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Nachricht: 1
Datum: Mon, 9 Sep 2002 19:43:56 +0200
Von:
[email protected]
Betreff: Re: Ausgabe Nummer 119
Muster Anschreiben an den Presserat:
______________ Aachen, den ____________________
An den
Deutschen Presserat e. V.
Gerhard-von -Are Str. 8
53111 Bonn
Betrifft: Sendung: NetzNatur: Der Kern des Pudels, Die Naturreportage aus der Schweiz, 28.08.2002 - 20:15 Uhr, Moderation: Andreas Moser, (Erstsendung: 23.08.2001), ausgestrahlt bei 3 Sat
Sehr geehrte Damen und Herren,
in oben genannter Angelegenheit nehme ich die unrichtige Berichterstattung dieser Sendung zum Thema \\\"Kampfhunde\\\" zum Anlaß einer persönlichen Beschwerde. Gegenstand der Sendung war die Dokumentation der Geschichte vom Wolf zum Hund.
Bis zum Thema \\\"Kampfhunde\\\" war die Berichterstattung sachlich. Bei diesem Thema wurden Bilder von illegalen Hundekämpfen unterlegt mit der Behauptung: Bei diesen Hunden sei die Fähigkeit zum Erkennen von artgemäßen sozialen Verhaltensweisen weggezüchtet worden.
Bilder aus einer Welpengruppe wurden mit der Aussage unterlegt: Diese Hunde seien nicht in der Lage artgemäßes Sozialverhalten auszuüben. Unterwerfungsgesten würden nicht erkannt/ respektiert, diese Hunde seien außerstande solche Signale zu erkennen und situationsangemessen darauf zu reagieren.
Vorgenannte Behauptungen entsprechen nicht den Tatsachen und finden außerdem keine Stütze in wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Diesbezüglich überreiche ich Ihnen anliegend beispielhaft das Gutachten des Herrn Prof. Dr. Wolfram Hamann zur Frage ob bei bestimmten Hunderassen a priori aufgrund von rassespezifischen Merkmalen von einer gesteigerten Aggressivität und Gefährlichkeit gegenüber Menschen oder Tieren auszugehen ist.
Bitte bestätigen Sie mir den Eingang dieses Schreibens.
Sollten weitere Angaben vonnöten sein bitte ich um Benachrichtigung.
Mit freundlichem Gruß
Und hier das Gutachten:
Prof. Dr. Wolfram Hamann
Gutachten zu der Fragestellung:
Ist bei allen Exemplaren der nachfolgend aufgeführten Hunderassen a priori aufgrund rassespezifischer Merkmale von einer gesteigerten Aggressivität und Gefährlichkeit gegenüber Menschen oder Tieren auszugehen: Pit-Bull,
Bandog, American Staffordshire Terrier, Staffordshire Bullterrier, Tosa-lnu, Bullmastiff, Bullterrier, Dogo Argentino, Dogue de Bordeaux, Fila Brasileiro, Mastiff, Mastin Espanol, Mastino Napoletano, Rhodesian Ridgeback?
I. Ausgangslage
Die gestellte Frage ist m. E. nicht primär juristisch zu beantworten. Vielmehr ist es unumgänglich, dass der rechtsgestaltende oder rechtsanwendende Jurist (Ministerialbeamter, Richter etc.) auf außerjuristische Erkenntnisquellen zurückgreift.
Dies ist nicht ungewöhnlich, allerdings muss die Qualität dieser Quellen (,,Zitierfähigkeit") Unantastbarsein. Hier sind leider grobe Defizite einzelner Verordnungsgeber und Gerichte1 feststellbar. Dabei mag die - fehlerhafte -
Prämisse, einzelne Hunderassen seien a priori ,,böse", durch die Fehleinschätzung, das hundliche Verhalten sei bereits erschöpfend erforscht, begünstigt worden sein.
II. Kritik an der bisherigen Vorgehensweise der Behörden und Gerichte
1. Phantasierassen, Mischlinge
Unklare Rassebezeichnungen können im Folgenden nicht berücksichtigt werden. So ist der Begriff "Bandog" viel zu diffus und wird z.T. als Mix von Pitbull (dazu sogleich) und Mastino verstanden
2. Der Pitbull (korrekt: American Pit Bull Terrier - APBT -) ist in Deutschland keine anerkannte Hunderasse, jedoch vom VGh-1
Mannheim in seiner Grundlagenentscheidung3 für ,,hinreichend bestimmbar" gehalten worden, wovon Pragmatischerweise ausgegangen werden sollte. Bezeichnungen wie ,,Chinesischer Kampfhund" etc. gehören hingegen ins Reich der Phantasie4.
2. Rasselisten
Die kursierenden Rasselisten gehen auf m. E. laienhafte Empfehlungen, wenn nicht gar auf die Yellow Press zurück. Diese willkürlich zusammengestellten - und beliebig um andere Rassen, wie z. B. Rottweiler - erweiterbaren - Listen gehen davon aus, dass einige Rassen (,,Kampfhunde") abstrakt gefährlich seien, sparen
dabei Mischlinge - sofern sie nicht von den jeweils stigmatisierten Rassen abstammen - prinzipiell aus. Die Entstehung dieser Rassenlisten mag z. T. auch auf die fehlerhafte deutsche Übersetzung des Werkes von
Wilcox/Walcowicz zurückzuführen sein6. Jedenfalls ist davon auszugehen, dass einzelne Verordnungsgeber - vermutlich populistisch motiviert - erst einmal Fakten schaffen wollten, bevor gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse vorlagen. Diese legislatorische Vorgehensweise ist äußerst befremdlich.
3. Die Rechtsprechung
Die bisherige obergerichtliche Rechtsprechung ist z. T. viel zu zurückhaltend gewesen. us ,,Sorge", das Prinzip der Gewaltenteilung zu verletzen, wurde dem Verordnungsgeber ein ,,weiter Gestaltungsspielraum" zugestanden und gestattet, ,,erst einmal Erfahrungen zu sammeln"7. Nur so ist es zu erklären, dass die Gerichte bislang darauf verzichtet haben, trotz vorliegender Beweisangebote, eigene Recherchen über die Gefährlichkeit bestimmter Hunderassen zu initiieren. Stattdessen wurden aus vorliegendem Material widerlegbare bzw. fehlerhafte Schlüsse gezogen8.
III. Neue Erkenntnisquellen
Es wurde bereits eingangs betont, dass die Fragestellung letztlich nur unter Zuhilfenahme außerjuristischer Erkenntnisse befriedigend beantwortet werden kann. Diese Erkenntnisse liegen jetzt umfassend vor, m. a. W.: Da
die Rechtspolitik nunmehr hinreichend Zeit hatte, ,,Erfahrungen zu sammeln", ist es auch an der Zeit, legislatorische Fehleinschätzungen zu revidieren. Aufgrund des neuesten Erkenntnisstandes sind folgende Erkenntnisse zu berücksichtigen:
. naturwissenschaftliche (= ethologische und zoologische) Erkenntnisse (1)
. Beobachtungen aus der tierärztlichen Praxis (2)
. statistische Erhebungen (3)
1. Berücksichtigung ethologischer/ zoologischer Erkenntnisse
Erstaunlicherweise befassen sich weltweit nur wenige Naturwissenschaftler mit hundlichem Verhalten. (Dabei ist es wichtig, dass möglichst viele Hunderassen auf breiter Basis nach wissenschaftlich fundierten Parametern untersucht werden).
Nunmehr stellt die bekannte Ethologin Frau Dr. Feddersen-Petersen (Universität Kiel) in ihrem Gutachten vom 11. 4. 97 - auf welches im einzelnen verwiesen wird - klar, dass aufgrund der Analysen zum Sozialverhalten von über 20 Hunderassen keine Hunderasse a priori gefährlich und dass die pauschale Verurteilung von Rassen
wissenschaftlich unhaltbar ist. Danach muss - vereinfacht - beim ungeeigneten Halter und/oder Züchter angesetzt werden.
Zum gleichen Beweisthema liegt weiterhin eine Stellungnahme der Frau Dr. Eichelberg (Universität Bonn) vom 17. 4. 97 vor. Darin wird - aus zoologischer Sicht - eingehend dargelegt, dass eine verallgemeinernde Beurteilung
der Individuen einer Rasse wissenschaftlich unhaltbar und dass der Verwendungszweck einer Rasse keine Rechtfertigung dafür sein kann, einzelne Rassen als gefährlich einzustufen. Die Gutachterin kommt zu dem prägnanten Schluss, dass ein gesunder Hund nicht gefährlich geboren, sondern - unabhängig von seiner Rassenzugehörigkeit zu einem gefährlichen Hund manipuliert werden kann.
Ein weiteres verhaltenskundliches Gutachten des Prof. Dr. Unshelm (Universität München) vom 15. 7. 97 - auf dessen Einzelheiten ebenfalls Bezug genommen wird - weicht partiell von den obigen Stellungnahmen ab. Danach seien bestimmte Hunderassen in den Statistiken ,,überrepräsentiert". Der Gutachter halt aber zugleich eine Einteilung in ,,gefährliche" und ,,ungefährliche" Hunderassen für problematisch, weil auch berücksichtigt werden müsse, wie viele verantwortungslose und aggressive Personen sich Hunde dieser Rassen anschaffen. Zugleich wird auf die negativen Aspekte der ,,Moderassen" hingewiesen. Letztlich befürwortet Unshelm - unter
Betonung des weitgehenden Konsenses der Fachkreise - eindeutig eine legislatorische Regelung der Problematik gefährlicher Hunde, die nicht auf die Rassezugehörigkeit der Hunde abstellt, sondern - wie z. B. in NRW
praktiziert - beim Gespann ,,Halter und Hund" ansetzt.
Nach alledem ist die Fragestellung m. E. bereits aus naturwissenschaftlicher Sicht zu verneinen.
2. Beobachtungen aus der tierärztlichen Praxis
Dieses Einschätzung wird nunmehr auch von der tierärztlichen Praxis weitestgehend geteilt. Selbst wenn hier keine wissenschaftlichen Versuchsreihen durchgeführt worden sind, ist es doch bemerkenswert, dass die tierärztlichen Praktiker offenbar mit den sog. ,,Kampfhunderassen" positive Erfahrungen gemacht haben.
Aufgrund eines Artikels von Rogen von Februar 1997 in den Vetimpulsen erreichte die Redaktion eine Zuschriftenflut von Praktikern, die sich unisono positiv über die fraglichen Hunde äußerten. Bemerkenswert ist dies insoweit, als es sich m. W. um die erste bundesweite Reaktion der Tierärzteschaft handelt, und dass es sich
hierbei um ein ganz aktuelles Meinungsbild handelt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Heftes 4/97 der Vetimpulse verwiesen
3. Statistische Erhebungen
Letztlich auf der gleichen Linie liegen die vorliegenden statistischen Erhebungen, die allerdings häufig missverstanden oder als ,,Beißstatistiken" fehlzitiert werden. Derartige Erhebungen werden in recht
unterschiedlicher Weise erst seit Anfang der neunziger Jahre durchgeführt und lassen nur vorsichtige Schlüsse zu. Eine recht frühe Umfrage der Staatsanwaltschaft Dortmund zeigt aber bereits, dass Schäferhunde und Mischlinge klar an der Spitze der auffälligen Hunderassen liegen, wo hingegen der Bullterrier ,,keine so große
Rolle zu spielen scheint". Molosserrassen sind in dieser Statistik nicht enthalten. Auch die für den
Geschäftsbereich des Innenministeriums NRW durchgeführten Erhebungen von Hartwig zeigen Mischlinge und Schäferhunde mit 12 bzw. 7 Nennungen deutlich vor Bullterriern (2), American Staffordshire Terrier (1) und Mastino Napoletano. Bundesweite Daten wurden erstmals in einer Studie des Gutachters iVm dem Deutschen Städtetag 1991 erhoben. Auch hier nahmen Schäferhunde und Mischlinge die ersten Plätze ein, von den in der
Fragestellung genannten Hunderassen tauchen in den ersten 10 Rängen lediglich Bullterrier (Platz 6) und Pitbulls (Platz 10) auf andere hier zu begutachtende Rassen befinden sich auf zu vernachlässigenden Plätzen. Auch die neuesten - diesmal vom Deutschen Städtetag allein erhobenen - Daten zeigen letzlich kein anderes Bild. Auch hier sind Mischlinge und ,,Schäferhunde" wieder an der Spitze. Allerdings ist ein direkter Vergleich mit der Erhebung aus dem Jahre 1991 nicht möglich, da nach anderen Kriterien ausgewertet wurde. Auch hier spielen jedoch die Molosserrassen keine Rolle - lediglich der Mastino Napoletano wird auf einem der hinteren
Plätze erwähnt; gleiches gilt für den Rhodesian Ridgeback.
Allerdings ist herauszustellen, dass die Auswertung der Bullterrierrassen m. E. nicht brauchbar ist. Abgesehen von der sicher richtigen Einschätzung, dass in den Ordnungsbehörden ,,grundsätzlich keine kynologischen
Fachleute" vorhanden sind - also Verwechslungen im Bereich der ,,Bull-Rassen" vorprogrammiert sind - hat der Städtetag auf Anfrage des Gutachters eingeräumt, dass die recht unterschiedlichen Rassen ,,American
Staffordshire Terrier" und ,,Staffordshire Bullterrier" fälschlicherweise als eine Rasse gezählt wurden. So gesehen lässt dieses Umfrageergebnis nur den Schluss zu, dass ,,Mischlinge" in der öffentlichen Diskussion um ,,Kampfhunde" nach wie vor nur unzureichend wahrgenommen werden.
Es ist allerdings zu betonen, daß eine - von vielen offenbar gewünschte - Relation zwischen Population und Schadensauffälligkeit einer Hunderasse nicht seriös hergestellt werden kann, da weder die genaue Anzahl der Hunde einer Rasse annähernd zu ermitteln ist noch der Tod der Tiere erfaßt wird. Letzlich läßt auch das vorliegende Zahlenmaterial keine Negativschlüsse bezüglich der in der Fragestellung des Gutachtens erwähnten
Hunderassen zu.
IV. Schlußfolgerungen
Der gebotene Rückgriff auf die einschlägigen außerjuristischen Erkenntnisquellen zeigt klar, dass keine der in der Fragestellung erwähnten Hunderassen (bzw. Gruppen) a priori aufgrund rassespezifischer Merkmale gesteigert aggressiv oder gefährlich ist. Es bleibt also allenfalls ein - nicht justitiables - ,,schlechtes Image".
Aufgrund des Erkenntnisstandes von Mitte 1997 wird die obergerichtliche Rechtsprechung ihre bisherige verfehlte Zurückhaltung gegenüber der Exekutive aufgeben müssen. Die rechtsetzenden Körperschaften und Behörden werden ordnungsrechtliche Maßnahmen also nicht mehr an Katalogen von Hunderassen festmachen können, sondern von rasseneutralen Definitionen (wie z. B. die Gefahr-Hunde-Verordnung NRW) auszugehen
haben.
Prof. Dr. Wolfram Hamann
Fußnotenverzeichnis
1. Beispielsweise OVG Lüneburg, Urteil vom 19, 2. 1997 - 13 L 521/95 -(,,Kampfhunde"steuer Dannenberg)
2. .Semencic: The world of fighting dogs (1984), S. 209 f. Dort (S. 213)heißt es (übersetzt
,,Wenn man einen Bandog mit einem Bandog kreuzt, bekommt man am Ende wieder einen Pit Bull - und dazu noch einen lausigen."
3. VGH Mannheim NVwZ 1992, 1105 (1109) mit Anmerkung Hamann NVwZ 1993, 250.
4. Dies wird insbesondere vom OVG Lüneburg (Fußnote 1) verkannt.
5. Vgl. etwa die Liste von Mohl und Backes KStZ 1991, 66 (6
.
6. Wilcox/Walkowicz: Hunderassen derWelt (Kynos-Atlas) (1990) jeweils S. 37.
7. So Bay VGH, Urteil vom 25. 3. 96 - 24 N 92. 2883-, S.20 des Umdrucks im Anschluß an Bay VerfGH NVwZ - RR 1995, 262.
8. So z. B. der Bay. VerfGH aaO sowie das OVG Lüneburg (Fußnote 1).
9. Rogen: ,,Kampfhunde": Verkannt, verleumdet und verachtet in: Vetimpulse Nr. 2, 97 (reprint in: Der Hund/Hefte 5 und 6/1997),
10. Vetimpulse H4/1997: ,,Kampfhunde": Unerwartete Rückmeldung durch die Tierärzteschaft.
11. Bereits Hamann in: Hunde in den Städten, DST-Beitrage zu Kommunal-politik, Reihe A, Heft 17 (1992), S. 64.
12. Staatsanwaltschaft Dortmund: Erfahrungen aus dem Deliktsbereich ,,Körperverletzung durch Hunde" vom 26, 5. 1992 - Archiv des
Gutachters.
13. So zuletzt Hartwig ,,Unser Rassehund" Heft 4/1997, S. 10.
14. Vgl. oben Fußnote 11.
15. Der Stadthund, DST-Beitrage zu Kommunalpolitik Reihe A, Heft 24 (1997).
16. Der Stadthund (Fußnote 15) S. 58.
17. Vgl. dazu bereits die zutreffende Antwort der Bundesregierung vom 27. 11. 1990 auf eine Kleine Anfrage der GRUNEN BT-Drucksache
11/8496,S.2.