Uhh - aalso: Erstmal kann ich mich meinen sämtlichen Vorschreiber(inne)n nur anschließen:
Euer Hund hat massiven Stress. Ziehen, angespannt gucken, schnaufen, nicht mehr ansprechbar sein, heißt in anderen Worten:
In seinem Kopf dreht die ganze Zeit dieselbe Leier: "OhGottOhGottOhGott.Wasjetztwasjetztwasjetzt."
Und bei nem anderen Hund:
"HundhundhundhundHUND? Wastunwastunwas... Boah nee, geh du mir wech, das wird mir zuVIEL!!!!"
Ablenken, "Aufmerksamkeit kriegen mit Leckerchen, Kommando setzen und loben, wenn er sich wunschgemäß verhält" - Kannst du alles (tut mir leid, wenn ich das so deutlich sage) VERGESSEN.
Der hat in dem Moment ganz andere Probleme und hört dich effektiv vermutlich gar nicht mehr. Nicht aus Bösartigkeit, dem wird einfach alles zuviel.
So - runterdrücken, Hund packen, schütteln, anschreien in so einer Situation ist auch nicht sinnvoll (wie du ja selbst schon gemerkt hast
Der ist in dem Moment so aufgeregt, dass es wirklich vorkommen kann, dass er nach dir schnappt. Nicht wirklich "absichtlich", sondern im Übersprung.
Und es ist (vermutlich) auch nicht wirklich ein Beißen (ist aber trotzdem ganz schön unangenehm).
Du musst dir das etwa so vorstellen wie folgende Situation: Du hast dich gerade mordsmäßig über irgendwen geärgert und fängst an, den lautstark zusammenzufalten, weil du ECHT in Rage bist. Plötzlich legt dir eine Freundin beruhigend eine Hand auf die Schulter und sagt: "Ey, bleib mal ruhig!" oder so. - Worauf es ja durchaus sein kann, dass du die Hand sehr unsanft abschüttelst, dich umdrehst und sie gleich auch noch anfährst. Oder so.
Wenn sie dich dann festhält und zurückziehen will, wo du gerade dabei bist, entweder dein Leben zu verteidigen oder zumindest dir endlich mal Luft zu machen, könnte es doch auch sein, dass du sie wegschubst, oder sowas. - Und so ist das Schnappen in einer solchen Situation auch zu verstehen. Es ist quasi "nicht persönlich gemeint".
Mein Hund (der übrigens ein sehr ähnliches Verhalten zeigt) hat das auch gar zu gern gemacht. Normalerweise, im Haus, oder sogar beim Tierarzt, würde er nie beißen. Nichtmal wenn ihm richtig was wehtut.
Aber wenn er so in Rage ist, kriegt er gar nicht mehr so richtig mit, was in seinem Kopf abgeht.
Aber was nun tun?
Steffi schrieb:
Zur Zeit wird er mit einem Halsband und einer recht kurzen Leine gehalten.
Morgen wollen wir uns ein Geschirr kaufen und eine etwas längere Leine, die nicht immer unter Spannung steht.
Also, mal ganz im Ernst: Ich fürchte, auch diese Leine wird unter Spannung stehen, wenn der Hund sich volle Elle reinhängt. Die steht sehr wahrscheinlich nicht unter Spannung, weil sie zu kurz ist, sondern weil der Hund zieht!
(Meiner hat jedenfalls auch an der 10 m Schleppleine gezogen wie ein Irrer, und da konnte er sogar Anlauf nehmen!)
Und ganz normal an der Leinenführigkeig zu arbeiten, ist bei so einem Stressbolzen erstmal schwierig.
Ich würde ein Halti nur bedingt empfehlen (es wird erstmal auch nichts nützen) - also eventuell, unter Anleitung eines (guten!) Hundetrainers, der sich mit Stress bei Hunden auskennt.
Das tun leider nicht alle. Ich bin leider am Anfang nur auf welche gestoßen, die mir erzählt haben, der Hund würde mich "dominieren", mich "absichtlich ausblenden", und wenn ich erzählt habe, wie lieb und gehorsam er im Haus ist, wurde gesagt, ich würde mir "in die Tasche lügen, in Wahrheit terrorisiert der Hund dich doch sicherlich. Aber du gibst ja auch immer nach!"
Glaub mir: Abgesehen davon, dass deiner ein Staff ist, könnte es meiner sein, von dem hier geschrieben wird, und mein Hund war und ist nicht dominant, aber ne Stressbacke hoch drei. Auch jetzt noch.
So - was könnte in eurem Fall die Ursache sein?
Schwer zu sagen... eventuell schon der Umzug Tierheim(Vorbesitzer) zu euch. Vielleicht hat ihn das komplett aus dem Gleichgewicht gebracht.
Der versteht einfach die Welt nicht mehr - also zumindest außerhalb der Wohnung.
Es kann wirklich sein, dass er sich im Tierheim oder beim Vorbesitzer ganz anders gezeigt hat.
Ich war mit meinem Hund im TH spazieren, und konnte problemlos an anderen Hunden vorbeigehen. Er wurde dann nochmal woanders hingegeben, bis ich ihn hatte, und da wurde schon vorsichtig angedeutet, er hätte eventuell ein Problem mit anderen Rüden...
Bei uns ist er bei jedem Hund komplett ausgetickt, und zwar sobald der in Sichtweite war (also manchmal, wenn der Hund noch 2 km weg war!) Das Verhalten hat er weder im TH noch in der Pension, wo er anschließend war (und ich ihn zweimal besucht habe), definitiv NICHT gezeigt.
Es liegt auch nicht NUR daran, wie DU dich auf dem Spaziergang fühlst: Der hat mit sich genug zu tun, was du machst, kriegt er nur am Rande mit. (Bei 2 km Abstand hatte ich manchmal nen explodierenden Irren an der Leine bevor ich den anderen Hund überhaupt GESEHEN hatte und irgendwie reagieren konnte.)
Dann solltet ihr unbedingt abklären lassen, ob der Hund gesund ist. Unserer hatte zB schreckliche Blähungen und war total verwurmt (obwohl er aus dem Tierschutz kam), und hatte außerdem diverse Futtermittel-Allergien. Das abzustellen, hat ihn zwar nicht vollständig kuriert, aber er ist doch
deutlich ruhiger geworden.
Dann würde ich euch dringend raten, einen Hundetrainer oder sogar -Therapeuten einzuschalten. Da ihr aus Berlin seid, wäre Thomas Baumann eventuell einen Versuch wert, da er viel Erfahrung mit wie auch immer veranlagt aggressiven Hunden hat. Aber es gibt bestimmt auch noch andere.
In der Zwischenzeit würde ich euch folgendes raten:
Trag dem Hund sein Verhalten draußen nicht nach. Er kann im Augenblick nicht anders. Arbeitet drinnen positiv mit ihm, übt vielleicht auch "entspannt an der Leine Gehen" in der Wohnung.
Draußen einfach möglichst ruhig bleiben.
Zu Geschirren, Halsbändern, Haltis und anderen Erziehungsmitteln kann ich dir nur eines ans Herz legen:
Wenn man Bücher über "moderne Hundeerziehung" liest, werden einem viele schöne Dinge nahegebracht, und es entsteht der Eindruck, wenn man nur alles richtig macht, funktioniert das wunderbar. Wie auf Click "funktioniert" auch der Hund, und alles ist schön. Hilfsmittel braucht man nicht.
So - dann kommt der erste Hund, man macht alles, wie es im Buche steht, und es
funktioniert nicht!
Na, sagt dann der gesunde Menschenverstand (und vielleicht auch der schlechte Trainer
"Dann hast DU halt was falsch gemacht. Wenn du alles RICHTIG machts, funktioniert diese Methode auch!"
Sinnvoll wäre es dagegen, zu fragen: Warum funktioniert diese Methode bei diesem Hund nicht?
Was daran muss man ändern, damit sie funktioniert, und KANN sie überhaupt funktionieren?
Ein Hund, der so gestresst ist, dass er den Click nicht mehr hört, kann draußen nicht geclickert werden - nur mal als Beispiel. Es GEHT nicht. (Alles ausprobiert).
Für eure Spaziergänge ist es jetzt am allerwichtigsten, dass DU dich ruhig und sicher fühlst, und den Hund gut im Griff hast. Ich weiß ja nicht, wie schwer dein Süßer ist - meiner hat mich mal vor ein Auto gezogen, weil auf der anderen Straßenseite ein Hund war, und ich hab mir die Stoßstange von unten beguckt. Das war ein weniger schöner Moment in meinem Leben. Danach kam das Geschirr weg und das Halti DRAN!
Wenn du alles unter Kontrolle hast, wird auch der Hund ein bisschen ruhiger werden. Solange du den Eindruck hast, er kann wild und unkontrollierbar in der Gegend rumspringen, wirst du dich nicht sicher fühlen, und wenn du tausendmal das "gute" Geschirr ohne das "böse" Halti verwendest (nur so als Beispiel).
So. Jetzt noch ein paar Verhaltenstipps:
Im Haus: Immer nett sein, wenn Hund auch nett ist. Festen Tagesablauf etablieren. Feste Regeln einführen, auch wenn sie eigentlich nicht nötig sind, wie: Hund darf nicht in die Küche, Hund bekommt immer nach eurem Essen ein Leckerchen und darf es sich am Küchenschrank abholen usw... das dient dazu, dem Hund Sicherheit zu geben, und ihm ne Chance zu geben, etwas RICHTIG zu machen und dafür gelobt zu werden. Viel an der Bindung arbeiten, Tricks einüben. Kommando "Schau zu mir!" einüben (aber erstmal nur in der Wohnung. Irgendwann wird er es auch draußen einsetzen können, aber da seid ihr jetzt noch nicht!)
Feste Ruhezeiten für den Hund einplanen.
Korb so stellen, dass er Ruhe hat, nicht neben den Fernseher oder in das Zimmer, wo dauernd Action ist. Dort kann er auch einen Korb oder ein Kissen haben, aber er muss einen Platz haben, wo auch echt Ruhe ist!
Draußen: Spazieren zu festen Zeiten, anfangs auch immer dieselben Strecken. Hund nicht überall mit hinschleifen, "stressige Ereignisse" (Tierarzt-Besuch, Hundewiese, U-Bahn-Fahren...) rationieren (also nicht mehr als 1-2 mal pro Woche).
Bei Hundebegegnungen:
Wenn es geht, einen Bogen laufen, Abstand vergrößern. Möglichst so gehen, dass du zwischen Hund und anderem Hund bist - das zeigt deinem (auf lange Sicht), dass du sagst: "Mein Job!"
Ist das Abstand vergrößern nicht möglich (2 km etwa sind ein Umweg, den ich auch nicht gemacht hab...
), lass deinen Hund am Wegrand absitzen. Nimm ihn kurz, ohne ihn zu würgen. Leine einfach sehr fest halten.
Das hat den einfachen Grund, dass, wenn er vorspringt, er nicht viel Fahrt aufnehmen kann und du ihn besser halten kannst. Das hat die alleroberste Priorität! Du musst deinen Hund halten können. Wenn er sich so aufregt, kann er dem anderen, sollte die Leine mal reißen (alles schon gehabt...) wirklich an den Kragen gehen. Ich vermute mal, er wird gar nicht viel machen, aber das ist Stress, den niemand braucht.
Du kannst auch versuchen, dich so zu stellen, dass DU zwischen Hund und anderem Hund stehst, also frontal vor deinem (den du wieder am Halsband oder Halti/Halsband) sehr kurz festhalten solltest, damit er den anderen Hund nicht richtig sieht - dann pöbelt sich es auch lange nicht mehr so gut!
Will er losspringen, hältst du ihn zurück und sagst deutlich: "Nein!" - Du bleibst auch so lange da stehen, bis er sich halbwegs wieder beruhigt hat.
(Weiß allerdings nicht, wie gut das bei einem Hund mit Staffgröße funktioniert. Wenn meiner vor mir sitzt, brauch ich mich nicht zu bücken, um beide Hände am Halsband zu haben...)
Ist der andere Hund vorbei, drehst du deinen in die andere Richtung und ihr geht weiter. Hierbei ist ein Halti sehr nützlich, weil es dir hilft, den Hund besser zu dirigieren, sodass er dem andren nicht noch ständig hinterherschaut.
Bleibt er halbwegs ruhig, natürlich LOBEN! Und weitergehen, als wär nichts. Nicht wundern, wenn Hund DANN sehr zieht, er steht dann ja wieder ziemlich unter Stress.
So - das waren vielleicht mal ein paar Gedankenanstöße.
Alles weitere muss dann ein guter Hundetrainer mit euch erarbeiten, der den Hund auch vor sich sieht. Es wird ein gutes Stück Arbeit werden (rechnet mal mit nem halben Jahr oder länger), aber was Biggy geschrieben hat, kann ich nur bestätigen: Man wächst an so einem Hund, und der Hund wächst auch.
Und das Problem ist zwar nicht grad klein, und auch sehr hartnäckig, aber es ist definitiv lösbar.
In diesem Sinne alles Gute,
Lektoratte