Völlig ernst gemeinte Triggerwarnung: Kolleginnen und Kollegen, denen es aktuell psychisch nicht gut geht, eventuell gar noch im Zusammenhang mit Internet-Bewertungen, könnten ihr Befinden durch das Lesen des Artikels verschlechtern!
Kürzlich hat sich (leider muss man sagen: mal wieder!) eine junge Kollegin und Praxisinhaberin das Leben genommen. Die Suizidrate unter Tierärztinnen und Tierärzten ist im Vergleich zur Normalbevölkerung bestürzend hoch, die absolut höchste aller erfassten Berufe, mehr als doppelt so hoch wie bei den Humanmediziner:innen und etwa viermal so hoch wie in der Normalbevölkerung.
Die Gründe für diese traurige Tatsache sind sicher vielfältig, manche davon offensichtlich, andere müssen noch näher erforscht werden. Ein ganz entscheidender Faktor steht in meinen Augen aber fest: Die inzwischen allgegenwärtige Angst, zum Opfer von in manchen Phasen des Berufslebens buchstäblich existenzgefährdender Schmähkritik zu werden, macht vielen bzw. den meisten von uns extrem zu schaffen, manchen so sehr, dass sie damit einfach nicht mehr fertig werden.
An dieser Stelle nochmal ein Zitat, das ich in einem anderen Artikel zu einem verwandten Thema schon mal angeführt habe, ein Zitat eines in unseren Kreisen sehr geschätzten und hochqualifizierten Kollegen, der sich über fachliche Defizite – wie er auch selbst schreibt - sicher eher weniger Sorgen machen muss:
"Ich persönlich nehme - wie alle hier - für mich in Anspruch, dass ich nach der besten Lösung für den Patienten und dessen Besitzer suche. Kein einziger Patient ist mir egal und keine Sorge des Besitzers zu gering. Deswegen steckt in jeder Beratung und jeder Behandlung ein wenig Herzblut. Mein Unternehmen ist auf diesen Werten gegründet, und dieser Anspruch fließt durch alle Mitarbeiter wie das Blut durch den Körper - unsichtbar, aber lebensnotwendig. Daher ist es für mich unerträglich, mit welcher Leichtfertigkeit heutzutage vereinzelte Kunden Hand an die Seele der Tierärzte, deren Mitarbeiter und die tierärztlichen Unternehmen legen und mit welcher Überheblichkeit tierärztliche Arbeit unqualifiziert bewertet und damit spielerisch die Existenz ganzer Familien - der Inhaber der Praxen, als auch der dort angestellten Mitarbeiter - leichtfertig durch provozierte Shitstorms und gezielten Aufruf zum Diskreditieren gefährdet wird. Sogar die Berufsunfähigkeit, bis hin zum Selbstmord der Tierärzte, wird offenbar ohne Gespür für die Auswirkung solcher Aktionen in Kauf genommen. Das, was ich als Kind noch unter "Anstand" kennen und schätzen gelernt habe, ist bei manchen Menschen völlig verloren gegangen. Und diese Situation - die Gefahr, dass irgend jemand wegen Belanglosigkeiten oder verletzten Eitelkeiten, aus purem Egoismus, den physischen oder psychischen Untergang einer Person oder eines Unternehmens in Kauf nimmt - ja, das macht mir Sorge und Angst. Über die tatsächliche Qualität meiner Arbeit mache ich mir ehrlich gesagt keine Sorgen. Aber dieses tagtägliche, unkalkulierbare Risiko macht mir mal mehr und mal weniger zu schaffen."
Das kann ich Wort für Wort unterschreiben. Nun sind aber sowohl der Kollege als auch ich in der beneidenswerten Position, lang etablierte und extrem rund laufende Praxen zu führen, deren guter Ruf nicht mehr so leicht zu beschädigen ist. Denke ich aber an junge Kolleginnen und Kollegen in der sowohl psychisch als auch finanziell sehr verwundbaren Phase kurz nach Gründung ihrer Praxen, mit noch wenigen Kunden, aber hohen Schulden, dann läuft es mir kalt den Buckel runter, wenn ich so manche Internet-Rezensionen lese.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie es sich anfühlte, wie eine echte psychische Misshandlung nämlich, als ich vor vielen Jahren die erste negative Bewertung kassiert habe, giftig, bösartig und natürlich – wie fast immer - anonym. Der Schock war vergleichbar mit dem, den man durch einen Raubüberfall oder einen Einbruch erleidet. Jemand, der dafür nicht mal seinen Namen preisgeben muss, der meist lügt wie gedruckt und außerdem in vielen Fällen keinen geraden Satz hinbekommt, darf dich als Mensch, als Person, als Tierarzt in aller Öffentlichkeit runterputzen, charakterlich beurteilen und disqualifizieren!
Nur als Beispiel eine 1-Stern-Bewertung der fachlich ganz zweifellos hervorragend arbeitenden Praxis des oben zitierten Kollegen, Buchstabe für Buchstabe zitiert:
"Freundlich waren Sie alle, aber Sie hatten nur für das Geldbeutel interessiert nicht für den armen Karter. Die Rechnung war sehr Höch und hat unserem Karter nichts geholfen. Er ist am nächsten Tag gestorben.."
Der Kollege hat richtigerweise noch nicht mal drauf geantwortet, obwohl er das sonst gewohnheitsmäßig tut. Fakt ist aber: Da haut einem so ein offensichtlicher Weichkeks, der gar nichts rafft, mal schnell im Vorbeigehen und anonym einen Stern vor den Latz, und dann braucht es sieben Maximalbewertungen hochzufriedener Kund:innen, um den bisherigen Schnitt wieder herzustellen. Für etablierte Praxen mit hohen Bewertungszahlen ist das kein großes Problem, für junge Praxisinhaber:innen aber sehr wohl.
Viel schlimmer aber sind - wie schon erwähnt - die psychischen Tiefschläge, die persönlichen Angriffe, die einige Verfasser:innen von Bewertungen mit menschenverachtender Brutalität ins Netz rotzen. In der Mehrzahl der Fälle geht es sofort "ad hominem", wie der Lateiner sagt, also direkt gegen den Menschen an sich, gegen seinen vermeintlichen Charakter, gegen den Kern seiner Existenz, und sowas kann niemand lesen, egal wie dick die Haut ist, ohne davon mehr oder weniger verletzt zu werden.
Ein Beispiel von unzähligen:
„1. Und der wichtigste Aspekt, Frau XY hat unserem Tier geholfen ! 2. Preise SCHWEINETEUER 3. Sympathiemonster Nichts destotrotz haben Sie meinem Tier geholfen. Danke dafür. Eine Portion -offensichtliche- Leidenschaft und eine angenehmere Persönlichkeit wären wünschenswert. Ich rechne mit einer hoch professionellen Ausrede wie bei den anderen verhaltenen Kommentaren .“
Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Die kritisierte Kollegin ist in Fachkreisen höchst angesehen und führt eine der erfolgreichsten Spezialpraxen in Deutschland. Sie hat offenbar auch in diesem Fall trefflich helfen können. Das Gemaule über die Gebühren ist Standard und kann getrost ignoriert werden. Am Ende aber muss sie sich von einer oder einem Wildfremden bescheinigen lassen, dass sie ein "Sympathiemonster" wäre und sich eine "angenehmere Persönlichkeit" zulegen müsse. Darüber hinaus wird jede mögliche Replik auf diese Bewertung gleich mal vorsorglich als "hochprofessionelle Ausrede" disqualifiziert.
Die Kollegin gehört wie der oben zitierte Kollege und ich zu den "alten Hasen", von denen dann gerne erwartet wird, dass sie da "drüber stehen" und "professionell damit umgehen" müssten. Diesen Eindruck versuchen wir auch nach außen zu vermitteln, ganz im Sinne von "keep a stiff upper lip", aber im Prinzip ist das selbst bei uns Etablierten nur Fassade. KEIN MENSCH kann so eine Aussage (oder noch viel schlimmere!) über sich selbst lesen, ohne dass Stresshormone in Mengen freigesetzt werden und Pulsfrequenz und Blutdruck steigen. Bei jungen Kolleginnen und Kollegen, die mit neu gegründeten oder übernommenen Praxen oder Kliniken mitten im Existenzkampf stehen, lösen solche Kommentare über die eigene Person buchstäblich Vernichtungsängste aus.
Liest man als Praxisgründer:in sowas...
"Wegen dieser Ärztin ist mein Hund gestorben, falsche Diagnose gestellt, dadurch falsch behandelt. Die Tierklinik konnte im Nachhinein nicht mehr helfen. Ich hätte lieber auf meine Frau hören sollen einen anderen Arzt aufzusuchen. Auf keinen Fall euer geliebtes Tier zu Frau XY bringen."
...denkt man unwillkürlich erst mal: Jetzt ist alles aus! Stimmt natürlich nicht, aber trotzdem kann man diesen gedanklichen Reflex nicht unterdrücken.
Die Art von Leuten, die sich unbedingt mit solchen Abwertungen anderer wichtig machen müssen, wird es in ihrem Sadismus wahrscheinlich sehr freuen, dass sie so einen massiven Effekt erzielen, denn genau diese persönliche und möglichst maximale Beschädigung, anonym und (vermeintlich!) risikofrei, ist ja das Ziel ihrer Aktionen. Ich habe auch durchaus meine Zweifel, ob es richtig ist, dass ich damit in diesem Artikel so offen umgehe. Auf der anderen Seite gehört das Thema endlich mal auf den Tisch. Ich sehe ja in den berufsinternen Foren und Gruppen, mit wie viel mühsam unterdrückter Panik und Verzweiflung solche übergriffigen Schmähkritiken diskutiert werden. Fast tagtäglich müssen wir da junge Kolleginnen und Kollegen laienpsychologisch bzw. seelsorgerisch betreuen, die zum Opfer von Cybermobbing durch Tierbesitzer:innen geworden sind.
Ich bin der festen Überzeugung, dass jede derartige Rezension dazu geeignet ist, einer eventuell psychisch schon vorbelasteten Person (über 11 Prozent der Frauen und über 5 Prozent der Männer leiden in Deutschland an einer klinischen Depression!) mit suizidalen Tendenzen den letzten Schubs in Richtung Abgrund zu geben, dass man also mit so einer anonymen Schmierage durchaus jemand faktisch umbringen kann. Der Tod meiner Kollegin Shirley Koshi, den ich schon einmal in einem anderen Artikel thematisiert habe, ist für mich ein schlagender Beweis für diese Behauptung. Shirley wurde aus nichtigstem Anlass durch einen gezielt ausgelösten Shitstorm in ihrer Existenz vernichtet, so dass sie keinen anderen Ausweg mehr sah, als ihr Leben zu beenden. In unseren Augen drängt sich die Frage auf, in wie vielen Fällen von Selbsttötungen – und zwar nicht nur in unserer Branche – solche Vernichtungsbewertungen der Tropfen waren, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Gibt man bei Google "Selbstmord" bzw. "Suicide" ein, blendet die Suchmaschine in klebrig-scheinheiliger Besorgnis gleich ganz oben ein: "Hier findest du Hilfe. Sprich noch heute mit jemandem" (man könnte hinzufügen: Aber bitte NICHT mit uns!!!), gefolgt von der Nummer der Telefonseelsorge. Gleichzeitig aber drücken Google und andere Bewertungsportale seit Jahr und Tag mit ihren inzwischen bis zur Unkenntlichkeit pervertierten Rezensionssystemen jedem dahergelaufenen Deppen, dem irgendwas nicht passt, buchstäblich eine geladene und entsicherte Waffe in die Hand, die bequemerweise schon auf die Zielperson gerichtet ist und nur noch abgedrückt werden muss.
Warum halten wir das Sterne-Bewertungssystem von Google und anderen Anbietern für pervertiert? Weil es einfach nicht so verwendet wird, wie es ursprünglich vielleicht mal gedacht war. Vor ein paar Jahren ging ein Londoner Taxifahrer durch die Presse, der durch Aushang in seinem Fahrzeug seine Kund:innen aufforderte, ihm entweder fünf Sterne zu geben oder ihn erst gar nicht zu bewerten. Das leuchtet ein: Hat man einen Bewertungsschnitt zwischen vier und fünf Sternen, schadet einem sogar eine Vier-Sterne-Bewertung, eigentlich vergleichbar mit der Schulnote "Gut", weil sie den Schnitt nach unten zieht.