Herrchen, die bellen - beißen die auch?
von STEFAN KUZMANY
Beim Nachmittagsspaziergang stellte die Nachbarin ihre Prioritäten klar:
Sollte sie sich jemals entscheiden müssen zwischen ihrem Gatten und ihrem
Hund, sie würde ohne zu zögern Rauhhaardackel Egon dem Bauingenieur Helmut
vorziehen. Als der Hund der Tante gestorben war, rief sie mit
tränenerstickter Stimme auf dem Mobiltelefon an. Jahrelang hatten sie und
der Onkel ihren Schäfermischling Max auf Knieen mit einem Löffel
gefüttert. Das bekannte Pärchen lässt der Natur ihres Mischlings Beppo
freien Lauf - am See, im Park, auf Partys. Wenn das lebhafte und
neugierige Tier andere Menschen belästigt, ignorieren sie das.
Verzeihen Sie diese persönlichen Bemerkungen. Aber wenn es um Hunde geht,
wird die Diskussion sofort persönlich, emotional und oft auch sehr
peinlich. taz-Autor Klaus Nothnagel kann ein Lied davon singen.
Für die Silvesterausgabe der taz verfasste Nothnagel einen satirischen
Jahresrückblick aus der Sicht eines Kampfhundes. Auszug: "6. Juni. Einer
aus unseren Kampfstaffeln, ein besonders schneidiger Pitbullbursche, beißt
in Hamburg-Wilhelmsburg ein sechsjähriges Kind namens Volkan tot! Geil!!
Jetzt gehts lo-hoos! Ob Welpe, Türkenbalg oder Jude - wir zerreißen alles,
wo kein reinrassiges Pitbull-, Mastino- oder Staffordshireblut drin
rauscht. Obwohl: Manchmal machen wir sogar die eigenen Kameraden tot!
Nämlich wenn sie schwächer sind als wir. Muss sein."
Eine Flut von Briefen erboster Leser erreichte daraufhin die Redaktion.
Das taz-Internet-Diskussionsforum (www.taz.de) erreichte bisher ungekannte
Teilnehmerzahlen. Bis gestern gingen insgesamt 227 Meinungsäußerungen ein
- in ihrer überwiegenden Mehrheit solche von Freunden des wehrhaften
Hundes (die Bezeichnung Kampfhund lehnen sie ab), die sich über die von
ihnen attestierte Geschmacklosigkeit von Nothnagels Satire beschwerten.
Ihr eigentliches Anliegen - die differenzierte Betrachtung des Problems
potenziell gewalttätiger Hunde und deren kriminelle Halter und Züchter
anstelle einer gleichmacherischen Verdammung bestimmter Hunderassen - ging
dabei fast unter. Zutage trat vielmehr eine bizarre und verklärte
Beziehung zwischen Mensch und Hund sowie eine befremdliche Bitterkeit und
Härte in der Auseinandersetzung der "Hundehasser" und "Hundefreunde".
Also Hunde mit der SS zu vergleichen, übersteigt ja jede Perversion, die
man sich ausmahlen kann. Das Hirn, dem das entsprungen ist, gehört hinter
Gitter. (...) Ein Vergleich ist allerdings fast passend, das Ausland
vergleicht uns teilweise schon wieder mit dem 3. Reich, da man es mit den
Hunden mittlerweile ähnlich hält wie damals mit den Juden.
("Sascha", taz-Forum)
Auffallend ist die Wortwahl gerade derer, die das harte Vorgehen gegen
Kampfhunde kritisieren: zum einen ist immer wieder davon zu lesen, dass in
Deutschland Kampfhundbesitzer verfolgt und diffamiert würden wie die Juden
während der Naziherrschaft. Die Kampfhundfreunde wehren sich also gegen
Diskriminierung ("Rechtsradikalismus gegen Menschen und Hunde sollte
verboten werden"). Dass sie dabei Unvergleichbares vergleichen, scheint
ihnen nicht bewusst. Ähnlich wie die absurde Idee, ihren Tieren bei einer
Demonstration für Hunde gelbe Davidsterne anzuheften, wirkt folgender
Hinweis einer Leserin namens "Marion":
Wer ist als nächstes dran?? Inline-Skater? Pferdebesitzer? Alle
Autobesitzer, deren Fahrzeuge mehr als 6 Liter verbrauchen?? Sagen Sie
nicht "ach quatsch", wenn ein Grundrecht für eine mit ca. 5 Millionen
Menschen nicht kleine Bevölkerungsgruppe ohne Aufschrei der Medien im
Eilverfahren durchgesetzt werden kann... Ich halte es mit unserem großen
Dichter: Denke ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf
gebracht...
Marion, Tau & Tiptoe (taz-Forum)
Befürworter der Nothnagel-Satire wurden von den aufgestachelten
Hundefreunden gnadenlos niedergemacht. Ihm selbst wurde mehrmals nahe
gelegt, sich in psychiatrische Behandlung zu begeben. Eine sich zu
Kampfhunden bekennende "Familie Perßon" schließt ihren Hassbrief an einen
missliebigen Andersdenkenden geradezu völkisch:
"Wir glauben weiterhin fest an unseren Kampf gegen den Irrsinn, der uns
aber trotzdem nicht die Kraft nimmt weiterzumachen. Für unsere Hunde!"
Dass es direkte Verbindungen zwischen Kampfhundefreunden und
rechtsradikaler Szene gibt, ist nicht belegt. Hinweise finden sich jedoch
nicht nur in der Sprache. Ein Katalog des Frankfurter Bekleidungs- und
Waffenversandes "Pitbull Germany" erweckt zumindest den Verdacht einer
großen Nähe: "Wir danken all denen, für die Pit Bull mehr darstellt als
nur eine Textilfirma. Der Name beinhaltet eine Philosophie. Er entstand
nicht zufällig. Er steht für: Ausdauer, Durchhaltevermögen, Treue,
Furchtlosigkeit, Gradlinigkeit, Charakterstärke. Damit identifizieren wir
uns. Das ist unser Leben! Wie wir stehen die Pit Bulls [sic!] im
Fadenkreuz der oft viel zu spießigen Gesellschaft, in der es sich nur noch
um Geld, Konsum und RTL dreht", heißt es im Katalog, gesetzt in Fraktur.
Dort wird neben Hundeleinen und Halsbändern für den vierbeinigen Kämpfer
auch eine "elegante Wurfaxt für den kräftigen Werfer" und ein T-Shirt mit
der Aufschrift "Multikriminelles Frankfurt" angeboten. Dass "Pit
Bull"-Kleidung in Neonazikreisen getragen wird, ist kein Geheimnis. Einen
Hinweis auf diesen Zusammmenhang im Internet kommentierte "Ein
geradliniger Deutscher" wie folgt: "Linke Bazille, beim Endzeit-Gong wirst
auch Du sterben, wir finden Dich überall!"
Ganz so hart ging es auf dem taz-Forum nicht zu. Immer tiefer verstrickten
sich Kampfhundfreunde und -gegner in Detailbetrachtungen der Beiträge
anderer, unterstellten sich gegenseitig, falsche Namen zu verwenden und
E-Mail-Adressen zu fälschen. Sie bedrohten sich und forderten sich auf,
sich zum Kampf zu stellen. Sie warfen sich gegenseitig vor, von der taz
gekauft zu sein (was nicht von großer Kenntnis dieser Zeitung zeugt), und
der taz, dass sie die gesamte Debatte inszeniert habe. Sie wiederholten
sich. Immer wieder. Die gesamte Ladung Internet-Irrsinn also.
Doch Klaus Nothnagel, der Autor des inkriminierten Artikels, ging auf die
Vor- und Anwürfe ein. Er wehrte sich. Er focht mit spitzer Feder. Er
diskutierte. Er zitierte Tucholsky zum Thema Satire. Allein, es half
nichts. Seine Argumente und Spitzen verhallten unverstanden. Als Nothnagel
per E-Mail deutlich drohende Botschaften bekam, entschloss er sich, sich
aus der Debatte zurückzuziehen.
Die Berliner Journalistin Meike Wöhlert hat ähnliche Erfahrungen gemacht.
Vor zwei Jahren veröffentlichte sie im Berliner Stadtmagazin Zitty einen
Kommentar über Kampfhunde - und wurde daraufhin mehrmals brieflich
bedroht. "Beim Verlassen der Redaktion habe ich mich eine Zeit lang immer
umgesehen, ob da nicht einer mit seinem Hund auf mich wartet." Passiert
ist ihr jedoch nichts. Dem Kollegen Nothnagel empfiehlt sie, sich in
Sachen "Kampfhunde" doch in Zukunft etwas zurückzuhalten. Diesem Rat folgt
er. Und legt Wert auf die Feststellung, dass er sich zum Thema
"Kampfhunde" ausführlich genug geäußert hat. Endgültig.
taz Nr. 6343 vom 11.1.2001, Seite 6, 205 Zeilen, TAZ-Bericht
STEFAN KUZMANY
von STEFAN KUZMANY
Beim Nachmittagsspaziergang stellte die Nachbarin ihre Prioritäten klar:
Sollte sie sich jemals entscheiden müssen zwischen ihrem Gatten und ihrem
Hund, sie würde ohne zu zögern Rauhhaardackel Egon dem Bauingenieur Helmut
vorziehen. Als der Hund der Tante gestorben war, rief sie mit
tränenerstickter Stimme auf dem Mobiltelefon an. Jahrelang hatten sie und
der Onkel ihren Schäfermischling Max auf Knieen mit einem Löffel
gefüttert. Das bekannte Pärchen lässt der Natur ihres Mischlings Beppo
freien Lauf - am See, im Park, auf Partys. Wenn das lebhafte und
neugierige Tier andere Menschen belästigt, ignorieren sie das.
Verzeihen Sie diese persönlichen Bemerkungen. Aber wenn es um Hunde geht,
wird die Diskussion sofort persönlich, emotional und oft auch sehr
peinlich. taz-Autor Klaus Nothnagel kann ein Lied davon singen.
Für die Silvesterausgabe der taz verfasste Nothnagel einen satirischen
Jahresrückblick aus der Sicht eines Kampfhundes. Auszug: "6. Juni. Einer
aus unseren Kampfstaffeln, ein besonders schneidiger Pitbullbursche, beißt
in Hamburg-Wilhelmsburg ein sechsjähriges Kind namens Volkan tot! Geil!!
Jetzt gehts lo-hoos! Ob Welpe, Türkenbalg oder Jude - wir zerreißen alles,
wo kein reinrassiges Pitbull-, Mastino- oder Staffordshireblut drin
rauscht. Obwohl: Manchmal machen wir sogar die eigenen Kameraden tot!
Nämlich wenn sie schwächer sind als wir. Muss sein."
Eine Flut von Briefen erboster Leser erreichte daraufhin die Redaktion.
Das taz-Internet-Diskussionsforum (www.taz.de) erreichte bisher ungekannte
Teilnehmerzahlen. Bis gestern gingen insgesamt 227 Meinungsäußerungen ein
- in ihrer überwiegenden Mehrheit solche von Freunden des wehrhaften
Hundes (die Bezeichnung Kampfhund lehnen sie ab), die sich über die von
ihnen attestierte Geschmacklosigkeit von Nothnagels Satire beschwerten.
Ihr eigentliches Anliegen - die differenzierte Betrachtung des Problems
potenziell gewalttätiger Hunde und deren kriminelle Halter und Züchter
anstelle einer gleichmacherischen Verdammung bestimmter Hunderassen - ging
dabei fast unter. Zutage trat vielmehr eine bizarre und verklärte
Beziehung zwischen Mensch und Hund sowie eine befremdliche Bitterkeit und
Härte in der Auseinandersetzung der "Hundehasser" und "Hundefreunde".
Also Hunde mit der SS zu vergleichen, übersteigt ja jede Perversion, die
man sich ausmahlen kann. Das Hirn, dem das entsprungen ist, gehört hinter
Gitter. (...) Ein Vergleich ist allerdings fast passend, das Ausland
vergleicht uns teilweise schon wieder mit dem 3. Reich, da man es mit den
Hunden mittlerweile ähnlich hält wie damals mit den Juden.
("Sascha", taz-Forum)
Auffallend ist die Wortwahl gerade derer, die das harte Vorgehen gegen
Kampfhunde kritisieren: zum einen ist immer wieder davon zu lesen, dass in
Deutschland Kampfhundbesitzer verfolgt und diffamiert würden wie die Juden
während der Naziherrschaft. Die Kampfhundfreunde wehren sich also gegen
Diskriminierung ("Rechtsradikalismus gegen Menschen und Hunde sollte
verboten werden"). Dass sie dabei Unvergleichbares vergleichen, scheint
ihnen nicht bewusst. Ähnlich wie die absurde Idee, ihren Tieren bei einer
Demonstration für Hunde gelbe Davidsterne anzuheften, wirkt folgender
Hinweis einer Leserin namens "Marion":
Wer ist als nächstes dran?? Inline-Skater? Pferdebesitzer? Alle
Autobesitzer, deren Fahrzeuge mehr als 6 Liter verbrauchen?? Sagen Sie
nicht "ach quatsch", wenn ein Grundrecht für eine mit ca. 5 Millionen
Menschen nicht kleine Bevölkerungsgruppe ohne Aufschrei der Medien im
Eilverfahren durchgesetzt werden kann... Ich halte es mit unserem großen
Dichter: Denke ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf
gebracht...
Marion, Tau & Tiptoe (taz-Forum)
Befürworter der Nothnagel-Satire wurden von den aufgestachelten
Hundefreunden gnadenlos niedergemacht. Ihm selbst wurde mehrmals nahe
gelegt, sich in psychiatrische Behandlung zu begeben. Eine sich zu
Kampfhunden bekennende "Familie Perßon" schließt ihren Hassbrief an einen
missliebigen Andersdenkenden geradezu völkisch:
"Wir glauben weiterhin fest an unseren Kampf gegen den Irrsinn, der uns
aber trotzdem nicht die Kraft nimmt weiterzumachen. Für unsere Hunde!"
Dass es direkte Verbindungen zwischen Kampfhundefreunden und
rechtsradikaler Szene gibt, ist nicht belegt. Hinweise finden sich jedoch
nicht nur in der Sprache. Ein Katalog des Frankfurter Bekleidungs- und
Waffenversandes "Pitbull Germany" erweckt zumindest den Verdacht einer
großen Nähe: "Wir danken all denen, für die Pit Bull mehr darstellt als
nur eine Textilfirma. Der Name beinhaltet eine Philosophie. Er entstand
nicht zufällig. Er steht für: Ausdauer, Durchhaltevermögen, Treue,
Furchtlosigkeit, Gradlinigkeit, Charakterstärke. Damit identifizieren wir
uns. Das ist unser Leben! Wie wir stehen die Pit Bulls [sic!] im
Fadenkreuz der oft viel zu spießigen Gesellschaft, in der es sich nur noch
um Geld, Konsum und RTL dreht", heißt es im Katalog, gesetzt in Fraktur.
Dort wird neben Hundeleinen und Halsbändern für den vierbeinigen Kämpfer
auch eine "elegante Wurfaxt für den kräftigen Werfer" und ein T-Shirt mit
der Aufschrift "Multikriminelles Frankfurt" angeboten. Dass "Pit
Bull"-Kleidung in Neonazikreisen getragen wird, ist kein Geheimnis. Einen
Hinweis auf diesen Zusammmenhang im Internet kommentierte "Ein
geradliniger Deutscher" wie folgt: "Linke Bazille, beim Endzeit-Gong wirst
auch Du sterben, wir finden Dich überall!"
Ganz so hart ging es auf dem taz-Forum nicht zu. Immer tiefer verstrickten
sich Kampfhundfreunde und -gegner in Detailbetrachtungen der Beiträge
anderer, unterstellten sich gegenseitig, falsche Namen zu verwenden und
E-Mail-Adressen zu fälschen. Sie bedrohten sich und forderten sich auf,
sich zum Kampf zu stellen. Sie warfen sich gegenseitig vor, von der taz
gekauft zu sein (was nicht von großer Kenntnis dieser Zeitung zeugt), und
der taz, dass sie die gesamte Debatte inszeniert habe. Sie wiederholten
sich. Immer wieder. Die gesamte Ladung Internet-Irrsinn also.
Doch Klaus Nothnagel, der Autor des inkriminierten Artikels, ging auf die
Vor- und Anwürfe ein. Er wehrte sich. Er focht mit spitzer Feder. Er
diskutierte. Er zitierte Tucholsky zum Thema Satire. Allein, es half
nichts. Seine Argumente und Spitzen verhallten unverstanden. Als Nothnagel
per E-Mail deutlich drohende Botschaften bekam, entschloss er sich, sich
aus der Debatte zurückzuziehen.
Die Berliner Journalistin Meike Wöhlert hat ähnliche Erfahrungen gemacht.
Vor zwei Jahren veröffentlichte sie im Berliner Stadtmagazin Zitty einen
Kommentar über Kampfhunde - und wurde daraufhin mehrmals brieflich
bedroht. "Beim Verlassen der Redaktion habe ich mich eine Zeit lang immer
umgesehen, ob da nicht einer mit seinem Hund auf mich wartet." Passiert
ist ihr jedoch nichts. Dem Kollegen Nothnagel empfiehlt sie, sich in
Sachen "Kampfhunde" doch in Zukunft etwas zurückzuhalten. Diesem Rat folgt
er. Und legt Wert auf die Feststellung, dass er sich zum Thema
"Kampfhunde" ausführlich genug geäußert hat. Endgültig.
taz Nr. 6343 vom 11.1.2001, Seite 6, 205 Zeilen, TAZ-Bericht
STEFAN KUZMANY