Freitag vor 60 Jahren: Schäferhund alarmierte vor Sirene

Andreas

Gisela Zwirner erinnert sich nach 60 Jahren an den Bombenangriff auf Königstädten

Vom 11.08.2004

In der Nacht zum 13. August 1944 warfen nach falschen Markierungen 297 britische Bomber fast 1000 Tonnen Bomben auf das Dorf Königstädten ab, die eigentlich das Opel-Werk zerstören sollten. Gisela Zwirner war damals 15 Jahre alt.

Von unserem Redaktionsmitglied Michael Wien

"Es ist schlimm, dass der Mensch in den 60 Jahren seither nicht genügend dazugelernt hat", sagt Gisela Zwirner heute. "Kriege auch in den entlegensten Gegenden der Welt. Und sie werden immer grausamer." Wenn am Donnerstag während des Gedenkgottesdienstes in der wieder aufgebauten evangelischen Kirche Königstädtens für jeden der 24 in jener Nacht Getöteten ein Glockenschlag erklingt, wird die Frau, die hier bis 1989 mehr als 20 Jahre als Küsterin wirkte, auch an Bilder aus dem Irak, dem ehemaligen Jugoslawien und Afrika denken.

Auch Gisela Zwirner sprach schon einmal öffentlich über ihre Erinnerungen an 1944, für das vor zehn Jahren im Verlag Wolfgang Einsiedel erschienene Buch "Bombennacht". Seither hat sich auch ihr Empfinden noch einmal gewandelt. "Die Haut wird dünner, nicht dicker", sagt sie. Und ja, das könne schon daran liegen, dass man auch durch natürlichen Tod immer mehr Verwandte, Freunde, Nachbarn verliert.

Jene Nacht erlebte sie im Keller. "Unser Schäferhund hatte wie immer noch vor der Sirene Signal gegeben. Angst hatte er nie. Mein Vater war Sanitäter und hatte ihn aus dem Wurf eines Sanitätshundes mitgebracht. Übrigens haben sie uns das gute Tier später fortgenommen, zum Militärdienst eingezogen. Nach den Steuerlisten hatten sie unseren Hund wie andere entdeckt. Wehren konnte man sich nicht.

Da saßen sie nun, im Keller, wie so oft vorher rechtzeitig vorgewarnt. Und nahmen an, die Bomber zögen wieder gegen Opel. "Dann ging gegenüber ins Pfarrhaus eine Luftmine, eine andere schlug in die Scheune. Wir haben deutlich die Druckwelle gespürt. Wenn ich Bilder aus Hiroshima sehe, ahne ich, was die Menschen dort zuerst fühlten. Die Menschen sollten anfangen zu begreifen, wie kostbar die Erde, dieses Paradies im kahlen Weltall, samt den Menschen darauf ist." Kleinere Brötchen zu backen, empfiehlt Zwirner.

Wenn sie heute höre, wie Manager nicht verraten wollten, was sie verdienen, denke sie daran, wie die Menschen damals in den Kellern zusammenrückten. Und die Verbundenheit habe erst Jahre später, mit wachsendem Wohlstand, wieder nachgelassen.

Als sie mit ihrer Familie aus dem Keller kam, stand das Dorf in Flammen. Gebrüllt habe das Feuer förmlich, und gerauscht. Dazwischen stürzten dröhnend Häuser oder letzte Wände ein. "Die Ernte war gerade eingefahren. Das Getreide explodierte nun förmlich." Kaum zu glauben, dass ihre Familie überlebt habe.

Nur ein Teil des Viehs im Dorf hatte das gleiche geschafft. Kleintiere stopfte man in Säcke und brachte sie in Sicherheit. "Ich kann mich an einen Korb voller Ferkel erinnern, den jemand im Schatten abstellte. Tote Tiere lagen überall herum. Das waren furchtbare Anblicke. Die Kadaver hat man dann in die tiefsten Bombenkrater geworfen, die es auf dem Weg nach Rüsselsheim gab. Fotos von all dem Chaos gibt es kaum. Nicht bloß, weil wenige einen Apparat hatten oder hatten retten können. Fürs Fotografieren wäre man ins KZ gekommen." Gisela Zwirner hat keinen der 24 getöteten Menschen gesehen. "Eine Leichenhalle gab es nicht. Vermutlich haben die Familien ihre Toten in ihren Häusern oder dem, was davon übrig war, aufgebahrt."

Gemeinsam fingen sie nach dieser Nacht von vorne an. "Mein Vater hörte an der Front von dem Angriff und bekam Urlaub, um uns beizustehen. Er war auch Jäger und kannte den Förster gut. Mit dessen Genehmigung bekamen wir Holz, aus dem eine Hütte gebaut wurde, oben abgedeckt mit Blech von Opel. Auch später blieb es beengt. Die Großeltern teilten sich ein Zimmer. Ich schlief für die nächsten vier Jahre auf dem Sofa. Als dann als Ersatz für unser abgebranntes Haus ein neues errichtet werden konnte, halfen viele mit. Auch Pfarrer Ramge kam, wann immer er Zeit hatte, herüber und fasste mit an."

Einem Briten ist Gisela Zwirner bisher nie begegnet. "Zornig wäre ich nicht. Politiker zetteln Kriege an, nicht einfache Menschen. Wut hatte ich auf die ,Queen Mum`, als sie Jahrzehnte später in London ein Denkmal für den Bomber-General Harris enthüllte. Mancher lernt gar nichts dazu."
 
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Die Menschen sollten anfangen zu begreifen, wie kostbar die Erde, dieses Paradies im kahlen Weltall, samt den Menschen darauf ist." Kleinere Brötchen zu backen, empfiehlt Zwirner.[/quote]

Das wäre der Satz, den ich in Fettdruck gesetzt hätte.... :(
 
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