Leute in meinem traditionell liberalten Hochschulumfeld der Ansicht waren, jetzt ginge hier der Dschihad los, und sich in bestimmten Straßen oder Vierteln nicht mehr so gern aufhalten wollten. Irgendwie kultivierten erschreckend viele den Hintergedanken, "die Moslems" wären alle in ihrem Hinterkopf ziemlich radikale Gesellen und hätten "allesamt" oder "mehrheitlich" nur auf das Losschlagen gewartet.
Ich konnte das einfach nicht nachvollziehen - die Moslems, die
ich kannte, hatten genauso viel Angst wie alle anderen, und befürchteten eher, man zündet
ihnen jetzt die Bude an.
Wie wir heute wissen, passierte damals zum Glück weder das eine, noch das andere. Jedenfalls
nicht gleich.
Und für einen, wenn auch sehr kurzen, Moment, sah es tatsächlich so aus, als könne dieses Ereignis in seiner Dramatik die gemäßigten Kräfte in der Welt auf beiden Seiten - Muslimisch und "westlich" (christlich/jüdisch/areligiös) im Kampf gegen den Irrsinn vereinen.
Das hielt so zwei, vielleicht drei Tage lang.
Und dann - passierte das Gegenteil.
Die Regierung Bush und wer auch immer dahintersteckte, benahm sich etwa so subtil wie die Regierung Erdogan heute, und alles, was als Schutz- und Abwehrmaßnahme danach passierte, führte irgendwie dazu, dass wir
heute genau die Situation haben, die
damals befürchtet wurde.
Was auch immer passiert ist, hat nicht dazu geführt, dass Menschen aller Religionen gegen Terroristen zusammenhalten, sondern dass sich in der Tat noch mehr Moslems dem Terror zugewandt haben, weil sie zu dem Schluss gekommen sind,
die Terroristen hätten Recht.
Wie auch immer das genau passiert ist - auch "wir" bzw, unsere Politiker und
im Besonderen die in den USA haben es vergurkt.
Das
ist so (auch wenn ich nicht ganz durchblicke, warum eigentlich - die nächsten paar Jahre meines Lebens waren dem Spacko sei dank sehr unpolitisch), und mit den Folgen leben wir jetzt.
Hat sich was geändert? - Teils vielleicht insofern, als gewisse Leute jetzt Grund für ihre Klagen über andere Volksgruppen haben, den sie vorher nicht in dem Maße hatten. Aber die Klagen sind, zumindest bei den Leuten, die ich kenne, dieselben.
Also, dass man etwas "nicht mehr aussprechen darf"... das war bei uns vielleicht in den 1980ern so. Wenn überhaupt. Aber schon Anfang der 1990er hat sich das massiv geändert. (Ausnahme allerding: Das traditionell rote und nachher rot-grüne Bremen. Die hatten da Nachholbedarf...) Von daher kann ich das "nicht mehr" nicht nachvollziehen.
Vielleicht ist es im Pott immer noch so, dass manche verantwortlichen Leute meinen, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, und wenn sie lange genug wegsehen, lösen sich die Probleme in Wohlgefallen auf.
Anders kann ich mir diese unterschiedliche Wahrnehmung oder auch Herangehensweise nicht erklären.