Zwei Jahre lang lebt Rosa nun im Dunkeln. Und zwar wortwörtlich. Die 19-Jährige erkrankte im Herbst 2020 an Corona, in der Folge an
, mittlerweile steht die Diagnose Myalgische Enzephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS). Eine schwere neuroimmunologische Erkrankung, die dazu führt, dass die junge Frau aus Kleve ans Bett gefesselt ist. Rosa muss von Licht, Geräuschen und Berührungen gänzlich abgeschirmt werden, weil Sinneseindrücke zu viel Kraft kosten und vor allem: schmerzhaft sind. „Es ist, als wäre sie in einem Erdloch verschwunden“, sagt ihr Vater Arjan von Ilsemann. „Eigentlich ist alles zu anstrengend.“ Und das Schlimmste ist: Medizin oder Therapie dagegen gibt es keine.
Eine gute Freundin von Rosa – beide planschten als Kleinkinder zusammen im Schwimmbad – kämpft ebenfalls mit ME/CFS. Kathi erkrankte im Februar bei einer Klassenfahrt an Corona. Nur erholte sie sich nicht: Die Schmerzen am ganzen Körper, die schwere Erschöpfung und die Kreislaufprobleme blieben. Mit der Familie von Ilsemann hatten Kathis Eltern gute Ansprechpartner, daher konnte schneller reagiert werden. Heute lebt Kathi dennoch in völliger Isolation, die 17-Jährige wurde regelrecht aus dem Leben gerissen. Lange war das
ihr Tor zur Welt, heute fehlt auch dafür die Kraft. An guten Tagen wird sie mit dem Rollstuhl in den Garten geschoben, an schlechten Tagen liegt sie nur im Bett. „Aber ihr Zustand ist besser als der von Rosa“, sagt Beate Liß. Nicht nur das Leben der Töchter, auch das ihrer Eltern ist auf den Kopf gestellt: Sie können nicht mehr arbeiten, alles dreht sich um die Pflege der Mädchen, Tag und Nacht.
Kathi verträgt kein Licht mehr. Daher bestreitet sie ihren Alltag mit einer Augenklappe. Jede Körperbewegung schmerzt.
Denn: Den meisten Ärzten ist die Erkrankung völlig unbekannt. Viele Patienten werden fälschlicherweise als psychisch krank fehldiagnostiziert, so auch die beiden Kleverinnen. Bei Rosa vergingen zwei Jahre, bis die Diagnose schwarz auf weiß stand. Dabei hatten ihre Eltern nichts unversucht gelassen: Fachleute in München und Berlin konsultiert, Kontakt zu Experten im Ausland gesucht, Palliativpflege organisiert. Krankenhausaufenthalte wurden zur Tortur. Pfleger und Ärzte zeigten oft Ehrgeiz, um Rosa „aufzupäppeln“, mit Bewegung und Motivationsansprachen. Die Folge waren „Crashes“, ein extrem schmerzhafter, geschwächter Zustand. „Heute wissen wir, dass Rosas Zustand nur dann stabil sein kann, wenn wir aufs Pacing achten“, sagt der Vater. Das heißt: Rosa muss stets unterhalb ihrer Belastungsgrenze bleiben. Daher muss sie in ihrem Zimmer abgeschirmt sein, im Haus wird geflüstert, vor den Fenstern hängen drei Schichten Gardinen. Betreten Vater oder Mutter das Zimmer, dann nur mit einer kleinen Lampe und bedachten Bewegungen. Sonst läuft Rosa Gefahr, zu „crashen“. Ein Crash kann Tage, Wochen oder Monate andauern, und zu einer dauerhaften Verschlechterung des Gesundheitszustandes führen. Hoffnung setzen die Eltern in die Immunadsorption, ein extrakorporales Verfahren zur therapeutischen Entfernung von Autoantikörpern. Beide Mädchen waren zur Behandlung in
. Ob die Therapie anschlägt, ist noch offen.
Die Schülervertretung des Konrad-Adenauer-Gymnasiums, das beide Mädchen besuchten, hat eine Spendenaktion gestartet. „Wir wollen, dass über das Thema gesprochen wird, Kathi und Rosa dürfen nicht in Vergessenheit geraten“, sagt SV-Vertreterin Charlotte Schneider-Maessen (16). „In der Öffentlichkeit ist viel zu wenig über dieses Thema bekannt.“ Beim Abiball im
, der auch für Rosa das Ende der Schulzeit hätte bedeuten sollen, wurde für den Kauf eines geräuscharmen, verstellbaren Krankenbetts gesammelt. Nun haben die Teenager einen Film mit dem Titel „Kathi und Rosa brauchen eure Hilfe!“ produziert. Und die Spendenaktion hat Erfolg: 28.000 Euro sind bislang schon zusammengekommen. Mit diesen Mitteln sollen Therapieformen und
finanziert werden, die helfen könnten, von den Krankenkassen aber nicht übernommen werden. „Das ist eine berührende Aktion. Was diese jungen Menschen auf die Beine stellen, ist einzigartig“, sagt Liß. So soll das Schicksal Hunderttausender Patienten, die an Long Covid erkrankt sind, in den öffentlichen Fokus gerückt werden. Denn: „Unsere Systeme sind auf diese Krankheit noch immer nicht ausgerichtet und vorbereitet“, sagt Liß. Nicht selten würden die Symptome verharmlost, Familien mit ihren Sorgen alleine gelassen.
Die Hoffnung aber haben die Mädchen nicht aufgegeben. Sie kämpfen, wollen zurück in die Schule, Sport treiben und musizieren. Die Teenager genossen ein unbeschwertes Leben, hatten in der Schule gute Noten, trommelten bei den Konga Quings, trafen sich mit Freunden. Bis Corona kam. Kathi und Rosa haben sich verabredet, zusammen nach Schweden zu reisen, wenn sie wieder gesund sind. Zunächst aber geht es darum, dass sie wieder ihre Zimmer verlassen können, Rosa will den Lappen von den Augen nehmen. „Ich möchte nicht mit 15 zuletzt die Sonne gesehen haben“, sagte Rosa vor anderthalb Jahren, als sie noch sprechen konnte.