Hallo, ich bin's nochmal...
hab grade auf dem Spaziergang mit Monster B die Geschichte noch mal überdacht.
Und muss erstmal sagen: "Hat Angst, was zu versäumen" trifft es hundertprozentig.
Ich hab den Hund über fünf Ecken und meine Mitbewohnerin für meine Eltern bekommen (Unfallwurf, die Mutter war noch kein Jahr alt, ein halbherziger Abtreibungsversuch hat nicht geklappt). Ich selbst wohnte schon gar nicht mehr zuhause, aber während der Welpenzeit war ich jeden Tag nach dem Labor dort im Welpenauslauf. Also hing der Hund sehr an mir. Anfangs war es so, dass er jedesmal, wenn ich wieder da war, unsauber wurde - der war so damit beschäftig, mir hinterherzurennen, dass er gar nicht merkte, dass er irgendwann "auslief." (Der zog dann ein kleines Bächlein hinter sich her.)
Er war weder der "dominanteste" noch sozial aktivste Welpe des Wurfes - es war eher so, dass er sich bevorzug allein beschäftigte - im Welpenauslauf war ein Erdhaufen, und wenn man ihn gelassen hätte, hätte er den ganze Tag gebuddelt.
Spielaufforderungen hat er meist ignoriert - ein typisches Bild war, dass zwei bis drei Geschwister hinten an ihm zerrten und er vorn weiter gebuddelt hat - wenn sie ihn wirklich mal dort wegkriegten, ging er nach kurzer Rauferei wieder an seine Arbeit zurück. (Das blieb so bis ins hohe Alter - meine Eltern haben seinetwegen unsere große Sandkiste 11 Jahre länger behalten, als sie eigentlich wollten.)
Er war also von klein auf gewöhnt, seine bevorzugte Aktivität auch unter Ablenkung und Maßregelung auszuüben. Sozusagen.
Der Welpenauslauf war im Garten von einem Studentenwohnheim (überwiegend Tiermediziner), mit recht viel interessiertem Publikumsverkehr und vielen Hunden (weil es glaube ich das einzige Wohnheim war, in dem Hunde gehalten werden durften). Der Hund war also HalliGalli gewöhnt, hat aber in den ersten 12 Wochen, wenn ich es recht überlege, Menschen nur als Spielkameraden und nette Abwechslung erfahren. "Erziehung" erfolgte nur durch andere Hunde. Und das auch recht rudimentär - die Mutter war mit dem Wurf absolut überfordert. Das änderte sich erst, als die Welpen etwa 6 Wochen alt waren. Da begann sie, sie eher als Spielkameraden zu sehen. Wobei übrigens unser späterer Hund der Welpe war, mit dem sie bevorzugt spielte.
Außerdem war er auch der hübscheste Welpe im Wurf (Hübsch gezeichnet - er wurde aber nachher nicht der hübscheste Hund - er war recht stämmig, mit nem dicken Hals, einem viel zu kleinen Kopf und hinten war er höher als vorn.
), was jeder beim Anblick der ganzen Schar auch jedes Mal ausrief. Ich bin heute noch überzeugt davon, dass seine Grundeinstellung: "Wenn geschimpft wird, muss jemand anders gemeint sein!" aus dieser Phase stammt.
Die Eigenschaften souverän und flippig scheinen sich auszuschließen.
Aber es war in der Tat so, dass er sich so gut wie nie "negativ" über etwas aufgeregt hat. Er nahm einem nichts übel, ging Streitereien eher aus dem Weg, und hatte ne recht hohe Toleranzschwelle. Wenn ein Kontrahent allerdings keine Ruhe gab und ihn ständig weiter piesackte, wurde er irgendwann rechtschaffen wütend und dann auch grob.
Ansonsten hatte er in Haus und Garten viel vom Herdenschutzhund, der so gar nicht in ihm steckte: Er lag den ganzen Tag auf der erhöhten Terasse, hatte im Auge, wer vorbeilief, und bei verdächtigen Personen wurde souverän gemeldet - bzw. bei gröberen "Verstößen" - der ihm unbekannte neue Gärtner der Nachbarn, der einfach so aufs Grundstück ging, auch mal aktiver. Aber man hatte nie den Eindruck, dass er dabei die Kontrolle verlor. Er ging dann sehr entschieden vor, aber eben souverän.
Wenn es allerdings etwas gab, dass ihn positiv aufregte, kam er, vor allem an Anfang, ganz schnell in recht hohe Trieblagen und war dann nur noch vermindert bis gar nicht mehr steuerbar.
Beispiel:
1) Einzelner Besuch oder ein abwesendes Familienmitglied kommt nach Hause.
Begrüßung war nur im Garten möglich, weil Hund erstmal 5 Runden rennen und irgendein Spieli oder den Besen totschütteln musste - und zwar auch dann, wenn der neu angekommene den Hund komplett ignorierte.
Da konnte im Übersprung auch mal ganz schnell ein Sofakissen dran glauben, auch wenn er sonst nie was kaputt gemacht hat.
2) Mehrere Besucher
Besonders schlimme war es zB, wenn einer von uns Besuch von mehreren Freunden hatte, die nacheinander kamen, weil der Hund dann gar nicht mehr runterkam. Der drehte dann völlig ab, sprang herum wie ein Irrer (er fing dann auch immer ganz stark an zu schielen), raste von einem zum anderen, rempelte die Leute an und fing schließlich an, alles und jeden, notfalls den Sessel, zu berammeln.
In den Garten lassen half nichts, da drehte er nur noch mehr auf.
Aussperren half auch nur begrenzt, weil dann wieder irgendwas dran glauben musste.
Dieses dauernde Rammeln wurde vom zugezogenen Hundetrainer als "Dominanzgehabe" gedeutet, und uns wurde dringend zur Fühkastration geraten.
Ich würde heute mal sagen, das war eher Übersprungverhalten - der Hund wusste einfach nicht, wohin mit sich, und kam eben von diesem Trip auch kaum wieder runter.
Die Kastration (ich meine, mit 9 Monaten) hat nämlich gar nichts geändert, auch an dem Gerammel nicht. Im Gegenteil, das Verhalten hat sich vorübergehen sogar verstärkt. So richtig erwachsen und damit ruhiger ist der Hund erst mit 3 Jahren geworden. Heute wäre ich also diesbezüglich um einiges schlauer.
3) Spazierengehen:
Ging gar nicht ohne in die Leine beißen und mindestens 10-minütiges Schütteln. Wenn nicht die Leine, war es halt auch mal das Hosenbein. Hund schielte wieder, flippte völlig aus, war also mit "normalen Maßnahmen" nicht erreichbar, kriegte gelegentlich sogar Schaum vor dem Mund - na, und irgendwann war's dann gut und die Leine wurde losgelassen.
4) Wild: Extrem. Bei Wild erwachte sein innerer Hetztrieb, und der Rest vom Hirn schaltete aus. Der ist hinter einem Reh her mal durch einen angeschalteten Elektrozaun gebrettert und weitergelaufen.
(Allerdings brauchten anschließend meine Eltern bei anderer Gelegenheit einen entsprechenden Zaun vor dem Gartenzaun nur noch aufzustellen, nicht mehr anzuschließen - dass die Dinger unangenehm waren, hat er wohl durchaus mitgekriegt.)
Bei ner anderen Gelegenheit hat er meine Mutter, die zwischen 70 und 80 kg wiegt, bei Glatteis umgerissen und an der Schleppleine 50 m hinter sich hergeschleift. Dann war das Reh weg, Hund blieb stehen, drehte sich herum und war völlig verblüfft, dass niemand mehr hinter ihm stand.
Den konnte man auch nicht ableinen, da er im Gegensatz zu allen anderen Hunden, die wir davor gehabt hatten, absolut blind für alles wurde, wenn er etwas verfolgte. Keiner der anderen wäre hinter Wild her auf die Autobahn gerannt - der schon. Da die in unmittelbarer Nähe des Hauses verlief, war anschließend Leinenzwang angesagt.
Wie gesagt: Ansonsten war der Hund eher ruhig, ließ es mit allem etwas langsam angehen, machte eigentlich nur, was er wollte, lebte aber nach dem Motto: "Leben und leben lassen."
Aber wenn er mal aus dem Häuschen geriet, dann nicht bloß bis in den Vorgarten, sondern gleich zwei Straßen weiter. Und dann war er auch nicht mehr wirklich gut zu steuern und kaum zu beruhigen. Sah der Wild, sah und hörte der nichts anderes mehr.
Ich würde also denken, die Trieblage ist das Problem, in der dann Korrekturreize nicht mehr als solche wahrgenommen werden.
Wie ein Kind, dass auf einem Kindergeburtstag außer Rand und Band gerät, und dann auch erst nach massiver Einwirkung (unter lautem Geheule) oder einem Unglück wieder zur Ruhe kommt.
Liebe Grüße,
Lektoratte