Die neue Gebührenordnung der Tierärzte sorgt jeden Tag aufs Neue für Ärger. Jetzt formiert sich Widerstand: Eine Interessengemeinschaft will dafür sorgen, dass nachgebessert wird. pferde.de sprach mit den Initiatoren über Kostenexplosionen und Gebühren nach Gefühl.
Sie war noch nicht in Kraft, da gab es die ersten Diskussionen. Doch davon ließe sich die Bundesregierung nicht beeindrucken. Und so trat sie im Oktober 2022 in Kraft – die neue Gebührenordnung der Tierärzte (GOT). Ein „großer Wurf“ sollte sie werden. Eine große Abzocke ist es, sagen die Kritiker. „Ein Desaster“, nennt es Jens Thormählen. Der Züchter und Turnier-Richter wisse, wovon er spreche: Er beschäftigt sich seit Monaten mit der GOT. An seiner Seite der bekannte Ausbilder Uwe Hannöver und Jan Wernke, Vorsitzender des „Clubs Deutscher Springreiter“. Zusammen wollen sie eine Interessengemeinschaft gründen.
Ihre Kritik begann wie bei den meisten Pferdebesitzern: Mit der ersten Rechnung. „Vorher habe ich geglaubt, was gesagt wurde: Es wird vielleicht 20 Prozent teurer“, sagt Thormählen. Denn genau diese Zahlen hatte Heiko Färber, Geschäftsführer des Bundesverbandes Praktizierender Tierärzte, vor neun Monaten gennant. „Es wurde ein wissenschaftliches Gutachten in Auftrag gegeben, bei dem geguckt wurde, wie die Kostenstruktur aussieht und wie lange einzelne Tätigkeiten brauchen. Entsprechend wurden die Gebührensätze angepasst. In Summe besteht ein Anpassungsbedarf von rund 20 Prozent“, sagte er damals.
„Rechnungen sind um bis zu 400 Prozent gestiegen“
„Die Rechnungen sind um 300 bis 400 Prozent gestiegen“, so die Interessengemeinschaft. Die Kritiker nennen gleich Beispiele: Für eine Kolik-OP hätten Pferdebesitzer vorher zwischen 5.000 bis 8.000 Euro bezahlt. „Jetzt sind es 12.000 bis 15.000 Euro, sogar 21.000 Euro waren dabei“, laut Kritiker. Und eine Chip-OP sei von 1.200 Euro auf 3.000 bis 4.000 Euro gestiegen. „Aber nicht nur Pferdebesitzer müssen deutlich mehr zahlen. Wird ein Hund an den Bandscheiben operiert, kostete das vorher rund 2.500 Euro. Jetzt liege der Eingriff bei 4.500 bis 7.000 Euro.“
Doch von den 20 Prozent sei nichts zu spüren gewesen. Stattdessen seien die Preise explodiert. Ein Zufall? Die Männer wollten es genauer wissen – und sammelten mit Mitstreitern seit Dezember 2022 tierärztliche Abrechnungen quer durch die Republik. Dann wurde gerechnet, verglichen und nachgefragt. Das Ergebnis sei erschreckend.
Uelzener: Prämienanpassung im Bereich Pferde-Versicherungen notwendig
Die Uelzener Versicherungen beobachte seit der GOT-Erhöhung derzeit eine Kostensteigerung von bis zu 40 Prozent bei den Tierarztrechnungen, so der Tierversicherer auf Anfrage von pferde.de. Im Bereich Pferde-OP- und -Krankenversicherung seien die veterinärmedizinischen Kosten deutlich stärker angestiegen im Vergleich zu Haustierversicherungen für Hunde und Katzen, sodass eine Prämienanpassung in dem Bereich notwendig sei, sagte Felix Garlipp, Produkt- und Portfoliomanager der Uelzener Versicherungen gegenüber dem Versicherungs-Medium „Pfefferminzia“.
Garlipps Tipp: Die Tiere im Bereich der Operations- und Krankenversicherung so früh wie möglich zu versichern, um Ausschlüsse etwa durch Vorerkrankungen zu vermeiden. Außerdem: Auf das Kleingedruckte achten, damit darin keine Klauseln stehen, die bestimmte Leistungen ungewollt ausschließen. Und: Nicht nur nach dem günstigsten Preis schauen, sondern auch darauf achten, welche Erfahrung der Anbieter mit der Schadenbearbeitung und Zusammenarbeit mit Tierärzten und -kliniken hat.
Pferde sind Haustiere – und der Arzt macht Hausbesuche
Was die meisten Pferdebesitzer auf die Barrikaden treibt: Der Tierarzt rechnet jetzt für jeden Besuch im Stall eine Gebühr für den Hausbesuch ab. Der Grund: In der neuen GOT gelten Pferde plötzlich als Haustiere. Wie es dazu kam? Unverständlich. „Wenn es um das Baurecht oder um den Tierschutz geht, sind Pferde Nutztiere“, so die Initiatoren. Nur die GOT macht eben Haustiere aus ihnen – und berechnet deshalb den Hausbesuch. Besonders dreist: Behandelt ein Tierarzt in einem Stall bei einem Besuch zum Beispiel gleich fünf Pferde von fünf Haltern, teilt er die Gebühr nicht auf, sondern berechnet sie gleich fünf Mal.
Eine Tatsache, die auch Tierärzte in Schwierigkeiten bringt. Denn: „Bei der GOT handelt es sich um eine Verordnung der Bundesregierung. An diese müssen sich die Tierärzt:innen zwingend halten“, betont die Bundestierärztekammer in einer Mitteilung. Wer es nicht macht und angeschwärzt wird, muss zahlen. „Eine Tierärztin musste deshalb schon 500 Euro Bußgeld zahlen“, wissen die Initiatoren. Das sorge auch für Misstrauen unter den Veterinären.
Tierärzte: Zahlen beruhen auf „gefühlten Eindrücken“
Was auffällt: Von den Hausbesuchsgebühren profitieren die Kliniken, so die Kritiker. Denn so mancher Pferdebesitzer glaubt, dass er so günstiger davonkomme. Und hinter den Kliniken stehen nicht die „kleinen“ Landtierärzte, sondern oft große Unternehmen. „Immer mehr der Kliniken sind heute im Besitz von Ketten und Beteiligungen, hinter denen die Konzerne Mars und Nestlé stehen“, so die Initiatoren. Diese Konzerne machen nicht nur einen großen Umsatz – sie haben auch eine große Lobby.
Die war wohl auch nötig, um die GOT so durchs Parlament zu bekommen. Denn die Grundlage war eine Studie. „Sie lief über neun Monate, davon fand gerade mal fünf Wochen eine Telefonbefragung statt“, so die Initiatoren. Das Fatale: In der Studie heißt es, „die angegebenen Werte aus der Zeiterhebung beruhen auf gefühlten Eindrücken der Tierärzte und sind keine gemessenen oder buchhalterischen Werte.“ Auf deutsch: Die Gebühren wurden auch nach Gefühl entwickelt. Trotzdem wurde die GOT abgenickt. „Sie wurde wie ein Trojanisches Pferd durch den Bundestag gebracht“, kritisieren die Initiatoren. Sie sind überzeugt: „Sie ist ein großer Etikettenschwindel.“
Züchter, Veranstalter, Vereine: Alle klagen über zu hohe Kosten
Dazu gehört auch eine sehr unklare Formulierung der Bundesärztekammer. Sie schreibt in ihrer Patienteninformation von „erstmalig seit 1999 umfassend geänderten Gebühren“. Das klingt so, als wären die Kosten seit damals nicht gestiegen. Doch das ist eindeutig nicht der Fall. Im Gegenteil: 2008 und 2017 wurden zum Beispiel die Gebührensätze pauschal um 12 Prozent. 2020 wurde die Notdienstgebühr von 50 Euro verpflichtend eingeführt. Seit 2021 ist es möglich, den vierfachen, statt den dreifachen Satz abzurechnen. Und seit zwei Jahren beginnt das Wochenende für die Abrechnung freitags um 18 Uhr und nicht mehr am Samstag um 13 Uhr.
Dass Thormählen und seine Mitstreiter mit ihrer Kritik nicht allein sind, bewies ein Treffen in Ahlhorn. Im Hotel „Zur Alten Post“ kamen mehr als einhundert Menschen zusammen. Mit dabei waren die Pferdezuchtverbände aus Westfalen, Oldenburg, Hannover und Holstein, Vertreter von Hengsthaltervereinigungen, Reitvereinen und Pferdesportverbänden, vier Juristen, fünf Tierärzte sowie zwei Bundestagsabgeordnete.
Der Tenor des Abends: Die GOT schade allen. „Egal, ob Züchter, Turnierveranstalter oder Reitverein – die hohen Kosten können sich immer weniger leisten“, so die Initiatoren. Aktuelle Zahlen zeigen die ersten Folgen: „Bei dem Holsteiner Verband gibt es schon jetzt einen Rückgang von 25,5 Prozent bei den Bedeckungen im Vergleich zum Vorjahr. Andere Zuchtverbände und Hengststationen berichten von ähnlichen Entwicklungen.“