@helki-reloaded
Wenigstens stehen wir beide nicht im Regen.
Was meine eigene schriftstellerische Karriere angeht, die ja nie stattgefunden hat...
- so ist für die Diskussion hier eventuell interessant, dass ich jetzt gerade sehr froh bin, dass das nicht so war.
Wäre es anders gewesen, müsste ich mich nämlich wohl gerade (oder hätte es längst müssen) für die Verwendung übelster strukturrassistischer Klischees verantworten. Und das zwar nie beabsichtig, aber völlig zu Recht.
Und das kam so:
Geschrieben habe ich auch das bewusste Buch in besagtem Zeitraum Ende der 1990er, Anfang 2000er.
Das war ne Art Kriminalroman, und spielte, sehr ambitioniert, nicht etwa in den endlosen Weiten Niedersachsens, in denen ich mich wenigstens ausgekannt hätte - sondern in einer Großstadt in den USA, so mehr oder weniger im Einwanderermillieu, um 1930.
Natürlich hab ich auch dafür recherchiert, so gut das damals eben ging mit Modem via Analogtelefon oder so. Gab ja Büchereien und zum Glück war mein damaliger Chef recht großzügig, weil er es irgendwie toll fand, jemand "Kreativen" im Institut zu haben, und ich durfte dann zB auch während Überstunden oder nach Feierabend da noch ein wenig das Internet nutzen.
Aber letztlich blieb mir für die Atmosphäre, also dafür, wie die Leute ticken und reden und handeln, mangels eigener Erfahrung nur das Kino und das Fernsehen als Vorbild. "Von da" "hatte man" ja so einen Eindruck, wie zumindest Kriminal
geschichten funktionieren sollten.
Da ich ja eigentlich nicht ganz so kreativ bin und nur Dinge neu arrangiere, klappte das aber ganz gut. Ich bemühte mich, gewisse erzählerische Konventionen zu erfüllen, um den richtigen Eindruck hinzukriegen. Und das gelang mir wohl, auch wenn ich erst einmal in den USA gewesen war, so gut, dass amerikanische Testleser damit zufrieden waren. (Zumindest in dem Rahmen "Einwanderermillieu", wo es nichts ausmachte, wenn etwas nicht so ganz typisch US-amerikanisch war.) Okay, vielleicht waren sie auch nur höflich.
Auf jeden Fall waren sie alle weiß.
Lange Schreibe kurzer Sinn: Das Buch fand nie einen Verleger, mein Versuch, es komplett nach Englisch zu übersetzen, fand nie ein Ende... und nun liegt es seit fast 20 Jahren hier auf der Festplatte. Und tat nix, als mich vielleicht etwas stolz zu machen, dass ich wirklich ein ganzes Buch geschrieben hatte, mit Anfang und Schluss.
Bis ich letztes Jahr oder so das Buch las, was ich weiter oben verlinkt habe - die Erinnerungen eines schwarzen Polizisten - weil es in derselben Stadt spielte wie "meines".
Mein erstes Fazit war: Ich habe erstaunlich vieles richtig hingekriegt. Die Geschichte als solche war realistísch und vorstellbar
Mein zweites war: Aber dennoch war ich deutlich zu
harmlos, der wahre Polizeialltag war noch viel unerfreulicher als ich dachte, und die meisten Polizisten noch korrupter. (Und rassistischer.)
Und dann kam ich an das Kapitel, in dem der Autor schilderte, wie in der Ausbildung bei der Polizei (zu so einem Äquivalent zum Höheren Dienst) allein durch Fallbeispiele und durchexerzierte Situationen die Polizisten mit rassistischen Stereotypen indoktriniert werden.
Finstere Kerle, die Frauen in einer dunklen Gasse mit ebenso finsteren Absichten angreifen, sind (waren damals - in den 1950ern) - immer schwarz, die Frau immer weiß. Ging es um gewalttätige Ehestreits, fanden die, wenn so etwas als Beispiel erwähnt wurde, grundsätzlich immer in schwarzen Vierteln statt, Diebstähle eher bei Italienern usw usf etc pp. Er beschwerte sie darüber, aber es verstand keiner das Problem. Das sei doch so, die Beispiele seien eben realistisch.
Der Einbrecher, der flieht, sieht oft irgendwie osteuropäisch aus, der, der gewalttätig wird, schwarz.
Und so weiter und so weiter und so weiter.
Und ich erkannte - ich bin ja nicht ganz blöd - mit einigem Entsetzen, dass ich mich wirklich bei allen möglichen Personen mit Vorfahren aus aller Herren Länder um eine ausgewogene Darstellung der verschiedenen Charaktere bemüht hatte - nur die Schwarzen Personen waren (fast alle) eine Ansammlung von rassistischen Klischees. Und zwar teils ziemlich üblen.
Und warum war das so?
Weil ich halt mangels Erfahrung die "Film- und Fernsehrealität" Amerikas abgebildet hatte. Und in dieser sind Schwarze offenbar oft Ansammlungen rassistischer Klischees, nämlich derselben, wie sie auch Polizisten in der Ausbildung lernen oder lernten - die dann eben entsprechen voreingenommen und vorindoktriniert in die Begenung mit Schwarzen gingen.
Klischees, die ich bewusst gar nicht kannte, und daher auch gar nicht als solche
erkannte.
Im Grunde war es, als hätte ich eine perfekte, atmosphärische Schilderung von Berlin in dieser Zeit gegeben, mit sich "filmgerecht-authentisch anfühlenden" Nazi-Aufmärschen, "wie man sie aus dem Kino kennt" - ohne auch nur ein bisschen was über den Nationalsozialismus zu wissen. Vielleicht hätte ich deswegen versehentlich das Gerede von Herrenmenschen wörtlich genommen und die Nazis alle zu blauäugigen Superhelden gemacht - oder zu den Schurken, die man kennt, aber mit eher hanebüchener Motivation, weil ich ja vom Hintergrund keine Ahnung hatte und nur die Fassade kopiert hätte.
Ich habe kurz überlegt, ob sich da noch was retten lässt. Aber ich denke, nein. Lässt es sich glaube ich nicht.
Womit die Frage, ob ich das Ganze jemals noch irgendwo einreichen möchte, wenigstens vom Tisch ist.
Wieso ich das hier aufgeschrieben habe? - Weil mir dabei mit einem Schlag bewusst geworden ist, wie sehr diese unterschwelligen Botschaften, die zB allein durch die Besetzung von Fernsehserien oder die Illustrationen von Büchern oder oder gesendet werden, unser Denken formen und beeinflussen,
ohne dass wir es merken.
Wollte ich rassistische Klischees verwenden? - Nein, eigentlich nicht.
Habe ich es dennoch getan? - Haufenweise, weil ich gar nichts anderes kannte, und dachte, das seien keine Klischees, es sei die Realität.