Schlachthofgang - Alma

Kai

20 Jahre Mitglied
Der Dichter (www.belletristik.ch), Satiriker, Ketzer, Lebensberater und Vegetarier Jakob Brem hat für den "fellbeißer" eine seiner Kindheitserinnerungen betreffend "Tierverwertung" literarisch verarbeitet.

Schlachthofgang

Alma

Als ich 15 war, arbeitete ich oft auf Nachbars Hof. Eines Nachmittags musste ich Alma zum Schlachthof ins Nachbardorf führen. Alma wollte nicht mehr "aufnehmen" und gab nur noch vier Liter Milch pro Tag.

"Dass du mir ja nicht die Zeit vertrödelst! Um fünf Uhr will sie der Dreher im Schlachthof haben. Und lass sie nicht fressen auf dem Weg, er will sie nüchtern drannehmen!"

"Ich werde mir Mühe geben Meister, aber wie kann ich sie antreiben und zugleich am Strick führen, wenn sie nicht mehr will?"

"Du darfst nur nicht zurück schauen und mit ihr sprechen, dann geht sie immer brav hinter dir her."

Hast du gehört, Alma, immer hinter mir herlaufen, dann muss ich dich nicht mit dem Stecken hauen. Ich werde ein Lied singen. Ja, Alma, das tue ich. 'Am Brunnen vor dem Tore'. Ich hatte es oft gesungen, wenn ich im Stall arbeitete. Meine Mutter hatte es mich gelehrt. Meister Schubert hat das Lied erfunden. Schade, er hat keine Lieder für Kühe geschrieben. Aber ich werde es tun, wenn ich einmal ganz groß geworden bin. Ich will Sänger werden wie meine Mutter. Aber ich darf jetzt nicht an meine Mutter denken, sonst werde ich traurig. Du weißt, Alma, meine Mutter ist auch tot. Auch du wirst bald tot sein. Heute abend um fünf.

Der liebe Gott ist auch schon tot gemacht worden. Du wirst ihn vielleicht sehen, als Engel. Meine Mutter hat mir das gesagt. Alle guten Menschen und alle Tiere werden zu Engeln gemacht, wenn sie zu Tode gekommen sind. Vielleicht kannst du dann um unser Haus fliegen und mir zuwinken. Nein, der liebe Gott ist nicht so bös wie die Menschen. Er sammelt keine Hörner, keine Pelze, isst kein Kuhfleisch, keine Würste. Er isst nur manchmal Blumen, darum sei er so schön, haben mir meine Gedanken einmal gesagt.

Nein, bleib jetzt nicht stehen. Ich würde dich ja gern in den Wald führen und dort laufen lassen, aber der Meister würde dich suchen, mit Stricken an den Traktor binden und zum Schlachthof abschleppen. Das habe ich schon gesehen, glaub mir. Dich würde ich nie anlügen. Bei deinem heiligen Pelz schwöre ich, dass ich sowas schon gesehen habe. Wenn sie dich getötet haben, bist du wieder ein Gedanke. Mit deinen Gedanken kannst du mir auch nach deiner Ermordung Bilder zudenken. Der Jesus solle das können, warum solltest du das nicht auch tun können. Ihn hätten sie auch ermordet, sagt man. Er war ohne Sünden. Aber du bist auch ohne Sünde, alle Tiere sind ohne Sünde. Ich denke, auch Menschenkinder sind ohne Sünden. Ja, ich hab dich auch schon mit dem Stecken gehauen, wenn du ganz und gar stehen bliebst, aber dann habe ich dich auch wieder gestreichelt oder dürres Brot gebracht. Deine großen Kuhaugen haben mir schon viele Geschichten erzählt. So oft schon hatte ich dich umarmt, wenn ich traurig war.

Dann sah ich in deine Augen und ich konnte bald wieder lachen, wenn du deine riesigen Ohren nach vorne und dann wieder nach hinten schwenktest.

Vor deinem schwarzen Maul habe ich mich nie gefürchtet. Nein, du hattest dich vielleicht vor mir gefürchtet, wenn ich an einem deiner langen weißen Maulhaare zog. Warum Kühe lange weiße Maulhaare haben, weiß ich immer noch nicht. Ich wusste schon als kleiner Knabe, dass Kühe keine Kinder essen. Menschen tun das, sie essen Kuhkinder und bald werden sie auch dich essen. Ich weiß genau, was sie mit deinem wunderschönen schwarzen Maul machen. Nein, senk jetzt nicht deinen Kopf. Wenn sie das tun mit deinem Maul, was ich weiß, dann ist dein Gedanke schon weggeflogen. Dann kannst du mir Gedanken von Kuhbildern zudenken. Ich werde deine Geschichten weitererzählen, aber nur Tieren werde ich sie weitererzählen. Menschen würden deine Geschichten nicht verstehen. Sie sind dumm und wollen keine Kuhgeschichten anhören.

Warum legst du dich jetzt mitten auf den Weg? Wir müssen weiter. Um fünf Uhr müssen wir im Schlachthof sein. Nein, ich kann dich nicht hier liegen lassen. Der Bauer würde mich mit dem gleichen Stecken hauen, mit dem er die Kühe schlägt, und dich würde er auch schlagen. Dann könnte ich nicht mehr bei dir sein, wenn all das viele Blut aus deinem aufgeschnittenen Hals strömt. Meinetwegen, ein bisschen ausruhen darfst du. Ich lege mich zu dir hin, will mit dir traurig sein. Du bist so warm, dein Pelz ist so weich - und wie gut du riechst. Ob der liebe Gott auch so gut riecht wie du? Er wird sicher so gut riechen wie du.

Gute Gedanken riechen gut, so gut, dass der ganze Himmel sich freut und schlechte Gedanken stinken zur Hölle. Immer wenn ich deinen starken Hals umarmte, breitete sich dein Geruch in meinem Herzen aus. Ich trug deinen Geruch nach Hause und schlief mit ihm ein. Auch jetzt bin ich voll von deinem Geruch. Wenn ich weinend nach Hause gehe ohne dich, wird mich dein Geruch begleiten und in unserm mutterlosen Haus in den Schlaf wiegen. Aber jetzt, Alma, bitte steh auf. Wir müssen weiter.

Siehst du den Lindenbaum bei der Wegkreuzung? Hörst du sein Lied? Sing mit mir, Alma. Am Wege bei der Kreuzung, da steht ein Lindenbaum, ich träumt in seinem Schatten so manchen süßen Traum. Auch heute muss ich wandern und tät am liebsten meine Augen zu, komm müder Wanderer, hier findst du deine Ruh.

"Endlich! Bind sie am Ring dort fest! Sie kommt gleich dran!"

Schau nicht hin, Alma, nicht auf das viele Blut am Boden. Schau nicht auf den Mann, nicht auf die Messer, nicht auf den abgetrennten Schweinskopf. Das Schweinchen ist schon zum Gedanken geworden. Auch du wirst zum Gedanken, kannst mir bald Kuhhimmelgeschichten erzählen. Grüß mir meine Mutter. Sie ist auch im Gedankenland. Wenn du ein Gedanke geworden bist, wirst du mit ihr wegtanzen über Blumenwiesen, durch sprudelnde Bäche, stricklos, stallkettenlos. Ich werde mein Leben lang die Hände nicht mehr waschen, dass ich immer, wenn ich mich schlafen lege, deinen Geruch riechen kann.

Jakob Brem (11.09.1999)
 
  • 13. Mai 2024
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Hi Kai ... hast du hier schon mal geguckt?
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