Einfach eine weitere Erfahrung in den Ring geworfen: Unsere erste Bullterrierhündin war etwas über ein Jahr alt, hatte bis wir sie bekamen allerdings im Zwinger gelebt, bei einem Züchter (der wie ich erst mehr als ein Jahrzehnt später erfuhr in DE einen ausgezeichneten Ruf hatte, lebt leider nicht mehr) und soweit wir das beurteilen konnten, keinerlei schlechte Erfahrungen mit Menschen.
Dennoch hatte sie extrem(st)e Vorbehalte gegenüber Männern, was sie durch Meidverhalten, wie Wegducken und Brummen deutlich machte. Sie war sowieso sehr schüchtern und ängstlich und in ihrer Abneigung eher passiv und ausweichend, keine Aggression. Meinem Mann zeigte sie in den ersten Wochen die kalte Schulter und hielt sich nur an mich. Wir haben auch die üblichen Dinge versucht, einfach beide ruhig und freundlich mit ihr umzugehen, er fütterte sie usw. Sie blieb auf Abstand.
Dann wurde mein Mann, der wie ich im Home Office arbeitete, sehr krank und verbrachte währenddessen die meiste Zeit im Wohnzimmer auf der Couch, viel schlafend um sich auszukurieren. Das Mädel beobachtete ihn ... er nun die meiste Zeit liegend und anscheinend so nicht mehr so bedrohlich wirkend für sie ... aus sicherer Entfernung. In der Zeit versorgte ich sie, weil es meinem Mann einfach zu schlecht ging. Ansonsten zog ich mich aber zum Arbeiten in einen anderen Raum zurück, damit mein Mann schlafen konnte. Die Hündin blieb bei meinem Mann im Wohnzimmer, weil sie von dort aus auch in die Küche in ihre Box konnte und an ihr Wasser und insgesamt mehr Platz hatte. Zuerst saß sie nur da und beobachtete ihn - lange. Nach einigen Tagen begann sie, den Abstand abzubauen und irgendwann nahm sie ganz langsam direkten Kontakt auf.
Seit dieser Zeit waren die beiden unzertrennlich. Und obwohl sie bis an ihr Lebensende skeptisch gegenüber fremden Männern blieb und es in unserem Bekanntenkreis auch immer mal wieder Männer gab, mit denen sie einfach nicht warm wurde, blieb mein Mann bis zum Ende ihr ein und alles.
Es wurde hier schon erwähnt, dass Geduld ein wichtiger Faktor ist.
Ich glaube schon, dass wenn die Person, gegenüber welcher der Hund skeptisch ist, sich um ihn kümmert, füttert usw. dies das Aneinanderwachsen fördert und beschleunigt. Auch Dinge, wie gemeinsames Training vor allem mit positiver Bestärkung durch Leckerchen - vorausgesetzt der Hund ist einigermaßen futterorientiert - oder gemeinsame Aktivitäten helfen sicher.
Ich glaube aber, dass das "Knoten platzen" auch einfach Zeit braucht.
Obwohl ich eigentlich den Eindruck habe, dass da bei euch vieles schon in der Entwicklung ist und ihr euch auch nicht ungeschickt anstellt mit euren Strategien, könnte es vielleicht die Sache noch etwas beschleunigen, wenn der Hund mit deinem Mann hier und dort ein bisschen "Alleinzeit" hat und das vielleicht teilweise auf gleicher Ebene (dein Mann sitzend z.B.). Glaub das wurde hier auch schon erwähnt.
Vielleicht auch gar nichtmal so, dass dein Mann sich mit dem Hund die ganze Zeit beschäftigt, sondern dass er auch zwischendurch sein eigenes Ding macht (Fernsehen, Lesen, irgendwas Ruhiges) und der Hund einfach nur Gelegenheit bekommt, ihn zu studieren ohne durch euch abgelenkt zu sein oder sich zu euch (euch = du und Kind) quasi zurückziehen zu können.
In der Nähe sollte vielleicht auch ein oder der Platz sein, den ihr dem Hund als Rückzugsort zugedacht habt. Dann kann er sich auch zurückziehen, wenn ihm etwas nicht koscher erscheint. Der Platz sollte groß genug und gemütlich sein. Vielleicht sogar mal eine Box ausprobieren. Muss man ja nicht zumachen. Manche unsichere Hunde haben so ein "Zimmer" um sich lieber, als ein offenes Hundebett.
Im Endeffekt ist der Hund skeptisch, weil er Angst vor dem Neuen hat und davor, dass ihm Schlechtes widerfahren könnte.
Und es braucht einfach nur etwas Zeit und eine ausreichende Anzahl entsprechend positiver Erlebnisse bzw. das Ausbleiben schlechter Erlebnisse in eurem Haushalt für den Hund, um zu begreifen, dass er bei euch sicher ist und niemand - eingeschlossen dein Mann - ihm etwas Böses will.
Ich sehe das wie einige andere hier auch: Ich sehe keinen maßlos verkorksten Hund mit einer langen Leidensgeschichte und daraus folgenden nachhaltigen Verhaltensstörungen. Ich sehe einen besonders skeptischen Welpen, der in sein junges Leben nicht den besten Start hatte und vielleicht ein paar Erfahrungen hinter sich, die ihn sehr verunsichert haben.
Das ganze Geheimnis liegt hier - so wie sich das mir aus der Ferne darstellt - im Vertrauen fassen. Aber das wird kommen, so wie ihr euch bemüht, da bin ich mir ziemlich sicher.
Ansonsten stimme ich aber auch allen zu, die sagen, es ist immer schwierig, über das Internet wirklich zutreffenden Rat zu geben.
Dabei muss es gar nicht mal um sehr verkorkste Situationen gehen.
Das Problem ONLINE ist, dass alle Teilnehmer der Diskussion nur DAS von der Situation erfahren, was dem Fragesteller als Information besonders wichtig erscheint und man damit automatisch auch nur eine einzige subjektive Version der Sache liest.
Es liegt in der Natur der Sache, dass auf diese Weise eine scheinbar eindeutige Diagnose auch komplett daneben liegen kann.
Denn im Zweifelsfall kann genau DAS EINE wichtige Detail fehlen, das viele Tipps in eine ganz andere Richtung geführt hätte. Ich habe das schon öfter bei scheinbar eindeutigen oder harmlosen Umständen erlebt.
Insofern finde ich den hier auch schon erfolgten Rat, sich aus allen Tipps und Erfahrungen jeweils das heraus zu suchen, das zu der eigenen Situation nach eigener Einschätzung am besten passt, genauso nützlich, wie jede konkrete Erziehungsempfehlung und jeden Erfahrungsbericht.
Viel Glück euch!