So - und nun
@snowflake
Zu den Kriterien der Organvergabe:
In der Anfangszeit der Transplantationsmedizin, als selten transplantiert wurde und es wenig Erfahrung gab, gab es keine einheitlichen Kriterien, nach denen festgelegt wurde, welcher von mehreren geeigneten Empfängern ein Organ bekam. Jede Klinik legte die intern selbst fest, und ein wesentliches Kriterium, noch aus der Zeit, als Transplantationen im Grunde "Experimentalmedizin" waren, war, wie erfolgversprechend die Transplantation ist.
Sprich: Es bekam nicht unbedingt der kränkste Patient das Organ, sondern uU der mit der besten Überlebenschance für die OP.
Es gab auch keine zentrale Organverteilung.
Je häufiger transplantiert wurde, und je mehr vereinheitlicht wurde, desto größer wurde der Bedarf nach einheitlichen Kriterien. Die gibt es mittlerweile, sie unterscheiden sich aber von Organ zu Organ. Bei der Lebertransplantation ist es zB seit 2003 der
Dieser gibt den Schweregrad der Lebererkrankung an, sprich, der kränkste Patient erhält als erstes eine Leber.
Diese Regelung ist unter den ausführenden Ärzten nicht unumstritten. Entsprechende Staitsitken belegen, dass seit der Einführung des MELD-Scores die Erfolgsrate bei Lebertransplationen nach unten geht, und die Sterberate nach oben. Auch die Zahl der "Zweittransplantationen" nimmt zu. Gerade bei Organmangel funktioniert das Prinzip nur schlecht, denn Leute werden im Grunde erst transplantiert, wenn sie zu krank dafür sind. Und wenn sie noch nicht zu krank dafür sind, müssen sie so lange warten,
bis sie es sind.
Das entschuldigt den von der Untersuchungskommission in einigen TP-Zentren festgestellten "lockeren Umgang" mit bestehenden Vorschriften selbstredend nicht, erklärt ihn aber mE durchaus.
Wenn man sich die entsprechenden Fälle anschaut, dann sind das alles Fälle, in denen Patienten "etwas" kränker gemacht wurden, als sie waren, damit sie auf der Liste nach vorn rücken, solange sie noch "transplantabel sind". (und es fällt auf, dass der über-überwiegende Teil des Ganzen im Bereich der Lebertransplantationen passiert ist, wo es eben durch die Einführung des MELD-Scores diese Entwicklung gegeben hat.)
Ich finde das ein ganz, ganz schwieriges Feld und tue mich wirklich schwer damit, das zu bewerten. Auf der einen Seite ist klar: Es muss Kriterien geben, die müssen so fair wie möglich sein, und wenn die einmal gelten, dann für alle.
Auf der anderen Seite stelle ich mir vor, ich bin Arzt, ich habe vielleicht die Technik, um die es geht, maßgeblich mitentwickelt, und sehe nun die Erfolge meiner Arbeit den Bach runtergehen. Ich weiß, dass ich Patient A mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit helfen könnte. Operieren muss ich aber Patiente B, der ethisch dasselbe, rechtlich sogar das größere Recht auf eine OP hat, dem diese aber mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht mehr helfen wird. Ich muss das knappe gut "Organ" quasi verschwenden und helfe am Ende mit einiger Wahrscheinlichkeit zwei Menschen damit nicht...
Wer da ruhig sagen kann: "Nicht meine Entscheidung, Vorschrift ist Vorschrift, wir machen es so, wie es Gesetz steht, egal wie fragwürdig das Ergebnis ist", ist fein raus.
Das ist die eine Seite.
Die andere Seite ist, dass knallharte wirtschaftliche Interessen eine Rolle spielen. Nicht die des einzelnen Arztes, auf Kosten der Patienten, sondern des Transplantationszentrums. Das will, soll und muss viel operieren, damit es sich rechnet. Also muss es möglichst viele der knappen Organe " an sich ziehen". Dafür braucht es kränkere Patienten.
Eine der zentralen Figuren des Skandals, ein Arzt, der erst in Göttingen, dann Regensburg und dann wieder Göttingen tätig war, bekam in Regensburg die dezididerte Anweisung, die Zahl der Transplantationen zu steigern. Hat er gemacht, u.a. durch eine Kooperation mit dem Ausland. Er wurde von Göttingen, wo er schon einmal gearbeitet hatte, mit dem explizierten Auftrag wieder eingestellt, dort bitte das gleiche zu bewirken, auch wenn durchaus bekannt war (so groß sind die entsprechenden Kreise nicht), dass es in Regensburg Probleme wegen Unregelmäßigkeiten gegeben hatte. Und er hat es auch da gemacht. Durch systematische Manipulationen der Patientenakten. Um operieren zu können und die Vorgaben der Klinikleitung zu erfüllen. Die im Gegenzug nicht so genau hingesehen hat.
Die Patienten wussten davon nichts. Denen hat keiner gesagt: "Eigentlich sind Sie noch nicht fällig, aber wir drehen da was für Sie!" - Wer nix weiß, kann auch nicht drüber reden.
Edit: Das ist mW der einzige Fall, wo systematisches, planvolles Handeln klar belegt ist. Allerdings wird/wurde? in einigen anderen Zentren mit größerer Fallzahl auch in der Richtung ermittelt.
Das ist selbstredend kriminell. Und es wird ja auch ermittelt. Der Betrug geht aber eindeutig eher zulasten anderer TP-Zentren als wirklich zulasten individueller Patienten, was eine juristische Bewertung des Schadens für die Patienten sehr schwierig macht. Denn es gibt ja
viele Kriterien, und es werden sehr selten nur zwei Patienten im Eurotransplantraum für eine Transplantation eines bestimmten Organs infrage kommen, sodass klar ist, wer ganz konkret zu Unrecht leer ausgegangen ist. Es ist ganz einfach für jeden aufgrund einer solchen Manipulation nicht berücksichtigten Patienten nicht zu sagen, ob er wirklich transplantiert worden wäre, wenn die Manipulation nicht stattgefunden hätte.
Und es haben ja allermeistens nicht Leute eine neue Leber erhalten, die vor Gesundheit strotzten. Sondern Leute, die ebenfalls krank waren. Und in der Regel ebenfalls eine Leber brauchten oder in absehbarer Zeit allerspätestens brauchen würden. Es waren nichtmal Leute, die "sich vorgedrängelt haben", oder "dafür gezahlt haben" - sondern welche, die von den Ärzten, aus welchen Gründen auch immer, vorgezogen wurden. Und in der Regel keinen Grund hatten, anzunehmen, dass dabei nicht alles mit rechten Dingen zuging.
Das steckt - für mich - alles da drin, und darum stehe ich näher bei
@kitty-kyf , wenn's darum geht, die Unregelmäßigkeiten einzuordnen.
Und es ist ja tatsächlich so. Jeder, der nicht spendet, verschärft im Grunde das Problem und sorgt dafür, dass der Anreiz für Manipulationen größer wird.