Einem Menschen, der von Zuhause nicht vorgelebt bekommen hat, wie es geht und der bis dahin alles verknackt hat, bringe ich nicht wieder auf die Spur, in dem ich ihm alles leicht mache und ihm Extrawürste brate. Diese Leute müssen die Erfahrung machen, dass sie ganz tief fallen, wenn sie sich nicht selber aus der Sch... holen und das sie nur dann Hilfe zu erwarten haben, wenn sie selber dafür etwas tun. Diese Menschen haben ihr bisheriges Leben so erlebt, dass man nichts bis zum Ende durchzieht, irgendwie doch durch kommt, auch wenn man nicht alles gibt, die anderen immer Schuld sind, eh alles sinnlos ist ... und man mit Besch.eißen am besten fährt.
Hm, das kommt wirklich auf den Einzelfall und die individuellen Ressourcen an. Würde ich nicht grundsätzlich unterschreiben. Jemand, der eh schon völlig perspektivlos ist, den kann ich nicht einfach hängen lassen, dann steckt der den Kopf noch tiefer in den Sand und sagt: Jo, wusste ich, bringt alles nichts.
Da gehört dann ein bißchen Fingerspitzengefühl zu, denjenigen zu aktivieren und zu motivieren und ihm, für ihn nicht überwindbare, Barrieren frei oder zumindest niedriger zu bauen.
Kennt Ihr den Ausdruck: Erlernte Hilflosigkeit?
Das ist etwas, was viele Menschen ereilt, die man gehässig auch "Sozialhilfeadel" nennen könnte. Es gibt solche Familien, da sind die Kids schon chancenlos, wenn sie auf die Welt kommen, weil sie mitten in eine Perspektivlosigkeit reingeboren werden. Und da hebelst Du Dich nicht mit gutem Willen und Mut raus, das brauchht mehr, wenn Du damit aufwächst, dass Du eh keine Perspektive hast.
Und genau diese Kinder/Jugendlichen oder auch erwachsen, wisst Ihr, was ich mit denen mache? Denen eröffne ich Chancen, bei denen häng ich mich rein, lasse sie nicht zu tief ins System rutschen, denen trag ich den Hintern hinterher, dass sie eine Wohnung bekommen, dass ihre Bezüge laufen, dass sie eine Chance haben und nicht noch weiter abrutschen.
Nun kommen bei meinen Leuten andere Problemlagen hinzu, es ist immer eine Suchterkrankung vorhanden und ja, da muss ich, bis zu einem bestimmten Grad, gucken, dass ich nicht zu viel hinterher trage.
Ganz aktuell (und ein bißchen abgeändert), habe ich eine 19jährige in Beratung, auf Heroin (und was sie sonst bekommt), obdachlos, hat mittlerweile einen rechtlichen Betreuer (dem Himmel sei Dank!), fängt an sich zu verkaufen, wird demnächst mal wieder einfahren. Und Eltern sind schwer coabhängig und rennt hinter ihrer Tochter her.
Dieses Kind (sie ist ein Kind, auch vom Verhalten her) versuche ich händeringend bei der niedrigschwelligen Drogenberatung anzubinden. Sie giert nach der Szene und dem nächsten Kick, pennt in Drogennotunterkünften (mit allem, was leider dazu gehört). Und die Drobs sagt: Nee, ist uns zu nah an der Szene, wenn sie bei uns ist.
Und die sitzt vor mir und sagt: Also ihre Zukunftsperspektive ist: Eigene Wohnung, da guckt sie dann Fernsehen und einmal die Woche geht sie einkaufen.
DIE muss ich rennen lassen und sie rennt in ihr Verderben. Das ist einer der Fälle, wo ich nichts tun werde. Ich werde sie fleißig unterbringen, solange sie konsumiert in der Drogennotunterkunft, danach weiß ich noch nicht weiter, woanders hat sie Hausverbot, aber ich habe momentan auch nicht die Hoffnung, dass sie bei einer Urinkontrolle mal nicht reagiert, letztes Mal hat schlicht alles angeschlagen...
Es ist momentan der für mich schwierigste Fall, sie ist so jung, geistig noch viel, viel jünger, sie hat in diesem System (Obdachlosenszene, Drogenszene) nichts, aber auch wirklich gar nichts verloren, aber sie hängt mittendrin und sie will genau das. Leute in dem Alter versuche ich mit aller Kraft von der Hardcoreszene fern zu halten. Ich habe noch nie jemand so jungen in der Drogennotunterkunft untergebracht-aus gutem Grund. In diesem Fall geht nichts anderes mehr, außer sie pennt draußen oder ich rieskier, dass sie doch nochmal einen "netten" Typen findet, der sie gegen S.ex mit nach Hause nimmt. Dann ist es aber vermutlich völlig vorbei, dann fehlt jeglicher Zugriff. (demzufolge, ganz hängenlassen tue ich sie nicht, ich versuche sie zumindest bei uns Fachkräften (und die sind ja auch in der Notunterkunft) anzubinden. Momentan am meisten dadurch, dass sie eben in der NU pennt, da kann man sie zumindets mal greifen)
Und sie ist bereits jetzt völlig perspektivlos, der nächste Druck ist interessant oder wie man an Kohle kommt (gut, das ist Teil der Erkrankung), aber sonst nix. Eigene Wohnung (weil sie da in Ruhe gelassen wird) und peng. Ich bin nur froh, dass das JC momentan da nicht mit Maßnahmen noch stresst, die wäre schneller auf Null gekürzt, als ich einschreiten könnte und dann würds richtig witzig...und so wie die momentan unterwegs ist, ginge es dermaßen weit bergab, dass es kein Zurück gäbe. Das heißt also doch, in diesem Fall, von ganz weit weg: Hand untern Hintern, dass sie kurz vor dem Aufprall doch noch abgefangen werden kann.
Andererseits hab ich auch wiederum Fälle, wo mir das Messer in der Tasche aufklappt. Kommt einer reingestolpert, sagt, ich müsste ihm eine Wohnung geben (da steh ich ja schon voll drauf, müssen tu ich schonmal gar nichts, Wohnungen hab ich eh nicht ad hoc) und als ich frage, was aus seiner letzten wurde, berichtet er, er habe einen Job gehabt und keine Zahlungen mehr vom JC bekommen. Und da er nicht so viel Geld ausgeben wollte, habe er seine Wohnung gekündigt. Nun sei er wieder arbeitslos und obdachlos noch dazu (drauf war er auch wieder). Und ich musste ihn unterbringen, weil wir in Bremen eine Unterbringungspflicht haben. Kotzt mich an! Und wenn man ihn dann fragt, was er sich denn so vorgestellt hat, wer die Miete zahlt, wenn er genügend Einkommen hat, wird er noch itzig.
Und dann, und da hab ich dann auch das Gespräch für den Tag beendet, wurd mir zu doof, sagt er noch: Ja, neue Möbel müsst er dann auch haben. Ich fand das irgendwie unverständlich, er hatte ja nur seine Wohnung gekündigt und verlassen, das Ding war ja nicht abgebrannt oä.. Da sagt er mit der tiefsten Selbstverständlichkeit: Die hab ich auf den Sperrmüll gestellt, die waren schon drei Jahre alt.
Klar ist, wenn man in meinem Bereich arbeitet, kommen solche Fälle vor. Aber, und das kann ich sowohl über den Bereich der Leute mit Suchterkrankung, als auch über den Bereich der Leute ohne besondere soziale Schwierigkeiten (abgesehen von Obdachlosigkeit oder drohender Obdachlosigkeit) sagen: Es ist die Ausnahme!
Die Kollegen in den JC sind heillos überarbeitet, sie sind angehalten, die Leute in Maßnahmen zu stecken, haben enge Vorgaben und kommen da kaum raus. Diese Maßnahmen sind nicht immer sinnig, ohne Frage (aber die Leute verschwinden aus der Statistik...jedes Mal wenn die Arbeitslosenzahlen sinken, könnt ich nur laut schreien: Ja, weil Ihr die Statistik schönt, indem ihr Leute da raus nehmt, die ihr in Maßnahmen gestopft habt!).
Im Kinder- und Jugendbereich wird gerade heftig über Auslandsmaßnahmen und deren Wirksamkeit diskutiert. Ich hab schon Kinder gehabt (damals, im Jugendamt), die für 2 Jahre in Afrika oder sonstwo gelebt haben und sich dort (zum Einen, weil sie von ihrer Familie und ihrem Umwelt weg waren, zum anderen, weil sie enge Regeln und Aufgaben hatten und in den Familien dort angenommen wurden) sehr gut entwickelten. Dann kamen sie zurück und schwupps hingen sie wieder in ihren alten Verhaltensmustern.
Andere hingegen sind in dieser Zeit gereift und haben es geschafft, sich nicht wieder in ihre alten Verhaltensmuster zurück ziehen zu lassen.
Um einen Break reinzubringen, um zu erreichen, dass jemand überhaupt mal ansprechbar wird (weil er vor Ort gar eine andere Möglichkeit hat, sich nicht entziehen kann), um überhaupt heraus zu finden, was genau denjenigen dazu veranlasst, sich zu verhalten, wie er sich verhält und dann eventuell mit demjenigen gemeinsam noch an Veränderungen zu arbeiten, um hier überhaupt einen Anfang zu finden, KANN eine solche Maßnahme wirksam sein. Das bedingt aber, dass es einen Anschluß gibt. Wenn ich denjenigen danach wieder fröhlich in sein Leben entlasse, ist wieder ganz schnell alles auf Anfang. Und das ist nur verständlich und natürlich!
Wir kennen das doch alle, den inneren Schweinehund zu überwinden ist eine Sache und schon schwer genug. Aber wie schwer ist es Dinge zu schaffen, von denen Dir Dein ganzes Leben gesagt worden ist: Kannst Du nicht, wirst Du nie können! ? Das ist beinah unmöglich, weil Du selbst dran glaubst. Du musst also Menschen finden, die mit Dir daran glauben, dass Du es schaffen kannst und die verhindern, dass Du Dich wieder runterziehen lässt.
So, nu reichts *g*
LG
Sina