Ich und viele meiner Kollegen legen im gesellschaftlichen Umfeld keinen großen Wert darauf mit Fr. Dr. oder Hr. Dr. angesprochen zu werden. Das ist auch immer weniger üblich.
Bei "uns" Naturwissenschaftlern war das auch vor 20 Jahren schon nicht mehr üblich. Bei Ärzten variiert es sehr. Aber da es immer mehr Ärzte gibt, die gar keine Doktorarbeit mehr machen, weicht es auch da etwas auf. Der einzige promovierte Anglist, den ich je getroffen habe, dagegen, war so verdammt stolz auf seinen Titel, weil er breit und weit der einzige mit einem und auch noch in recht jungem Alter war - der hätte den Titel am liebsten permanent in 1 m hohen Ballonbuchstaben vor sich hergetragen, wenn das nicht doch etwas aufwändig gewesen wäre.
Ah, dann hab ich wohl im falschen gesellschaftlichen Umfeld gelebt. Da kam das nicht vor.
Vielleicht ist das so ein Norddeutschen-Ding... ich kenn das (von früher) auch noch.
Eher das Gegenteil, glaube ich. Das wird den Leuten derart auf den Keks gehen, dass eine Gegenbewegung einsetzt.
Es setzt
immer und grundsätzlich eine "Gegenbewegung" ein, wenn die gesellschaftliche Gruppe, die auf der Sonnenseite sitzt, darauf hingewiesen wird, dass bestimmte Ressourcen ungleich verteilt sind. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Wenn man das vermeiden will, ist es egal, was man macht - man muss alles lassen!
Aber diese Gendersprache ist - für mein Empfinden - schon nochmal was anderes. Ich glaube einfach nicht, daß sich z. B. "nur" durch die Etablierung weiblicher Berufsbezeichnungen grundlegende Einstellungen ändern, Vorurteile abbauen oder berufliche Perspektiven verbessern lassen.
Nein. Allein dadurch nicht. Vielleicht "dadurch" auch überhaupt nicht. Aber allein, dass dieses "Gendersprech" dafür sorgt, dass man über bestimmte Dinge spricht und andere nicht als selbstverständlich wahrnimmt, finde ich durchaus nützlich.
Es gibt eine Reihe überwiegend männlicher Sprachwissenschaftler, die damit argumentieren, dass im Deutschen das "generische Maskulinum", also die standardmäßige Ansprache einer gemischten Gruppe als männlich, schon immer beide Geschlechter in gleicher Verteilung gemeint hat.
Demgegenüber stehen Studien, die belegen, dass sich die Leute bei männlicher Bezeichnung überwiegend Männer vorstellen und sich dann Frauen in bestimmten Berufen zB "weniger" vorstellen können. Was dann auch wieder für Frauen gilt.
Ich finde eine gut zu lesende gendergerechte Schriftsprache nicht einfach hinzukriegen. Ich finde sie vor diesem Hintergrund aber sinnvoll.
Weil ich glaube, dass so etwas, wie das, was du unten beschreibst, durch die extrem maskulin geprägte Sprache gefördert wird:
Die haben das Wort Gleichstellung oder gar "Gender-Mainstreaming" wahrscheinlich zum ersten mal vor ein paar Jahren in ihrer Lokalzeitung gelesen, haben es aber schon vor fast 50 Jahren geschafft, ihrer Tochter völlig selbstverständlich zu vermitteln, daß sie ALLES sein und werden und tun kann, was sie will - wenn sie es nur will.
(Daß sie nicht wollte, ist eine andere Geschichte... )
Fragst du deutsche Frauen - die an den Universitäten über 50% der Studierenden ausmachen., aber nur 24% der Professoren, und noch weniger Führungspositionen außerhalb der Uni, warum sie sich für diese oder jene geringe Karriereoption entschlossen haben, sagen unwahrscheinlich viele "Ich hätte gekonnt, aber ich wollte nicht." Und dann sowas wie: "Ich habe mich für Teilzeit entschieden und mein Mann für Vollzeit, weil... - aber das sind rein private Gründe, an sich hätte es umgekehrt sein können... " oder was auch immer. Und jede einzelne meint, das sei was Persönliches, aber an sich sei sie voll emanzipiert.
Schaust du dich in anderen Ländern um, haben die Frauen dort diese Probleme lange nicht im selben Maße. (Dafür teils andere).
MMn kannst du hierzulande zumindest ansatzweise emanzipiert sein, solange du keine Kinder hast und/bzw. dich genauso benimmt, wie in Mann. Dann darfst du dieselben Dinge tun, wie ein Mann. Das nennt sich dann "Gleichberechtigung". Und wen es dir gelingt, und du in derselben Liga boxt wie die Herren, dann nennt sich das: "durch Kompetenz beweisen, was man kann." - Weil du dann eine Kompetenz zeigst, die Männer verstehen. Zeigst du eine andere, kannst du dir den Mund fusselig reden - gemacht wird erst etwas, wenn jemand dieselbe Idee auf männlich verpackt. Und das bist in dem Fall dann halt leider nicht du.
Diese Dinge, die du damit darfst,
nützen dir als Frau vielleicht nicht immer was, aber hey - würdest du noch frauenspezifische Dinge tun dürfen, die Männer nicht können, und würdest
nicht dafür benachteiligt oder bespöttelt werden - wäre das unfair, denn dann kriegst du was "geschenkt", was dem Mann nicht nützt, und wirst
bevorzugt. Statt dich darüber zu freuen, dass du mit den Jungs im Stehen pinkeln dürftest, wenn du es denn hinkriegst.
"Mein" persönliches Problem war, dass ich tatsächlich irgendwann in einem Alter war, wo ich mir sagen musste: "Kind
oder große Karriere". Dass es so kam, lag
auch daran, dass ich einige Jahre vorher ein oder zwei oder drei langfristig für mich ungünstige Entscheidungen getroffen habe und damit erst recht spät ins richtige Berufsleben entweder in oder abseits der Uni gestartet bin.
Aber: anderenorts hätte ich evtl. gar nicht erst vor der Wahl gestanden. In Israel (das andere Gender-Probleme hat) oder auch den USA oder England oder den ehemaligen Ostblock-Staaten ist es relativ normal, dass auch aktive, Karriere machende Naturwissenschaftlerinnen Kinder haben. Das System dort bestraft Elternzeit nicht (ganz) so wie hierzulande, wo sowas eigentlich nicht vorgesehen ist. (-> Weil der Standard-Wissenschaftler in den Köpfen aller beteiligten durch das generische Maskulinum männlich ist?)
Und so ergeht es nicht nur mir:
In Deutschland machen Ärzte dann Karriere, wenn sie verheiratet sind, und eine Familie mit Kindern wirkt sich positiv auf den Karriereverlauf aus. Und Ärztinnen machen dann Karriere, wenn sie Single oder maximal verheiratet und kinderlos sind. Bei Ärzten mit Familie arbeitet die Frau idR weniger als der Mann. Bei Ärztinnen arbeiten meistens beide Partner gleich viel. Ärzte werden (auch in der Selbsteinschätzung von ihrer Partnerin gestützt, Ärztinnen von ihrem Partner eher nicht (in dem Fall wird eher angegeben, dass beide "gleichberechtigt" sind.
Die Ausgangslage ist für Ärztinne und Ärzte also unterm Strich deutlich verschieden. Männer müssen sich nicht zwischen Familie und Karriere entscheiden - Frauen in weiten Teilen schon.
Und ich meine, das ist sowohl ein gesellschaftliches Probklem (wir alle finden das viel zu normal), als auch ein strukturelles.
Unser System begünstigt diese Entwicklung.
Interessanterweise habe ich gerade gestern etwas Passendes zum Thema gelesen. Nature carreers betrachtet im Moment Deutschland als Zielland für Naturwissenschaftler aus aller Welt, die einen Teil ihrer Karriere im Ausland machen wollen. Ich fand das recht spannend, weil es eben den Blick von außen auf uns vermittelt.
Ist leider Englisch, beschreibt das Dilemma aber ziemlich gut.
Nun soll trotzdem niemand Genderisieren müssen, vor allem nicht, wenn es dem- oder derjenigen beim Lesen schon die Fußnägel aufrollt...
Aber über die Hintergründe nachdenken, evtl.? - Statt jedes Mal gleich zu sagen "Nervt mich... mach ich nicht mit... will ich nix von wissen!"
?