NRW: 350 Grüne verliessen Partei wegen Kampfhundeverordnung.

Moe

20 Jahre Mitglied
Die Wandlungen des Ludger Volmer: „Willst du deine Prinzipien
totreiten?“

Kampfhunde und Friedensfreunde

Der Staatsminister im Auswärtigen Amt hat wesentlich
mitgeholfen, die Grünen auf Regierungskurs zu führen – ihr
Undank ist ihm gewiss


Von Cathrin Kahlweit

Wenn er sich selbst und andere bei seinem Leib- und Magenthema, der
deutschen und insbesondere der grünen Außenpolitik, beruhigen will,
dann verweist Ludger Volmer gern auf Pitbull- Terrier. Denn der Streit
um die Kampfhunde hat den Grünen in seinem Landesverband
Nordrhein-Westfalen, zumindest zahlenmäßig, ebenso geschadet wie
der um die Luftschläge gegen

Afghanistan. Rund 350 Grüne verließen die Partei im Sommer 2000,
weil Umweltministerin Bärbel Höhn eine strenge
Kampfhundeverordnung verkündete, die grüne Tierschützer
unerträglich fanden. Weitere 350 Grüne aus Nordrhein- Westfalen
haben in den vergangenen Wochen ihren Austritt verkündet, weil ein
grüner Außenminister und ein grüner Parteitag den Anti-Terror-Krieg
und die deutsche Teilnahme daran für nötig befunden haben.

Das erfüllt den Staatsminister im Auswärtigen Amt zwar nicht mit
Genugtuung, aber doch mit einer gewissen Gelassenheit: Die Partei
wird, da ist er sich sicher, nicht untergehen und nicht auseinanderfallen,
nur weil sie ihre außenpolitischen Vorstellungen der Realität anpasst. Er
selbst ist ja auch nicht untergegangen, ist auch nicht aus der Partei
gefallen, obwohl gerade Ludger Volmer seine Vorstellungen von Außen-
und Realpolitik mehr als manch anderer Grüner den Zwängen der
Weltlage und der Regierungsbeteiligung angepasst hat.

Einst ein Feind der Nato

Der einstige Vorzeige-Linke ist daher ein ideales Beispiel für das, was
die Grünen seit Jahren durchschüttelt: Wie soll man sich zu den Kriegen
auf dem Balkan und dem Antiterrorkrieg der Vereinigten Staaten
stellen, wenn man sich einerseits den Weltfrieden auf die Fahnen
geschrieben hat, andererseits aber, um andere

Ideen zu verwirklichen, in einer Bundesregierung sitzen will? Oder, wie
es ein Mitglied seines Landesverbandes formuliert: „Volmer hat die
interessanteste Wandlungskarriere hinter sich, die

ich kenne. Aber ich glaube, sie ist

authentisch.“

Das glauben nur leider nicht viele von Ludger Volmer, wie auch seiner
Partei immer wieder vorgeworfen wird, sie ziehe nur deshalb in den
Krieg, weil sie im Dienstwagen an die Front gefahren werden wolle.
Volmer, studierter Sozialwissenschaftler und Gründungsmitglied der
Grünen, war neben Marianne Birthler Anfang der neunziger Jahre einer
der Vorstandssprecher der Partei sowie davor und danach
Bundestagsabgeordneter. Damals galt Volmer als Gegenspieler von
Joschka Fischer, als linker Taktiker, als politischer Pazifist, als einer,
der die Parteilinke gegen den „Anpassungskurs“ der Realos
mobilisierte, mittelfristig die Bundeswehr abschaffen und langfristig aus
der Nato austreten wollte. Einer, der auf jedem Parteitag Papiere über
die „konsequente Zivilisierung der Außenpolitik“ und für
nicht-militärische Sanktionspolitik schrieb. Und der sitzt heute als
stellvertretender Außenminister in Berlin, hält den Mund, passt sich an,
plädiert für kritische Solidarität mit den USA?

Er selbst findet, hier gehe es nicht um Einknicken. Und auch nicht um
eine Wandlung vom Saulus zum Paulus – oder vom Paulus zum Saulus,
je nach Standpunkt. „Die Frage, die man an sich selbst stellen muss,
lautet: Willst du deine Prinzipien totreiten, oder willst du deine Prinzipien
mit neuen Realitäten verbinden und fortschreiben?“

Derzeit arbeitet der Staatsminister an einem Essay zum Pazifismus-
Begriff, weil die Grünen nach Rostock quasi posthum zu einer inneren
Deutung ihrer Beschlüsse geführt werden müssten. Grundsätzlich will
der Autor dabei unterscheiden zwischen einem gesinnungsethischen
Pazifismus, der „sehr ehrenwert“ ist, und einem historisch bedingten
Pazifismus-Begriff, der auf neue Realitäten angewendet werden muss:
auf privatisierte Gewalt etwa und darauf, dass nicht jeder
Friedenstraum absolut gesetzt werden könne, wenn die Welt es nicht
zulässt.

Mehr will er noch nicht sagen, schließlich ist das Papier noch nicht fertig.
Nur soviel: „Natürlich wollen die Grünen möglichst viel von ihrer
Friedenspolitik umsetzen, und dazu gehören in erster Linie Diplomatie
und Krisenprävention. Aber wir sind nicht die einzigen in der Regierung,
und diese Regierung ist nicht die einzige auf der Welt.“

Im grünen Berlin, das das Berlin des grünen Außenministers Joschka
Fischer ist, wird über Ludger Volmer nicht nett geredet. Was zwei
Gründe hat: Jene Linken, die, anders als Angelika Beer oder Ludger
Volmer, den Wandel der offiziellen grünen Außenpolitik nicht
nachvollzogen haben, betrachten Volmer als Verräter. Und jene Realos,
die schon immer auf Fischer-Linie waren, betrachten ihn als
Opportunisten.

Er selbst sieht sich als Taktiker, der jahrelang eine so undankbare wie
schwierige Rolle erfüllte: Fischer, so Volmer, habe die Partei in den
90er Jahren auf einen Regierungskurs trimmen wollen, der militärische
Mittel als Ultima Ratio einkalkuliert. Er selbst habe die Aufgabe
übernommen, die Linken auf eben diesen Regierungskurs zu führen und
dabei ungewollte Bündnisse mit radikalen Fundis eingehen müssen. „Ich
war der bad guy; keiner wurde so beschimpft wie ich. Fischer war der
good guy.“ Aber im Grunde hätten Joschka Fischer und er das Gleiche
gewollt: Lernprozesse organisieren und die Partei von zwei Seiten
zusammenhalten.

„Die Grünen und die Außenpolitik, ein schwieriges Verhältnis“, heißt die
Dissertation des grünen Politikers, und das Thema ist natürlich
Programm. In der Kurzbeschreibung der Arbeit heißt es, grüne
Außenpolitik, das sei ein „Pazifismus, der sich weigert, mit Waffen die
Menschenrechte zu verteidigen; dazu eine antiwestliche Grundhaltung,
viele altlinke Einstellungen und Flügelkämpfe, welche die Partei in die
Spaltung treiben“. Und dann folgt der schöne Satz: „Ludger Volmer
korrigiert mit viel Insiderkenntnis dieses öffentliche Bild.“

Ein „Nicht-Verhältnis“ zu Fischer

Er selbst wird an der Formulierung des Klappentextes der Buchversion
nicht unbeteiligt gewesen sein, und auch noch drei Jahre nach der
Veröffentlichung fragt er, fast ein wenig beleidigt: „Darf man denn nicht
dazu lernen, wenn man sich ausführlich bei einem Thema einarbeitet?“

Natürlich darf man, nur muss man dann damit rechnen, dass die
eigenen Leute, oder besser: die einstmals eigenen Leute, das nicht
immer verstehen. In Volmers Landesverband Nordrhein-Westfalen wird
schon jetzt heftig gemunkelt, der Staatsminister des Äußeren könne bei
der Listenaufstellung für die nächste Bundestagswahl „in der Mitte
durchrutschen“. Denn die Linken fühlen sich von ihm nicht mehr
vertreten, und die Realos haben ihre eigenen Leute für die vorderen
Listenplätze, Volker Beck etwa oder Reinhard Loske.

Volmers Freund und langjähriger Mitarbeiter, der heutige
Landesvorstandssprecher in NRW, Frithjof Schmidt, gibt zu bedenken,
dass Volmer mit seinem Ja zum Kosovo-Krieg und seinem Ja zum
Afghanistan-Krieg eben nicht für alle, nicht für „die Partei“ stehe. Dass
der Preis für die Regierungsbeteiligung vielleicht zu hoch sei. Und dass
die Aufgabe des einstigen Widerparts von Ober-Realo Fischer
womöglich nicht dadurch ersetzt werden könne, dass man sich als
analytischer Kopf profiliere.

Eben das könnte es also sein, wofür Ludger Volmer bei den Grünen
letztlich steht: Die Auseinandersetzungen zwischen Linken und Realos,
die sich unter anderem an den Positionen zum Balkan und zu
Afghanistan festmachen, haben an Stärke verloren. Das Verhältnis zu
Joschka Fischer gilt als „Nicht- Verhältnis“; schließlich braucht Fischer
Volmer nicht mehr, um die kritische Linke zu integrieren. Also folgt der
politische Bedeutungsverlust.

Volmer selbst sieht das anders: „Ja, ich halte jetzt ab und zu den Mund.
Weil ich will, und nicht, weil ich muss.“ Und: „Warum wird eigentlich von
unsereinem immer erwartet, den jugendlichen Helden zu geben?“


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