Guten (sehr späten) Abend,
ich fange mal mal ganz diplomatisch an. Wir sind alle vor allem hier, um uns auszutauschen. Jeder von uns hat einen anderen Background, andere Erfahrungen, anderen Wissenstand etc. Manche sind einfach nur Hundeliebhaber, andere Halbprofis, mache vielleicht auch Experten. Daher ist es nicht nur in Ordnung, dass wir unterschiedlicher Meinung sind, sondern sogar selbstverständlich. Das macht eine Diskussion ja manchmal auch erst interessant.
Was das Thema des 2 mal beißenden Barosch angeht: Das ein Hund beißt ist bis auf ganz wenige Situationen
ein absolutes NoGo. Und das gilt ohne Einschränkung auch für einen von seinem Rudelsmitglied (Halter, Familienmitglied) aus dem Schlaf unsanft oder etwas erschreckend gerissenen Hund. Da darf es zwar zwei Meinungen geben, aber (entschuldigt die Klarheit dieser Aussage) jede andere Meinung ist einfach falsch.
Der Hund darf sich erschrecken. Es steht ihm auch zu anderes zu reagieren als sonst. Genauso wie es uns Menschen zusteht. Er darf z.B. einen Belllaut abgeben, auch wenn Bellen daheim sonst für ihn vermoten ist. Ein Schnappen dagegen und erst recht ein Beißen ist für mich keine automatische durch das Erschrecken verursachte Reaktion. Es ist eine
klare und sehr heftige Maßregelung der Person, die ihn erschreckt hat.
Und das geht gar nicht! Es ist ein anderer Fall, wenn der ansonsten absolut nicht aggressive Hund in dem Moment schnappt ode gar zubeißt, wenn ich ihm unabsichtlich übel auf die Pfote trete und er schlichtweg richtig Schmerzen empfindet und dabei instinktiv reagiert.
Das selbe gilt für das Annähern an sein Maul und Pusten auf die Nase. Was tut ein Hund da, wenn alles stimmt? Schon beim Annähern dreht er den Kopf weg. Halten wir ihn da auch noch in den Händen und schränken ihn damit ein, dann versucht er zurück zu gehen. Pusten wir ihm auch noch auf die Nase (nein, das ist alles nicht so toll für ihn und muss nicht sein), dann darf er auch leise knurren. Er darf uns schon zeigen, dass er das nicht toll findet und muss sich nicht alles von uns völlig ergeben gefallen lassen. Das war es dann aber auch. Mehr ist nicht drin.
@snowflake:
Da steht allerdings nicht, dass auch bei dieser Gelegenheit der Hund schlief.
Nicht "auch". Er schlief als er erschrocken wurde. Er war wach, als die Tochter des Halters ihn anpustete.
@toubab:
ich lege manchmal ein leckerbissen vor die nase und schaue wie lange es dauert bis sie erwachen
Schlaflieder singst Du ihnen aber keine, oder?
Die waren nur erstaunt, von agressionen weit und breit keine spur.
Du hattest eben mit ausgeglichenen Hunden zu tun. Sehr schön. So soll es sein.
@matty:
Ich hatte gestern so ein Erlebnis mit der Katze.
Von Katzen habe ich überhaupt keine Ahnung, aber rein gefühlsmäßig ist das für mich ein anderer Fall. Eine Katze ist ja (1) ganz schnell mit Ihrer Pfote, (2) Du hast sie beim Schlafen nicht gestört sondern auch noch berührt und (3) Du hast sogar bemerkt, dass sie das nicht absichtlich wollte, was ich auch für durchaus plausibel halte. Es ist eben ein riesiger Unterschied, ob eine Katze mal kurz mit der Pfote ausschlägt oder ein Hund zubeißt. Dummerweise sind die Krallen schnell raus und das tut natürlich weh. Von Katzen habe ich wie schon gesagt überhaupt keine Ahnung, aber ich bin ganz bei Dir, dass die Reaktion ok war.
@ccb:
wenn ich im wilden Westen aufgewachsen wäre
Wenn der Hund in einem Zwinger mit einem anderen aggressiven Hund geschlafen hätte ...
Das hat aber eher mit Erfahrungen, Reizschwelle, "Persönlichkeit" o.ä. zu tun .... Das heißt nicht, dass es ok ist - aber mit Rangfolge und Dominanz hat es nichts, aber auch rein gar nichts zu tun
Reizschwelle kann und muss man in manchen Fällen entsprechend beeinflussen und ändern. An der "Persönlichkeit" kann man, Mensch wie Tier, ebenfalls arbeiten. Bzgl. Rangfolge und Dominanz kommen wir hier ggf. einfach nicht zusammen. Für mich ist das Verhalten von Barosch keine instinktive Reaktion sondern eine gezielte Maßregelung. Und das hat definitiv etwas mit diesen Begrifflichkeiten zu tun.
@ccb:
Und wie? Ganz ernstgemeint ...
&
@*maggy*lein*:
heißt also, absolute Aufmerksamkeit von Hund auf Herrchen gerichtet und der Drops war gelutscht - oder wie darf ich das verstehen?
Das wäre an sich ein Ansatz, maggylein. Aber wir hatten ein anderes Problem, welches das verhinderte: Das Verhalten war nicht wiederholbar. Wir gingen in die Fußgängerzone. Standen am Eck ne ganze Stunde lang. Es gingen Menschen mit Stöcken, Fahrrädern, Hüten vorbei, manche liefen. Er war mal kurz angebunden, mal an langer Leine. Mal haben wir ihn beobachtet, mal links liegen lassen. Nichts. So war weder eine sukzessive Approximation noch eine systematische Desensibilisierung möglich. Nicht einmal eine genaue Analyse. So kamen wir nicht weiter.
Ich habe mir Zeit genommen den Hund zu beobachten. Und konnte nach wenigen Minuten definitiv sagen: der Hund war nicht aggressiv. Aber sehr unsicher. Er vermied alle Konfrontationen, soweit er es konnte. Z.B. lief er um alle Menschen im großen Bogen rum, die uns entgegenkamen. Obwohl ich für ihn völlig fremd war lag er innerhalb der ersten Viertelstunde auf dem Rücken und bot mir seinen Bauch an. In Gesprächen mit dem Halter wurde aber schnell klar, dass er gerade gegenüber Männern vorbehalte hatte. Danach konnte ich das auch beobachten. Seine Unterwerfung mir gegenüber hatte etwas mit meinem Umgang mit ihm zu tun gehabt. Bei anderen Männern, sogar Besuchern die er schon etwas kannte, ging er zunächst deutlich auf Abstand.
Ich empfahl dem Halter drei Dinge.
(1) Das Selbstvertrauen seines Hundes zu stärken. Das ist aber ein so weites Feld, dass ich das hier nur stichwortartig beschreiben möchte: Sicherheit vermitteln, im Gelände fordern (z.B. Apportieren, Suchspiele), einige Verhaltenskorrekturen in bestimmten Situationen, die für den Hund beängstigend waren.
(2) Das Vertrauen zu Fremden gezielt fördern, speziell zu Männern. Das geht z.B. indem man alle Besucher bietet, ihm ab und an ein Leckerli zuzuwerfen / sobald es geht auch aus der Hand zu nehmen. Noch besser: Fremde in der Fußgängerzone darum bietet, ihm Leckerlis zuzuwerfen, ohne ihn direkt anzusehen, ohne drüberbeugen, ohne Ansprechen, ohne Streicheln. Hinwerfen und gut. Effekt:
Fremde Leute kommen? Guuuut!
(3) Reaktion, falls das Problem noch einmal auftaucht. Logischerweise kann man nicht 3 Monate lang jede Sekunde aufpassen, um im entscheidenden Augenblick zu reagieren. Da muss man realistisch bleiben. Was mache ich also, wenn es wieder vorkommt? Ich bitte Euch gleich mal keine Riesendiskussion darüber aufzumachen, ob das folgende gut und sinnvoll oder böööse böööse ist. Ich empfahl ihm in diesem Fall vor allem vollkommen ruhig zu bleiben. Da er mir erzählte, der Hund wäre nach so einem Ausfall sofort wieder ruhig und zugänglich (was auf eine instinktive Reaktion hindeutet (traumatischer Auslöser?)), sollte er sich sofort dem Hund zuwenden und zwar mit einem (Achtung jetzt kommt das böööse Wort) Maulgriff. Gelassen und eindeutig. Erst danach wendet er sich dem Angegriffenen zu, um mit diesem zu sprechen. Dabei haben wir (a) den Maulgriff ne halbe Stunde lang geübt. Ja, an einem Stofftier und am Handgelenk. Nein, nicht am Hund (muss man das überhaupt hier schreiben oder ist das für Euch eh logisch?). Es sollte aber für den Ernstfall perfekt sitzen sowohl bzgl. der Technik als auch der Stärke und der Dauer. Und deshalb bat ich ihn, den Griff in den nächsten Tagen immer wieder zu üben. Und (b) klargestellt, dass das die einzige Situation im Leben des Hundes werden sollte, in der er diese Technik einsetzt. Nicht, weil ich sie für schlimm halte. Sondern weil die meisten anderen Probleme mit anderen Mitteln effektiver gelöst werden können und der Maulgriff eine besondere Ausnahmetechnik bleiben sollte, die auch dem Hund - im Vergleich zu einem "Nein/Pfui" - signalisiert: Das fand mein Rudelführer ganz besonders daneben.
2 Wochen später gab es den nächsten Vorfall. Beim Schnappen wurde ein Mann minimal verletzt. Ansonsten lief alles nach Plan. Danach gab es noch einen Vorfall, ca. 2 Monate später. Keine Verletzung, dafür die Daunenjacke 1 cm aufgerissen. Daunenjacken reissen ja ganz leicht auf. Das war im April 2012, wenn mich nicht alles täuscht.
Vor kurzem bekam ich die Nachricht, dass es danach keinen weiteren Vorfall gab. Der Hund hätte seine Unsicherheit ggü. Fremden noch nicht vollständig abgebaut, wäre aber sichtlich entspannter. Und selbstsicherer. (Männliche) Besucher beschnüffelt er oft innerhalb von 5 Minuten ganz von sich aus. Bindet man ihn vor einem Einkaufsladen an, legt er sich gar hin, was früher nie der Fall war.
Aufgrund der Fallsystematik kann man sich auch nach 9 Monaten nicht absolut sicher sein, das Verhalten wäre vollkommen abgelegt. Aber man darf es hoffen. Und das tue ich.