BLOGTALK 2004
Stell dir vor du bloggst und keiner macht mit
Von Ruth Bettina Müller
Weblogs oder "Blogs" sind ein von den Medien gern thematisierter Trend im Internet. Ganz normale Menschen würden in der "Bloggosphere" selbst zu Medienschaffenden. Tatsächlich? Deutschsprachige Blogger sehen das viel nüchterner: Auf der zweiten Blogger-Konferenz in Wien war die Stimmung eher durchwachsen.
Bunte Welt der Blogs: Von Tunnelfotos bis zu Polit-Themen gibt es nichts, was es nicht gibt
Die ganze Welt bloggt, nur ein kleines Dorf widersetzt sich dem globalen Trend zum privaten Online-Publishing. Dieses düstere Bild zeichnete Nico Lumma von orangemedia.de auf der zweiten BlogTalk-Konferenz in Wien: Er veranschlagt die Zahl der deutschsprachigen Blogger auf gerade einmal 15.000, nur die Hälfte davon seien aktiv. Ganz anders die Situation in den USA, wo man von mindestens drei Millionen Bloggern ausgeht.
Stefan Glänzer, der seine Publishingsoftware 20six in vier europäischen Ländern anbietet, hieb in die gleiche Kerbe: Die Abbrecherquote sei hier zu Lande besonders hoch, weniger als 20 Prozent der Blogger sind nach einigen Monaten noch dabei. An mangelnder Benutzerfreundlichkeit könne es nicht liegen, denn in Frankreich und den Niederlanden werde der Dienst viel besser angenommen. Zudem halte man sich nicht an die Spielregeln, denn es werde zuwenig kommentiert und verlinkt.
"Does blogging suck?", so der Titel seines Vortrags - ähnlich heikel wie die Diskussion, ob die Deutschen S.exmuffel sind. Eine Erklärung für die fehlende Schreiblust blieb denn auch aus. Die gedrückte Stimmung auf dem Podium erinnerte unangenehm an das peinliche Abschneiden Deutschlands beim Pisa-Test.
"A Web What?"
Der Vergleich mit anderen europäischen Ländern zeigte allerdings, dass die deutschsprachigen Blogger sich nicht verstecken müssen - Blogging kommt in Europa einfach etwas langsamer in die Gänge. Der spanische Blogger Fernando Tricas berichtete von knapp 20.000 Bloggern in seinem Land, und obwohl auch er sich mehr Mitschreiber wünscht, betont er die Fortschritte gegenüber dem vergangenen Jahr.
Einige Blogs würden inzwischen bereits stärker verlinkt als manche Netz-Zeitung. Spaniens Online-Publizisten seien inzwischen auch Thema für die etablierten Medien, die zwar überwiegend kritisch berichten, aber darauf reagiere die inzwischen selbstbewusste Gemeinde schnell. Die Entwicklung verläuft hier also ähnlich wie in Deutschland, Tricas hadert jedoch nicht, sondern freut sich: "Things are getting better."
Auch in England scheint das Format noch verbreitet zu sein. Das Kriegstagebuch von Salam Pax aus Bagdad, das später auch vom "Guardian" verlegt wurde, machte die Onlinejournale zwar auch außerhalb eines Netzpublikums bekannt. Doch Jane Perrone von Guardian Unlimited berichtet, dass nach wie vor ihre Praktikanten, aufgefordert, sich beim Weblog zu engagieren, meist entgeistert fragten: "a Web What?".
Insgesamt waren alle Konferenzbeiträge voll des Lobes angesichts des beachtlichen Potenzials von Weblogs für die unterschiedlichsten Zwecke: Ob als Knowledge-Management-Tools, für die Projektorganisation, in Bildung und Erziehung - es gibt eine Zukunft für Blogs jenseits des Tagebuchs. Allerdings sei nicht jeder zu motivieren, ein Teil der anvisierten Zielgruppe bleibe in der Regel passiv.
Der berühmteste Blogger der Welt: Das Bagdad-Tagebuch von Salam Pax gibt es inzwischen in Buchform
Ein Indiz für die Attraktivität der Blogs ist auch der kürzlich ausgelobte Wettbewerb der "Zeit", und auch die Deutsche Welle World hat für September einen Weblog-Award angekündigt.
Was ist also dran an der Klage über das kleine widerspenstige Dorf - ist die deutschsprachige Internetcommunity wirklich dabei, den Anschluss verpassen? Ist die Größe des Netzwerks oder der Grad der Verlinkung überhaupt entscheidend?
Am ehesten wurde die Frage von einem beantwortet, der eigentlich gar nicht angetreten war, sie zu beantworten. Peter Praschl warf die klingende Metapher von Weblogs als Jamsessions in die Runde. So wie Bebop-Musiker sich nach dem Abspielen des Pflichtprogramms in eigenen Clubs trafen und improvisierten, böten Weblogs eine Plattform für zwangloses, experimentelles Spiel mit der Sprache. Nicht unbedingt markttauglich, aber auch kein Amateurspiel.
Wie man die Entwicklung der deutschsprachigen Bloggergemeinde bewertet, scheint also davon abzuhängen, ob man möglichst schnell viele Werbebanner verkaufen möchte oder nach lebendigen Gesprächen mit vielen Zwischentönen Ausschau hält - und sei es auch nur im kleinen Kreis.
Tschechische Subkultur
Tschechien etwa ist solch ein exklusiver Zirkel. Denisa Kera von der Charles Universität in Prag schätzt die Zahl der aktiven Blogger auf annähernd 2000 und betont die Wichtigkeit von lokalen Publishing-Diensten. Kera stellte einige Blogs vor, die souverän mit den Möglichkeiten und Grenzen des Formats spielt, wie zum Beispiel ein "unsichtbarer Blog", dessen Postings lediglich als News-Feed abrufbar sind.
Und aus dem Untergrund stellt ein Moblog Nachrichten und Bilder über das Prager U-Bahn-Netz bereit; von Gleisarbeiten oder Selbstmorden erfährt man hier zuerst. Kein Zweifel - die tschechische Avantgarde ist in der Blogosphäre angekommen.
Früher als wir noch gewachste Holzböden hatten und eletkrische Bohnermaschinen unerschwinglich waren, da hatten wir einen Handblogger. Oder war es vielleicht ein Blocker?
Ciao Erwin