dieser Abriß über einen Hund - meinen Hund – soll provozierend fragen, ob man Hunden, die von Menschenhand mental gebrochen wurden, eine Gefallen tut, indem man versucht, sie an ein normales Leben zu gewöhnen oder ob man ihnen neues Leid zufügt. Diese Frage habe ich für mich selbst längst beantwortet, doch mag jeder hierbei zu seinem eigenen Urteil kommen.
Darüber hinaus soll es eine Warnung sein an Unbedarfte, die glauben, dass man einen schwierigen Hund nur mit Liebe auf den richtigen Weg bringen könne und dann entnervt aufgeben, wenn es nicht klappt.
Vor etwa 2,5 Jahren sah ich zufällig einen Hund in einem norddeutschen Tierheim, welchem ich anläßlich eines Verwandtenbesuches einfach so aus Neugier eine Besuch abstattete – und dieser Hund blieb dann vorne in meinem Kopf hängen und ließ alles andere unwichtig erscheinen. Warum das so war, weiß ich nicht. Ich nenne ihn hier A und obwohl ich von dem Hund spreche, ist es eine „Sie“. A. gefiel mir – klar, er war sehr sehr scheu, unsicher, unstet, vorsichtig, aufbrausend, aber ich war mir ganz sicher, dass viel in ihm steckte, was noch gar nicht
Ich konnte gar keinen weiteren Hund gebrauchen, da ich schon 3 davon zuhause hatte, um die ich mich alleine kümmerte und ich mußte auch viele Zugeständnisse machen, dass ich A. mit viel Vorbehalten seitens meines Lebensgefährten, aufnehmen durfte. Es war mir klar, dass ich mein Leben mit diesem Hund in meinem Zuhause komplett würde umkrempeln müssen. Es ging n nicht an, A. überhaupt alleine zuhause zu lassen, ich würde ihn überall hin mitnehmen müssen und aufgrund seiner Angst vor Menschen und vor unbekannter Umgebung würde das wenig an außer-haus Besuchen sein.
Als erstes habe ich damit begonnen, Abschied von vielerlei Gewohnheiten zu nehmen, die ich in Zukunft würde ablegen müssen. Das fing an mit dem langjährigen Besuch des Schwimmbades am freien Mittwochnachmittag an und endete mit dem Verkauf meines Autos, mit dem ich bereits über 20 Jahre zusammen war, zugunsten eines solchen, in dem A. den großen Teil des Tages würde verbringen können, wenn ich ihn mit zur Arbeit nahm.
Noch zweimal fuhr ich ins knapp 600 km entfernte Tierheim, um A. zu besuchen, beim dritten mal nahm ich ihn mit. Ich hatte den Eindruck gewonnen, dass es mit uns klappen könnte, nein, es mußte klappen, wie auch immer, denn bislang hatte sich kein Interessent gezeigt und es war klar abzusehen, dass sein Aufenthalt im Tierheim nicht mehr lange von den öffentlichen Stellen würde unterhalten werden.
Es war ein herrlicher Hund, mit klaren Augen, schönem Fell, guter Haut, perfekt geformten Gliedmaßen (Kommentar meiner Mutter, als sie ihn zum ersten mal sah: was hat der Hund für elegante Pfoten!) und ganz beeindruckender Bemuskelung, obwohl kein Sport betrieben worden war und A. während seines ganzen Lebens noch nie viel weiter als über die TH-Schwelle gekommen war – A.weigerte sich, mit Gassigehern mit zu gehen, hatte zu viel Furcht vor Menschen, die ihm begegneten, vor Häusern, Autos, vor Allem, jenseits der kleinen Tierheimwelt.
A. stieg tatsächlich bei der Abholung in mein Auto ein, zwar nicht in die Hundebox, doch blieb er im Kofferraum. Meine Grand Dame Käthe, die unverzichtbar bei der Sozialisation eines neuen Rudelmitgliedes ist und das Mitglied auch prüft, war bei allen Besuchen dabei, ebenso bei der Abholung. Der Hund ging während der Besuche auf Käthe ein, spielte gar mit ihr, doch bemerkte ich bereits beim zweiten mal, dass er damit begann, sie aus dem Hinterhalt zu attackieren. Ein merkwürdiges Verhalten, weil es grundlos erschien, doch ein Hund macht nichts grundlos. Für mich war es eine Warnung, dass die Eingliederung nicht leicht fallen würde und ich traf Vorsorge, indem ich das wilde Schneewittchen, unser letzter Zugang ein gutes Jahr zuvor, ausquartierte. Sie gehört eh´meinem Sohn und sie sollte die nächsten Wochen überhaupt nicht auftauchen. Gleichaltrig mit der A, gleichen Geschlechts und von völlig autistisch-extrovertiertem Wesen, weil taub, war das die stärkste Gefahrenquelle. Außerdem war sie stets gerne auf Krawall gebürstet, im wahrsten sinne des Wortes, derweil dann ihre Mini-Bürste hoch stand und sie sich so richtig aufschaukelte.
Ich hatte zu jener Zeit 2 Mädchen (11 und 2 Jahre alt) und einen Rüden (11 Jahre alt), in Zukunft würde das Verhältnis 3Mädchen zu einem Rüden sein.
Während der langen Heimfahrt trank A. nicht und wollte keinesfalls das Auto verlassen. An einer Tankstelle, an der wir anhalten mußten, erlitt A. Qualen aufgrund der für sie furchteinflößenden Dinge, die um das Auto vorgingen, und sie versuchte, sich hinter die Innenverkleidung des Radkastens zu drücken. Nachdem ich 2 Decken über sie geworfen hatte, blieb sie wie erstarrt auf dem Boden liegen und war dankbar.
Zu Hause angekommen ließ ich ihr Zeit mit dem Aussteigen. Nach einer halben Stunde kam sie ängstlich in den Hof und dann gleich zu mir in die Wohnung, die sie zuerst mal nach Rückzugsmöglichkeiten überblickte. Als Käthe erschien, fackelte sie nicht lange, sondern stürzte ihr entgegen und begann eine ernstgemeinte Beißerei. Alleine gelang es mir nicht, sie zu trennen, da ich nicht gleich mit den stärksten Gegenmaßnahmen aufwarten wollte. Kurze zeit Später erschien der Rüde und es wiederholte sich das gleiche Spiel, obwohl sie ihn im auto und im Hof bereits gesehen hatte und auch an ihm vorbeigegangen war, ohne eine Reaktion zu zeigen. Der Rüde war so verdutzt darüber, weil er normalerweise so etwas bei fremden Hunden immer macht, dass er fortan die Pfoten von ihr ließ und völlig davon absah, sein übliches Spiel: „mal schau`n, wie lange Du es hier aushältst“ … mit ihr zu spielen.
Für den ersten Tag und die erste Nacht separierte ich die Hunde. In der Nacht blieb ich neben ihrem neuen Schlafplatz und sie schlief tatsächlich ein. Sobald sie das kleinste Geräusch wahrnahm, rannte sie in die Küche und versteckte sich dort hinter einem Schrank, hinter dem sie stundenlang ausharrte. Kam ein Mensch, geriet sie völlig in Panik und wollte einmal einen ganzen Tag samt Nacht nicht hervor kommen. Da sie nicht damit aufhörte, sich auf die beiden anderen zu stürzen und Beißereien zu beginnen, mußte ich etwas tun.
Das oberste Gebot für die Hunde in meinem zuhause ist, dass sie sich vertragen müssen. Das darf seine Zeit dauern, doch dann muß es klappen. A. War gerade zwei Jahre alt geworden und stand prächtig in ihrer jugendlichen Kraft. Der Rüde ist ein starker Hund, sowohl körperlich als auch mental und beansprucht die Führungsposition, Käthe ist ein Hund, der überaus friedfertig ist, jedoch keiner Rauferei, die ein anderer Hund beginnt, abgeneigt ist und bei Beißereien immer gerne noch aushilft, ob es sie etwas angeht oder nicht. Soweit ist es klar, dass man solche Hunde nicht sich selbst überlassen konnte.
Wir begannen also mit der üblichen Eingewöhnungstherapie, die alle etwas einschränkt, doch nach 3 Wochen war es soweit, dass die Hunde zusammen auf dem Teppich lagen, auf der Hundecouch und auch in einem Raum ihr Futter vertilgten. A. hatte das Prinzip verstanden und befolgt, jetzt mußte es nach und nach in allem Situationen für sie zur Selbstverständlichkeit werden. Es gab mir großen Auftrieb, dass es so gut geklappt hatte, zeigte es doch, dass A. lernwillig und lernfähig war und das Vertrauen zu den von ihm so gefürchteten Menschen noch nicht völlig verloren hatte.
Bereits vor seinem Einzug hatte ich A. im Hundeverein angemeldet, da es mein Ziel war, sie zur BH-Prüfung zu führen, damit sie einmal die Chance erhalten sollte, den Maulkorb ab zu legen und gegen ein Halti zu tauschen. Es war natürlich völlig illusorisch, mit ihm dorthin zu gehen, solange A. Nicht wußte, wie man sich in der Welt draußen zu verhalten hatte und dass man überhauupt dort überleben kann
Meine Erfahrungen waren folgende: im Auto fühlte A. sich wohl und geborgen, solange wie keiner hineinschaute und auch möglichst keiner daran vorbei ging. Geschah das, so mußte er sich verkriechen. Häufig genügte ihm sein Deckenberg dazu ganz offenbar nicht und er kroch unter den Autositz. Diesen mußte ich gar einmal ausbauen lassen, weil er sich darunter so eingequetscht hatte, dass er nicht mehr hervorkommen konnte. Er stieg nicht auf einem Parkplatz (z. Bsp. dem Firmenparkplatz) aus dem Auto aus, um Gassi zu gehen. Nein, er stieg nur am Waldrand, auf freiem Feld oder in einer völlig unbelebten Gegend aus, die er aber zuvor noch mehrere Minuten aus dem geöffneten Kofferraum in Augenschein nehmen mußte, bis er sich entschloß, es zu tun. Draußen ging es dann los: rennen, um jeden Preis, egal wohin, möglichst schnell und möglichst weit. Ich ließ ihn laufen, ohne Leine, nur mit Maulkorb. Zwar war es gefährlich für den Hund, da er sich nicht zuverlässig zurückrufen ließ, doch war es in meinen Augen seine einzige Freude am Tag, alles andere war mit Angst besetzt. Um auftauchende Menschen machte er einen so großen Bogen, dass niemand ihn jemals sah. Doch gab es andere Gefahren: zweimal kehrte er ohne Maulkorb zurück, einmal hing er noch um den Hals, einmal kam er mit einer langen Schnittwunde am Körper und einmal mit blutüberströmtem Kopf und Gehirnerschütterung– ganz offenbar war er einer Wildsau in die Quere gekommen. Diese unerschrockenen und äußerst wehrhaften Waldkönige gibt es bei uns überaus zahlreich. Wenn er sich müde gerannt hatte und zurück kam, so war er , noch adrenalindurchflutet, zugänglicher als sonst und man merkte, dass sich das äußerst kümmerliche Pflänzlein Selbstbewußtsein zaghaft zu entwickeln begann. Den Rüden schickte ich stets als Begleithund mit, was aber nicht hieß, dass sie auch zusammen blieben. Er hatte schließlich andere Vorlieben als A. Und mit der Zeit erkannte A. leider, dass man bei Karl Hugo etwas abschauen konnte, was viel Spaß machte. Karl Hugo war Berufsjäger, Vollgebrauchshund, äußerst passioniert und lebte dafür. Auf ihn konnte man sich verlassen, denn er ließ sich immer sicher zurückpfeifen und das war allerspätestens, wenn der Fährtenlaut ertönte. A. Sah, wie man eine Spur ausarbeitete, welchen Spaß es machte, dieser zu folgen … Was nach einiger Zeit kam, läßt sich leicht erahnen – ein ausgeprägter Jagdtrieb hatte sich Bahn gebrochen - und leider war es dann vorbei mit der Freiheit auf dem Flur. Das machte ihm sehr zu schaffen, zumal es kaum möglich war, seinen Bewegungsdrang zu befriedigen. Es war nicht möglich, ihn neben dem Fahrrad laufen zu lassen, denn ein sich bewegendes Fahrrad war eine Höllenmaschine, der man auf keinen Fall nahe kommen durfte. Von diesen höllischen Gerätschaften gab es ihrem Leben viele: es waren Regenschirme, Spazierstöcke, Walkingstöcke, Rollatoren, Rollstühle, Hüte, Einkaufstüten, Kinder, voluminöse (übergewichtige) Menschen, Koffer und vieles mehr. Ausgedehnte Spaziergänge mußten in der Dunkelheit stattfinden oder dort, wo sich kein Mensch hin verirren würde. Kam einer, so reagierte A. mit Hektik, dann mit Panik, riß wie wild an der Leine und mußte sich verstecken. War das aber nicht möglich, so legte sie sich platt auf den Boden und erstarrte in Stupor, war keinerlei Ansprache mehr zugänglich. So verharrte sie dann manchmal 15 Minuten lang und mehr. Diese Folgeerscheinung von echten Traumata bei Hunden heißen „learned helplessness“ und versetzen den Hund immer wieder in die Verhaltensweise, die er bei dem ersten mal der Traumatisierung und der auftretenden Todesangst erlebte. Es geschah oft, einmal im Warteraum des Tierarztes und selbiger meinte, dass es ein armer Hund sei, aber eigentlich gar nicht lebenstauglich und auch gar nichts von seinem Leben habe, außer die Angst. Nun, dieser Meinung war ich gar nicht, da der Hund es genoß, zu rennen, zu schwimmen und neuerdings auch begonnen hatte, täglich immer nach der Fütterung mit Käthe zu spielen. Das war ein sicheres Anzeichen für mich, dass er sich in seinem Zuhause wohl und sicher fühlte. Vielleicht würde es eines Tages ja auch so we4rden, dass er die Welt außerhalb nicht ausschließlich als Bedrohung sah. Er bekam jahrelang (bereits im Tierheim) stabilisierende Medikamente, doch ich sah auch nach langer Zeit keinen Nutzen darin und setzte sie ab. Es ergab sich keinerlei Veränderung.
Die Tierarztbesuche, die ich aufs allernotwendigste beschränkte, weil sie ein besonders schlimmes Erlebnis für den Hund A. waren, verliefen immer unerfreulich. A. wollte sich auf keinen Fall berühren lassen und gebärdete sich wie ein Wolf in der Falle. Vier Personen an ihm herum hantierend, um überhaupt die Beruhigungsspritze setzen zu können, die nicht ausreichte – in der Regel folgte noch eine Narkose. Später dann sollte ich stets vor dem Arztbesuch Sedalin verabreichen, welches die Muskeln völlig erschlaffen läßt, dem Angsterlebnis allerdings keine Dämpfung verschafft. Meine TÄin wollte den Hund nicht mehr behandeln, weil er sich so anstelle. Als er einst mit einer tiefen Augenverletzung kam und Schneewittchen eh´einen Termin beim Augenspezialisten hatte, nahm ich A. mit. Angesichts der extravaganten Praxis in Bad Godesberg mit reservierten Einzelterminen kamen mir Zweifel, ob eine Behandlung oder allein eine Diagnosestellung hier zweckmäßig sei. Aber der smarte Arzt zeigte sich völlig unbeeindruckt von A.s Gehabe,. verlor kein Wort darüber, und wandte die richtigen Griffe an, schaffte es sogar, ihr Augeninneres zu fotografieren, um eine zuverlässige Diagnose stellen zu können. Es kommt ganz auf den Arzt an, aber leider gibt es nur wenige, die so unerschrocken sind und nur im Sinne des Hundes handeln.
Der Jagdtrieb war jetzt erwacht und leitete sich auf ganz andere Objekte um, da er am Wild nicht mehr ausprobiert werden konnte. Zuvorderst waren es Fahrradfahrer, die bejagt wurden, da stand sogar die Angst vor dem Höllengerät im Hintergrund. Zu diesem Zwecke sprang A. einmal sogar aus dem geöffneten Schiebedach des Autos, zerriß mehrere Langleinen und schleifte mich auf dem Bauch in unwegsamem Gelände über die Distanz von ca. 12m hinter sich her, weil er eines vorbeifahrendes Fahrrades angesichtig wurde. Gleichzeitig wurden die Kaninchen des Nachbarn interessant. Dazu mußte man über einen Maschendrahtzaun klettern und von einer Brücke über das Geländer in einen Bachlauf springen, um auf dessen Grundstück zu gelangen. Es gelang aber, ihm den Wunsch nach den Kaninchen nach drei Besuchen dort aus zu treiben. Kraft, spring- und Laufvermögen des A. waren beträchtlich, das mußte unbedingt kanalisiert werden.
- Fortsetzung folgt -
Darüber hinaus soll es eine Warnung sein an Unbedarfte, die glauben, dass man einen schwierigen Hund nur mit Liebe auf den richtigen Weg bringen könne und dann entnervt aufgeben, wenn es nicht klappt.
Vor etwa 2,5 Jahren sah ich zufällig einen Hund in einem norddeutschen Tierheim, welchem ich anläßlich eines Verwandtenbesuches einfach so aus Neugier eine Besuch abstattete – und dieser Hund blieb dann vorne in meinem Kopf hängen und ließ alles andere unwichtig erscheinen. Warum das so war, weiß ich nicht. Ich nenne ihn hier A und obwohl ich von dem Hund spreche, ist es eine „Sie“. A. gefiel mir – klar, er war sehr sehr scheu, unsicher, unstet, vorsichtig, aufbrausend, aber ich war mir ganz sicher, dass viel in ihm steckte, was noch gar nicht
Ich konnte gar keinen weiteren Hund gebrauchen, da ich schon 3 davon zuhause hatte, um die ich mich alleine kümmerte und ich mußte auch viele Zugeständnisse machen, dass ich A. mit viel Vorbehalten seitens meines Lebensgefährten, aufnehmen durfte. Es war mir klar, dass ich mein Leben mit diesem Hund in meinem Zuhause komplett würde umkrempeln müssen. Es ging n nicht an, A. überhaupt alleine zuhause zu lassen, ich würde ihn überall hin mitnehmen müssen und aufgrund seiner Angst vor Menschen und vor unbekannter Umgebung würde das wenig an außer-haus Besuchen sein.
Als erstes habe ich damit begonnen, Abschied von vielerlei Gewohnheiten zu nehmen, die ich in Zukunft würde ablegen müssen. Das fing an mit dem langjährigen Besuch des Schwimmbades am freien Mittwochnachmittag an und endete mit dem Verkauf meines Autos, mit dem ich bereits über 20 Jahre zusammen war, zugunsten eines solchen, in dem A. den großen Teil des Tages würde verbringen können, wenn ich ihn mit zur Arbeit nahm.
Noch zweimal fuhr ich ins knapp 600 km entfernte Tierheim, um A. zu besuchen, beim dritten mal nahm ich ihn mit. Ich hatte den Eindruck gewonnen, dass es mit uns klappen könnte, nein, es mußte klappen, wie auch immer, denn bislang hatte sich kein Interessent gezeigt und es war klar abzusehen, dass sein Aufenthalt im Tierheim nicht mehr lange von den öffentlichen Stellen würde unterhalten werden.
Es war ein herrlicher Hund, mit klaren Augen, schönem Fell, guter Haut, perfekt geformten Gliedmaßen (Kommentar meiner Mutter, als sie ihn zum ersten mal sah: was hat der Hund für elegante Pfoten!) und ganz beeindruckender Bemuskelung, obwohl kein Sport betrieben worden war und A. während seines ganzen Lebens noch nie viel weiter als über die TH-Schwelle gekommen war – A.weigerte sich, mit Gassigehern mit zu gehen, hatte zu viel Furcht vor Menschen, die ihm begegneten, vor Häusern, Autos, vor Allem, jenseits der kleinen Tierheimwelt.
A. stieg tatsächlich bei der Abholung in mein Auto ein, zwar nicht in die Hundebox, doch blieb er im Kofferraum. Meine Grand Dame Käthe, die unverzichtbar bei der Sozialisation eines neuen Rudelmitgliedes ist und das Mitglied auch prüft, war bei allen Besuchen dabei, ebenso bei der Abholung. Der Hund ging während der Besuche auf Käthe ein, spielte gar mit ihr, doch bemerkte ich bereits beim zweiten mal, dass er damit begann, sie aus dem Hinterhalt zu attackieren. Ein merkwürdiges Verhalten, weil es grundlos erschien, doch ein Hund macht nichts grundlos. Für mich war es eine Warnung, dass die Eingliederung nicht leicht fallen würde und ich traf Vorsorge, indem ich das wilde Schneewittchen, unser letzter Zugang ein gutes Jahr zuvor, ausquartierte. Sie gehört eh´meinem Sohn und sie sollte die nächsten Wochen überhaupt nicht auftauchen. Gleichaltrig mit der A, gleichen Geschlechts und von völlig autistisch-extrovertiertem Wesen, weil taub, war das die stärkste Gefahrenquelle. Außerdem war sie stets gerne auf Krawall gebürstet, im wahrsten sinne des Wortes, derweil dann ihre Mini-Bürste hoch stand und sie sich so richtig aufschaukelte.
Ich hatte zu jener Zeit 2 Mädchen (11 und 2 Jahre alt) und einen Rüden (11 Jahre alt), in Zukunft würde das Verhältnis 3Mädchen zu einem Rüden sein.
Während der langen Heimfahrt trank A. nicht und wollte keinesfalls das Auto verlassen. An einer Tankstelle, an der wir anhalten mußten, erlitt A. Qualen aufgrund der für sie furchteinflößenden Dinge, die um das Auto vorgingen, und sie versuchte, sich hinter die Innenverkleidung des Radkastens zu drücken. Nachdem ich 2 Decken über sie geworfen hatte, blieb sie wie erstarrt auf dem Boden liegen und war dankbar.
Zu Hause angekommen ließ ich ihr Zeit mit dem Aussteigen. Nach einer halben Stunde kam sie ängstlich in den Hof und dann gleich zu mir in die Wohnung, die sie zuerst mal nach Rückzugsmöglichkeiten überblickte. Als Käthe erschien, fackelte sie nicht lange, sondern stürzte ihr entgegen und begann eine ernstgemeinte Beißerei. Alleine gelang es mir nicht, sie zu trennen, da ich nicht gleich mit den stärksten Gegenmaßnahmen aufwarten wollte. Kurze zeit Später erschien der Rüde und es wiederholte sich das gleiche Spiel, obwohl sie ihn im auto und im Hof bereits gesehen hatte und auch an ihm vorbeigegangen war, ohne eine Reaktion zu zeigen. Der Rüde war so verdutzt darüber, weil er normalerweise so etwas bei fremden Hunden immer macht, dass er fortan die Pfoten von ihr ließ und völlig davon absah, sein übliches Spiel: „mal schau`n, wie lange Du es hier aushältst“ … mit ihr zu spielen.
Für den ersten Tag und die erste Nacht separierte ich die Hunde. In der Nacht blieb ich neben ihrem neuen Schlafplatz und sie schlief tatsächlich ein. Sobald sie das kleinste Geräusch wahrnahm, rannte sie in die Küche und versteckte sich dort hinter einem Schrank, hinter dem sie stundenlang ausharrte. Kam ein Mensch, geriet sie völlig in Panik und wollte einmal einen ganzen Tag samt Nacht nicht hervor kommen. Da sie nicht damit aufhörte, sich auf die beiden anderen zu stürzen und Beißereien zu beginnen, mußte ich etwas tun.
Das oberste Gebot für die Hunde in meinem zuhause ist, dass sie sich vertragen müssen. Das darf seine Zeit dauern, doch dann muß es klappen. A. War gerade zwei Jahre alt geworden und stand prächtig in ihrer jugendlichen Kraft. Der Rüde ist ein starker Hund, sowohl körperlich als auch mental und beansprucht die Führungsposition, Käthe ist ein Hund, der überaus friedfertig ist, jedoch keiner Rauferei, die ein anderer Hund beginnt, abgeneigt ist und bei Beißereien immer gerne noch aushilft, ob es sie etwas angeht oder nicht. Soweit ist es klar, dass man solche Hunde nicht sich selbst überlassen konnte.
Wir begannen also mit der üblichen Eingewöhnungstherapie, die alle etwas einschränkt, doch nach 3 Wochen war es soweit, dass die Hunde zusammen auf dem Teppich lagen, auf der Hundecouch und auch in einem Raum ihr Futter vertilgten. A. hatte das Prinzip verstanden und befolgt, jetzt mußte es nach und nach in allem Situationen für sie zur Selbstverständlichkeit werden. Es gab mir großen Auftrieb, dass es so gut geklappt hatte, zeigte es doch, dass A. lernwillig und lernfähig war und das Vertrauen zu den von ihm so gefürchteten Menschen noch nicht völlig verloren hatte.
Bereits vor seinem Einzug hatte ich A. im Hundeverein angemeldet, da es mein Ziel war, sie zur BH-Prüfung zu führen, damit sie einmal die Chance erhalten sollte, den Maulkorb ab zu legen und gegen ein Halti zu tauschen. Es war natürlich völlig illusorisch, mit ihm dorthin zu gehen, solange A. Nicht wußte, wie man sich in der Welt draußen zu verhalten hatte und dass man überhauupt dort überleben kann
Meine Erfahrungen waren folgende: im Auto fühlte A. sich wohl und geborgen, solange wie keiner hineinschaute und auch möglichst keiner daran vorbei ging. Geschah das, so mußte er sich verkriechen. Häufig genügte ihm sein Deckenberg dazu ganz offenbar nicht und er kroch unter den Autositz. Diesen mußte ich gar einmal ausbauen lassen, weil er sich darunter so eingequetscht hatte, dass er nicht mehr hervorkommen konnte. Er stieg nicht auf einem Parkplatz (z. Bsp. dem Firmenparkplatz) aus dem Auto aus, um Gassi zu gehen. Nein, er stieg nur am Waldrand, auf freiem Feld oder in einer völlig unbelebten Gegend aus, die er aber zuvor noch mehrere Minuten aus dem geöffneten Kofferraum in Augenschein nehmen mußte, bis er sich entschloß, es zu tun. Draußen ging es dann los: rennen, um jeden Preis, egal wohin, möglichst schnell und möglichst weit. Ich ließ ihn laufen, ohne Leine, nur mit Maulkorb. Zwar war es gefährlich für den Hund, da er sich nicht zuverlässig zurückrufen ließ, doch war es in meinen Augen seine einzige Freude am Tag, alles andere war mit Angst besetzt. Um auftauchende Menschen machte er einen so großen Bogen, dass niemand ihn jemals sah. Doch gab es andere Gefahren: zweimal kehrte er ohne Maulkorb zurück, einmal hing er noch um den Hals, einmal kam er mit einer langen Schnittwunde am Körper und einmal mit blutüberströmtem Kopf und Gehirnerschütterung– ganz offenbar war er einer Wildsau in die Quere gekommen. Diese unerschrockenen und äußerst wehrhaften Waldkönige gibt es bei uns überaus zahlreich. Wenn er sich müde gerannt hatte und zurück kam, so war er , noch adrenalindurchflutet, zugänglicher als sonst und man merkte, dass sich das äußerst kümmerliche Pflänzlein Selbstbewußtsein zaghaft zu entwickeln begann. Den Rüden schickte ich stets als Begleithund mit, was aber nicht hieß, dass sie auch zusammen blieben. Er hatte schließlich andere Vorlieben als A. Und mit der Zeit erkannte A. leider, dass man bei Karl Hugo etwas abschauen konnte, was viel Spaß machte. Karl Hugo war Berufsjäger, Vollgebrauchshund, äußerst passioniert und lebte dafür. Auf ihn konnte man sich verlassen, denn er ließ sich immer sicher zurückpfeifen und das war allerspätestens, wenn der Fährtenlaut ertönte. A. Sah, wie man eine Spur ausarbeitete, welchen Spaß es machte, dieser zu folgen … Was nach einiger Zeit kam, läßt sich leicht erahnen – ein ausgeprägter Jagdtrieb hatte sich Bahn gebrochen - und leider war es dann vorbei mit der Freiheit auf dem Flur. Das machte ihm sehr zu schaffen, zumal es kaum möglich war, seinen Bewegungsdrang zu befriedigen. Es war nicht möglich, ihn neben dem Fahrrad laufen zu lassen, denn ein sich bewegendes Fahrrad war eine Höllenmaschine, der man auf keinen Fall nahe kommen durfte. Von diesen höllischen Gerätschaften gab es ihrem Leben viele: es waren Regenschirme, Spazierstöcke, Walkingstöcke, Rollatoren, Rollstühle, Hüte, Einkaufstüten, Kinder, voluminöse (übergewichtige) Menschen, Koffer und vieles mehr. Ausgedehnte Spaziergänge mußten in der Dunkelheit stattfinden oder dort, wo sich kein Mensch hin verirren würde. Kam einer, so reagierte A. mit Hektik, dann mit Panik, riß wie wild an der Leine und mußte sich verstecken. War das aber nicht möglich, so legte sie sich platt auf den Boden und erstarrte in Stupor, war keinerlei Ansprache mehr zugänglich. So verharrte sie dann manchmal 15 Minuten lang und mehr. Diese Folgeerscheinung von echten Traumata bei Hunden heißen „learned helplessness“ und versetzen den Hund immer wieder in die Verhaltensweise, die er bei dem ersten mal der Traumatisierung und der auftretenden Todesangst erlebte. Es geschah oft, einmal im Warteraum des Tierarztes und selbiger meinte, dass es ein armer Hund sei, aber eigentlich gar nicht lebenstauglich und auch gar nichts von seinem Leben habe, außer die Angst. Nun, dieser Meinung war ich gar nicht, da der Hund es genoß, zu rennen, zu schwimmen und neuerdings auch begonnen hatte, täglich immer nach der Fütterung mit Käthe zu spielen. Das war ein sicheres Anzeichen für mich, dass er sich in seinem Zuhause wohl und sicher fühlte. Vielleicht würde es eines Tages ja auch so we4rden, dass er die Welt außerhalb nicht ausschließlich als Bedrohung sah. Er bekam jahrelang (bereits im Tierheim) stabilisierende Medikamente, doch ich sah auch nach langer Zeit keinen Nutzen darin und setzte sie ab. Es ergab sich keinerlei Veränderung.
Die Tierarztbesuche, die ich aufs allernotwendigste beschränkte, weil sie ein besonders schlimmes Erlebnis für den Hund A. waren, verliefen immer unerfreulich. A. wollte sich auf keinen Fall berühren lassen und gebärdete sich wie ein Wolf in der Falle. Vier Personen an ihm herum hantierend, um überhaupt die Beruhigungsspritze setzen zu können, die nicht ausreichte – in der Regel folgte noch eine Narkose. Später dann sollte ich stets vor dem Arztbesuch Sedalin verabreichen, welches die Muskeln völlig erschlaffen läßt, dem Angsterlebnis allerdings keine Dämpfung verschafft. Meine TÄin wollte den Hund nicht mehr behandeln, weil er sich so anstelle. Als er einst mit einer tiefen Augenverletzung kam und Schneewittchen eh´einen Termin beim Augenspezialisten hatte, nahm ich A. mit. Angesichts der extravaganten Praxis in Bad Godesberg mit reservierten Einzelterminen kamen mir Zweifel, ob eine Behandlung oder allein eine Diagnosestellung hier zweckmäßig sei. Aber der smarte Arzt zeigte sich völlig unbeeindruckt von A.s Gehabe,. verlor kein Wort darüber, und wandte die richtigen Griffe an, schaffte es sogar, ihr Augeninneres zu fotografieren, um eine zuverlässige Diagnose stellen zu können. Es kommt ganz auf den Arzt an, aber leider gibt es nur wenige, die so unerschrocken sind und nur im Sinne des Hundes handeln.
Der Jagdtrieb war jetzt erwacht und leitete sich auf ganz andere Objekte um, da er am Wild nicht mehr ausprobiert werden konnte. Zuvorderst waren es Fahrradfahrer, die bejagt wurden, da stand sogar die Angst vor dem Höllengerät im Hintergrund. Zu diesem Zwecke sprang A. einmal sogar aus dem geöffneten Schiebedach des Autos, zerriß mehrere Langleinen und schleifte mich auf dem Bauch in unwegsamem Gelände über die Distanz von ca. 12m hinter sich her, weil er eines vorbeifahrendes Fahrrades angesichtig wurde. Gleichzeitig wurden die Kaninchen des Nachbarn interessant. Dazu mußte man über einen Maschendrahtzaun klettern und von einer Brücke über das Geländer in einen Bachlauf springen, um auf dessen Grundstück zu gelangen. Es gelang aber, ihm den Wunsch nach den Kaninchen nach drei Besuchen dort aus zu treiben. Kraft, spring- und Laufvermögen des A. waren beträchtlich, das mußte unbedingt kanalisiert werden.
- Fortsetzung folgt -