Nachhilfe bei Einstein

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Nachhilfe bei Einstein
Von Hannlore Sulzbacher

Beim fünften Züchter von Dobermännern hatte Julia ihren Traumwelpen gefunden, den sie in vier Wochen abholen würde. Glückselig räkelte sie sich im Beifahrersitz, sie drängte nicht, wie so oft, zur Eile. Die Heimfahrt mochte so lange dauern wie sie wollte, sie schwelgte in Vorfreude und küsste Thomas auf die Wange. Hin- und hergerissen zwischen dem Vorsatz, seiner Frau den Herzenswunsch zu erfüllen und seinen uneingestandenen Ängsten vor dem, was aus dem niedlichen Kleinen einmal werden würde, gab Thomas vor, sich in der Dunkelheit voll auf die unbekannte schmale Straße konzentrieren zu müssen, die den Heimweg abkürzen sollte.
Da geschah es. Der zuverlässige, "kleine Freund" gab den Geist auf, weil er keine Nahrung mehr bekam, und das weit hinter der letzten und vor der nächsten größeren Ortschaft.

Der ab und zu von Wolken verschleierte Mond warf irritierende Schatten auf den Bergpfad, als Thomas zu dem einsamen, schwach beleuchteten Haus hinaufhastete, während Julia im Wagen wartete. Der Gedanke, die Bewohner so spät zu stören, war ihm unangenehm, deshalb ergänzte er sein zaghaftes Klopfen schon vor der Tür mit den nötigen erklärenden Worten und bat darum, den ADAC anrufen zu dürfen.

"Wolle mer den roilasse?", hörte er nach ein paar Minuten eine heisere männliche Stimme. Der Mann hat Humor, dachte Thomas erleichtert und der passende Gruß 'helau' fiel ihm ein, mit dem er auf die witzige Gesprächseröffnung des Hausherrn einging. Offenbar war die zweite Person einverstanden, denn die Tür öffnete sich, eine schwache Lampe erleuchtete dürftig einen langen Flur. Aus dem Hintergrund drang leises Grollen wie die erste Ankündigung eines nahenden Gewitters. Thomas stand einem mageren Männchen im Morgenrock mit ängstlichen Augen gegenüber, die so gar nicht zu dem burschikosen Fastnachtsauftakt passen wollten.

"Kommen Sie näher", sagte er denn auch förmlich auf Hochdeutsch. "Einstein hat nichts dagegen." Verwundert suchte Thomas nach dem zweiten Mann mit dem außergewöhnlichen Namen, dann gefror ihm das Blut in den Adern. Am Ende des Ganges räkelte sich eine schwarze Masse, die langsam die Gestalt eines riesigen Hundes annahm.

Alles war dunkel an dem Untier, bis auf die weißen Zähne, die es durch leichtes Hochziehen der Lefzen halb entblößte. Als es sein Vorderteil aufrichtete und die unendlich hohen Beine mit Klauen wie Krummsäbel kerzengerade nebeneinanderstellte, überragte es das Männlein, das sich schüchtern als Magnus Servilius vorstellte.

"Keine Angst, ich kenne mich aus mit seiner Körpersprache", sagte er, "er ist ein sehr charaktervoller und intelligenter Dobermann. Im Augenblick ist er wohlwollend gestimmt und neugierig auf Sie, denn Sie sind unser erster Besucher seit dem Tod meines Bruders, der sein unumstrittener Herr war. Schließen Sie die Tür, denn er hat jetzt keine Lust auf einen Spaziergang. Er sucht nach einem neuen Herrn, dem er sich unterwerfen kann.

Ich war immer der Letzte in der Rudelhierarchie und kann ihm nur Treue und Anhänglichkeit, aber keine Führung bieten. Er duldet meine Gegenwart, und in günstigen Momenten, wenn ich alles so tue, wie es ihm gefällt, liebkost er mich sogar mit seiner Zunge. Das sind wunderbare Momente, glauben Sie mir.

Ich muss nur mit meiner Mahlzeit warten, bis er gefressen hat, und sobald er nach einer angemessenen Ruhepause zur Tür schreitet, muss ich sofort meinen Mantel anziehen und so gut ich kann hinter ihm herrennen, damit er seinen Bewegungsdrang befriedigen kann. Das ist wirklich nicht zu viel verlangt. Wenn ich unterwegs stürze, zeigt er mir, dass wir sogar Freunde sind, und dass ich ihm etwas bedeute. Denn dann kommt er zu mir und wartet, bis ich wieder auf den Beinen bin.

Manchmal stolpere ich absichtlich, nur um dieses glückliche Gefühl der Geborgenheit auszukosten. Aber Einsteins Sinne sind viel zu scharf, um solche Finten nicht zu durchschauen", kicherte Magnus Servilius kindisch, "dann kriege ich einen ordentlichen Nasenstüber und schon mal Kratzspuren ins Gesicht. Richtig böse wird er aber nicht. Und er greift nie ohne Warnung an, so dass ich mich immer rechtzeitig darauf besinnen kann, welche Pflichten ich vernachlässigt habe."

Der Hund stelzte gemessen auf Thomas zu und beschnupperte seine schweissnassen Hände. Thomas sah ihm fest in die Augen, um seine Angst zu vertuschen, deren er sich schämte. Aber da wurde das Gewittergrollen aus Einsteins Kehle bedrohlicher.

"Vorsicht, das dürfen Sie nicht machen, bevor die Rangordnung geklärt ist!" rief Magnus Servilius, "und fassen Sie ihn auf keinen Fall am Kopf an!" Magnus ging in die Knie und rieb seinen Kopf beruhigend an der Flanke des Hundes. Dann kroch er auf Thomas zu. "Nehmen Sie das rote Halsband da von der Wand, legen Sie es mir um und führen Sie mich ins Wohnzimmer. Damit steht meine Unterordnung unter Ihrer Führung schon mal fest."

Wie in Trance gehorchte Thomas. Vergessen war alles, wofür er hierher gekommen war. Die aberwitzige Situation bestimmte seine körperlichen Reflexe, und steifbeinig leitete er das menschliche Hündchen durch die Zimmertür.

"Setzen Sie sich", sagte Magnus und kuschelte sich zu seinen Füßen. "Schenken Sie sich langsam ein Glas Wein aus der Karaffe ein!" Aufrecht, mit dem Kopf auf der Tischplatte, stand der Hund neben Thomas und beobachtete ihn aus schwarzen Augen. Thomas' Angst hatte sich verselbstständigt und schwebte über ihm. Am Tisch saß seine seelenlose Hülle, die wie unter Hypnose Handlungen ausführte, die er gar nicht wahrnahm. "Trinken Sie", flüsterte Magnus.

Der Hund blieb in der gleichen Stellung und kein Grollen kam aus seiner Kehle. "Und jetzt füllen Sie Einsteins Napf mit frischem Wasser und sprechen Sie dabei seinen Namen ruhig und deutlich aus. Geben Sie auch mir ein Glas in die Hand.

Ich glaube, wir schaffen es! Herrjeh, wird das ein Leben"! frohlockte er mit verhaltener Stimme. "Jetzt nehmen Sie mir das Halsband ab und legen es ihm um. Sagen Sie ihm, daß er ein braver Hund ist und Sie stolz auf ihn sind".

Der Hund hatte friedlich aus seinem Napf getrunken. Als Thomas das rote Halsband in der Hand hatte, drehte Einstein ihm das furchterregende dunkle Gesicht zu und fegte die Luft mit der Rute. Plötzlich erhob er sich zu seiner gewaltigen Größe und legte Thomas die säbelbewehrten Pfoten auf die Schulter. Eine nasse, rauhe Zunge fuhr ihm ins Gesicht und erweckte ihn schlagartig zum Leben.

Die höllische Angst kehrte zurück und nahm wieder Besitz von ihm. Am ganzen Körper zitternd sprang er auf und stolperte in den Flur. Er riss die Haustür auf und schaffte es mit letzter Kraft, sie hinter sich zuzuschlagen. Er hörte noch das Kratzen und Bellen der Bestie, als er wie von Furien gehetzt den Abhang hinunter rannte und sich in den Fahrersitz des kleinen Freundes warf, keuchend vor Anstrengung und auch Erleichterung, so als hätte er gerade zwei Zentner Gewicht von seinen Schultern geworfen.

Nach einer ganzen Weile griff er mechanisch und immer noch fast blind vor Erschöpfung hinüber zum Sitz seiner Frau, die noch kein Wort gesagt hatte, aber ihre Schulter war nicht da, wo sie sein mußte. In erneuter Panik warf er sich zur Seite und fiel mit einem Aufschrei auf ihren ausgestreckten Körper.

"Was ist, Thomas?" schreckte Julia aus tiefem Schlaf, befreite ihre Arme aus der Umklammerung und knipste die Nachttischlampe an. "Mein Gott, wie siehst du denn aus? Hast du Fieber? Soll ich den Notarzt rufen?" Langsam drang die beglückende Erkenntnis in Thomas' Bewusstsein, dass Julia und er geborgen in ihren Ehebetten lagen. Ein befreiendes Lachen schüttelte ihn.

"Bleib, Schatz, jetzt ist ja alles gut. Laß mich nur ein Weilchen zu mir kommen, dann werd ich Dir erzählen, wie ich zu Einstein in die Lehre gegangen bin und sie kurz vor dem Abschluss geschmissen habe. Aber es gibt ja eine zweite Chance!"

Thomas war kein Hundefreund, schon gar nicht von den Vertretern grosser Rassen. Als seine Frau Julia sich in einen Dobermann-Welpen verliebte, verfolgte ihn die Aussicht auf diesen Familienzuwachs bis in seine Träume, die ihm die Probleme der Rudelhierarchie erschreckend deutlich vor Augen führten.

Ende

QUELLE:


Julia
chatty.gif
,
Kira
dog138.gif
und
Merlin
rottruns.gif


[Dieser Beitrag wurde von Kira2000 am 03. Februar 2001 editiert.]
 
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