Die Idee, meine Eltern zum Essen einzuladen, war richtig gut. Wir hatten einen sehr schönen Abend miteinander, mit viel Humor und Lachen, aber auch mit ernsten Themen. Als wir über die Zukunft sprachen und darüber, dass das Haus für sie zu beschwerlich wird und sie eine Alternative brauchen, waren sie offen für das Thema und meinten, dass sich sich auch selbst Gedanken darüber machen. Ich habe ihnen erzählt, dass Chris und ich uns über die Seniorenresidenz informiert hätten und Chris auch mit der Sekretärin telefoniert hat. Zu meinem Erstaunen fanden sie das überhaupt nicht übergriffig, sondern freuten sich, dass wir uns so kümmern möchten. Als wir ihnen dann erzählten, dass mein Ex Christian samt Maria auch mit "drinhängen" und sich Gedanken machen, wie sie helfen können, waren sie ganz angerührt. Sie haben uns ohne Nachfrage darüber informiert, wie ihre finanzielle Lage aussieht und wir haben mal grob durchgerechnet. Es reicht für einige Jahre Seniorenresidenz.
Mein Vater fand die Idee gut, meine Mutter nicht so. Sie hatten selbst schon Gedanken gemacht und ihre Idee war, eine barrierefreie Wohnung in der Stadt zu nehmen. Das wäre natürlich auch eine Möglichkeit. Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir erst mal abwarten, was die Untersuchungen ergeben. Dienstag ist mein Vater in der Uniklinik und es werden einige Untersuchungen gemacht. Danach kommt sein Fall in die Tumorkonferenz und die entscheidet, welches medizinische Protokoll zu den Ergebnissen passt. Je nach Ergebnis werden wir gemeinsam diskutieren, welche Wohnform besser ist.
Mein Vater hat mir ein Foto gezeigt, wie der Tumor aussieht. Hauaha
Die Bösartigkeit dieser Wucherung ist quasi selbst erklärend und hat nichts mehr mit einer Wunde zu tun. Das Teil ist tiefschwarz und sitzt mitten auf dem großen Zeh. Mein trockener Kommentar zum Bild: "Der Zeh wird wohl komplett dran glauben müssen" (Wobei ich nicht glaube, dass das reicht, um den Tumor mit entsprechenden Sicherheitsabstand rauszuschneiden)
Dann erzählten sie das, was wir bereits wussten: Mein Vater hat Angst, meine Mutter allein zu lassen und meine Mutter hat Angst, ohne meinen Vater zu leben. Sie meinte, dass sie deswegen kaum schlafen könne. Als wir zum Restaurant fuhren, sah ich, warum: Beim Einsteigen ins Auto wollte sie keine Hilfe von Chris oder mir, sondern wie üblich von meinem Vater. Er half ihr liebevoll ins Auto und schnallte sie an. Dabei waren sie ein eingespieltes Team und das war anrührend.
Wir haben heute erfahren, wie sich die Hautkrebsgeschichte entwickelt hat. Mein Vater hatte schon im April diesen Jahres eine Stelle am Zeh, dort, wo der Nagel war, der nicht mehr nachwuchs. Er hat sie mit Betaisadonna behandelt. Sie wuchs aber nicht zu und meine Mutter bestand auf einen Arzttermin, den mein Vater unnötig fand. Auf Drängen meiner Mam ging er trotzdem zu einem Arzt, allerdings zu dem Chirurgen, der ihm damals schon den Zehennagel gezogen hat, der nicht nachgewachsen ist. Der meinte, dass sei harmlos und Papa möge Kamillenbäder machen. Meine Mam fragte damals schon nach einer pathologischen Beurteilung, aber der Chirurg meinte, das sei nicht nötig. Als mein Vater 14 Tage später wieder kam, weil es nicht besser geworden war, schnitt der Chirurg immerhin die Oberfläche ab und versprach meiner Mutter, dass er es einschickt. Nach einer Woche rief mein Vater an, um nach dem Ergebnis zu fragen, aber der Arzt meinte, er hätte es doch nicht abgeschickt, weil das Gewebe so gut aussah. Beim dritten Besuch, wiederum zwei Wochen später, schnitt er großzügiger ab und schickte es ein. Mein Vater sollte weiter in Kamille baden. Als der Arzt das Ergebnis aus der Pathologie bekam, schickte er, wie er sagt, eine Kopie per Post an meinen Vater (wtf?), die nie ankam. Sechs Wochen später rief er meinen Vater an, um zu fragen, warum er sich auf den Befund nicht gemeldet hat. Ich frage mich, wie ein Arzt so einen Befund verschicken kann, ohne vorher ein Gespräch zu führen
Derweil waren meine Eltern munter in Spanien, kauften sich ein E-Mobil für zwei Personen und mein Vater badete weiter den Zeh in Kamille, wobei das Gewebe allmählich weiter wuchs. Immerhin bekam mein Vater so seine Diagnose im Gespräch und nicht einfach nur per Befund per Brief. Der Arzt bat meinen Vater um ein Foto vom Zeh. Als er das sah, meinte er, dass mein Vater umgehend nach Hause kommen muss, denn das sähe nicht gut aus. Btw, mein Vater ist Privatpatient.
Mein Vater möchte nach der Untersuchung in der Uniklinik diesen Arzt aufsuchen und ihm in die Augen sehen, wenn er ihn fragt, warum er das Gewebe nicht eingeschickt hat, obwohl er das zugesagt hatte. Und auch, warum der Befund kommentarlos verschickt wurde und kein Telefonat stattgefunden hat. Ich würde gerne noch die Frage anfügen, warum er meinen Vater nicht an einen Hautarzt überwiesen hat, nachdem das Kamillebad nicht gewirkt hat. Meine Mutter möchte die Ärztekammer einschalten und ich habe nun die Aufgabe, zu eruieren, wie sie das am besten angeht. Das mache ich sehr sehr gern. Mein Vater möchte das Gespräch mit dem Arzt ohne meine Mutter führen. Ich glaube, er hat Sorge, dass sie den Arzt verhaut.
Mein Vater hat erwähnt, dass ihm klar ist, dass es mehr brauchen wird als nur die Amputation und dass Bestrahlung oder Chemo nötig sein könnten, wobei er keinen Zweifel daran ließ, dass er es zumindest versuchen wird. Wegen Mam, die er nicht allein lassen möchte. Wobei Mam nach ihrem Schlaganfall 2022 schon sehr angeschlagen ist. Chris, Christian, Maria und ich sind uns schon länger einig darin, dass, wenn einer von den Beiden stirbt, der andere schnell nachkommt.
Wir haben aber auch über ganz normale Themen gesprochen, viel gelacht, über Trump gelästert und Pläne geschmiedet. Ich hatte viele Sorgen vor dem Treffen, aber das war unnötig. Nach dem Abend bin ich wesentlich ruhiger und zuversichtlicher und fühle mich gerade im Frieden mit dem, was gerade passiert. Mir ist aber schon auch klar, dass das schnell kippen kann und ich wütend/verzweifelt/traurig werde. Aber das ist dann so und gehört dazu.