Ich hab nen Bullterrier und wenn man es überhaupt ein "Problem" nennen kann, dann ist es eher, dass sie sich NICHT für andere Hunde interessiert.
Maximal kurzes Ziehen in die Richtung und wenn Kontakt gestattet wird, mal kurz beschnuppern. Das war's.
Woran wir schon lange und immer noch arbeiten, ist das Leine Zerren bei Aufregung.
Es ist nicht dasselbe wie bei Euch, weil sie aus einem ganz anderen Antrieb heraus zerrt ... sie will überall gleichzeitig hin.
Sie bellt auch schonmal dabei oder fiept oder hechelt einfach nur laut. Ist ne kleine Partymaus
Ist auch recht kräftig. Selbst ihre weit als 10 Kilo weniger als Dein Hund erfordern wirklich Kraft, wenn sie mal loslegt. Deshalb üben wir so oft es geht. Wohnen sehr ruhig, auch deshalb dauert es halt seine Zeit. Aber wir machen Fortschritte. Man darf die kleinen Nuancen und Entwicklungen nicht übersehen vor lauter Erwartungen.
Zumindest kenne ich von diesem Üben her das Gefühl ganz gut, das ich aus Deinem Eingangspost herausgelesen hatte und das mich letztlich zum Antworten bewegt hatte. Wenn man schon den Stress erwartet und sich anspannt, WIRD es auch stressig. Das ist fast 100%ig sicher.
Auch das Genervt sein irgendwann kenne ich.
Ich versuche, sehr viel über Geduld und auch einfach Pausen, Verweilen und sie sich wieder sammeln lassen, wieder fokussieren auf mich usw. zu erreichen. Das fällt mir nicht leicht, weil ich kein geduldiger Mensch bin und ich fand es vor allem zu Beginn sehr anstrengend. Trotzdem tut es mit überraschenderweise gut, so mit ihr zu trainieren.
Als Halter - wie wahrscheinlich auch als Hund - weiss man, dass gerade das Lauftraining nicht unbedingt eine tolle Spassübung ist.
Und man wünscht sich, doch schon endlich am Ziel zu sein.
Man kommt voran, freut sich über Fortschritte. Aber dann kommt wieder die nächste Situation, in der man merkt, ok es liegt noch Einiges vor uns. Manchmal NERVT das dann in dem Moment einfach. Und anstatt einfach nur den Moment ganz schnell zu beenden, bedauert man sich auch mal selber und will am liebsten schreien.
Das Folgende sage ich jetzt nur für MEINEN Hund, weil ich Deinen überhaupt nicht einschätzen kann und das bei einem erwachsenen Hund ohne Kenntnis des Hund-Halter-Verhältnisses und des Hundes nicht einfach so pauschal empfehlen würde:
Mein Hund braucht ein bisschen Durchsetzungsvermögen und ab und zu auch einfach mal eine klare Ansage. Manche mögen das anders sehen, ich bin beim Bulli überzeugt davon, dass man Liebe und Strenge mischen muss. Bullis sind halt so und richtig dosiert schadet es auch nicht, sondern hilft ihnen, sich zu orientieren und nicht ihr eigenes Ding durchzuziehen. Sie sind durchaus sehr sensibel, aber auch gleichzeitig so robust, dass man's ihnen manchmal vielleicht einfach etwas lauter sagen muss als manch anderen Hunden.
Ich bin eigentlich ein absoluter Friedfisch (und sowieso absolut gegen körperliche Gewalt, davon also gar nicht zu reden). Wenn ich mich entscheide, dass ich streng sein muss, dann mache ich es mir damit also nicht leicht, selbst wenn sich das nur auf strenge Stimme bezieht.
Aber ich versuche da auch immer eine klare Linie zu ziehen und wenn ich sie mal "anmache", dann versuche ich dabei zwar überzeugend, jedoch möglichst innerlich NICHT in Aufruhr (wütend, ungehalten, genervt) zu sein.
Deshalb erzähl ich das eigentlich auch nur gerade.
Erzieherisch zurechtweisen anstatt einfach nur Dampf abzulassen kann schwer fallen, wenn man gerade in dieser angespannten und gestressten Situation ist. Deswegen versuche ich immer, mich gerade in solchen Situationen bewusst zu beruhigen und manchmal auch gerade KEIN lautes Wort zu benutzen.
Wenn der Hund noch nicht in der Lage ist, so wie ich es mir vorstelle durch die Situation zu gehen, dann gehe ich schnell und gezielt mit ihm zusammen da durch und entziehe uns so möglichst schnell, am besten ohne Kommandos auszuprobieren, die eh nicht gehört werden vom Hund in diesem Spannungszustand. Oder wenn die Situation es zulässt genau das Gegenteil GANZ LANGSAM, sprich stehenbleiben (das gilt aber für UNSER Lauftraining!!!).
Mit Harness und Euren Spielen bist Du ja schon gut gerüstet. Ich würde dies beides auf jeden Fall weitermachen. Ich denke, das hilft für Kontrolle und Wohlgefühl. Dein Hund ist garantiert ein ganz toller. Ihr habt da grad ein Kommunikationsproblem.
Verzweifel nicht dran. Manche Dinge brauchen nicht nur wegen das Hundes, sondern auch wegen UNS ihre Zeit. Daran müssen wir uns manchmal einfach nur wieder erinnern zwischendurch.
Wie gesagt, auch wenn ich ebenfalls einen Hund habe, sind unsere Situation schon grundverschieden und überschneiden sich vorwiegend nur in den Gefühlen, die wir manchmal empfinden.
Genau wie Kinder verlangen Hunde uns halt manchmal echt Geduld ab.
Wenn ein sonst im Freilauf gut gehorchender Hund sich stark in die Leine hängt, ist das eigentlich ein ziemlich sicheres Zeichen dafür, dass ihm an der Leine der "Spielraum" fehlt. Dann hängt er sich rein und geht nach vorn, um damit schonmal vorsorglich dem andern Hund zu zeigen: "Kollege, Dir trau ich nich! Wag Dich in unsere Komfortzone (in dem Fall der Leinenradius) dann erzähl ich Dir was". Der Druck ist ohne Leine sofort weg, weil der Hund über seinen Bewegungsradius dann selbst entscheiden kann.
In Hundeparks (eingezäunt) wird auch oft empfohlen, dass man seinen Hund sofort ableint, wenn man ihn hineinlässt, weil alle anderen dort auch frei laufen. Die Leine schränkt ihn sonst ein, benachteiligt ihn im Kontakt mit anderen Hunden und könnte Aggression auslösen, weil manche Hunde nach vorn gehen, wenn sie sich in die Enge gedrängt fühlen und sich (aufgrund der Leine) nicht entziehen können.
In einem Hundepark finde ich das abgeleinte Laufen aus diesem Grund auch vollkommen ok und richtig.
Ich finde jedoch - das ist jetzt meine persönliche Meinung - dass ein Hund ebenfalls in der Lage sein muss auch an der Leine zu laufen und dass Dein Hund auch diese Situation, an der ihr momentan ein bisschen verzweifelt im Alltag, meistern lernen sollte.
Es lässt sich einfach nicht umgehen, die Leine auch zu benutzen hier und dort, gerade in der Stadt. Ich halte es für sehr gefährlich - auch für den Hund im Strassenverkehr z.B. - sich alternativ darauf zu verlassen, dass der Abruf ohne Leine immer funktioniert.
Ich würde meinen eigenen Hund nie unangeleint irgendwo laufen lassen (ausser auf umzäuntem Gelände oder vielleicht mal im Wald), aber das ist meine persönliche Einstellung.
Bin mir ehrlich gesagt ziemlich sicher, dass sobald sich Dein eigenes Inneres beruhigt, Dein Hund auch lernen kann, mit dem eingeschränkten Radius der Leine umzugehen und auch begreift, dass er gar nicht drohen muss. Wenn er merkt, dass Du keine Angst vor irgendwelchen Situationen hast, dann muss er auch nicht für Dich drohen.
Sollte sich trotz wieder einkehrender innerer Ruhe bei Dir herausstellen, dass Du da einen "Leinen-Rambo" hast, der einfach gerne laut seine Anwesenheit mitteilt, dann hat ein Trainer auch ganz bestimmt noch mehr Tipps, wie man ihm ein bisschen besseres Sozialverhalten anderen Hunden gegenüber beibringen kann.
Aber mein Bauchgefühl sagt mir irgendwie, wenn ich Deine Schilderungen lese, dass Du keinen Leinen-Rambo hast, sondern einen Hund, der Dich beschützen will vor einer Situation, die er als bedrohlich einschätzt.
Aber nochmal nur zur Sicherheit: Das ist ein Bauchgefühl, ich bin kein Trainer und ich deute nur die paar Sätze, die ich hier von Dir lese.
Also bitte trotz aller schon gescheiterten Versuche lieber nen guten Profi finden und nochmal zu Hilfe nehmen.
Viel Erfolg Euch beiden! Mit Geduld und Spucke schaffst Du das!