35 Jahre später bin ich auch nicht mehr genau wie damals
Aber es gibt bestimmte Muster, die sich bei den allermeisten Menschen durchs Leben ziehen. Dass jemand ab 30 noch eine totale Kehrtwende hinlegt, ist eher selten. Im Vergleich zu meiner früheren Freundin war ich immer die Langweilige, Vernünftige, Reflektierende, die zwar allen möglichen Sch.eiß mitgemacht hat (ohne Geld auf den Seychellen zu stranden z.B.), dabei aber zu mäßigen versuchte. Mit Betonung auf "versuchte"
Ich werde mindestens eine Nacht drüber schlafen, bevor ich mich entscheide.
Um meinen Konflikt etwas zu verdeutlichen, hier ein kurzer Abriss der letzten 3 Jahre unserer Freundschaft: Gabi verlor früh ihren ersten Mann durch Krebs, suchte nach neuem Lebenssinn. Sie geriet an die Anthropologische Gesellschaft, die Unterstützung für Auslandsprojekte suchte. Dabei verliebte sie sich in einem Mann, der sie abwies. Suizidversuch mit anschließender Entlassung zu mir. Von dem Mann wollte sie nicht lassen. Als er einen Job in Johannesburg bekam, besorgte sie sich einen in Kapstadt und überredete ihn, mit ihr zusammen zu reisen. Hannover - Südafrika überwiegend auf dem Landweg, in Kairo wurde sie schwanger. In Kapstadt angekommen, machte sie klar, dass sie ihren 3-Jahresvertrag nicht erfüllen wurde, sie hätte ja nur bei ihrem Liebsten sein wollen. Die Einrichtungen in Kapstadt und Johannesburg hatten ein Einsehen, man ließ beide in Johannesburg leben. Das Zusammenleben klappte nicht, also nahm Kapstadt sie doch auf. Kind kam dort zur Welt. Kurz darauf schrieb sie mir, ob ich sie und ihr Kind nicht besuchen wolle. Ich meinen Jahresurlaub genommen und hin. Natürlich keine Ahnung, was ich dort vorfinden würde: Gabi in desolatem physischen und psychischen Zustand, die ihr Kind nicht versorgen kann, aber auch niemandem vertraut. Ihrer eigentlichen Aufgabe, zwei Erwachsenen mit Down-Syndrom zu versorgen, konnte sie natürlich nicht nachkommen. Die Mitglieder der Einrichtung in Kapstadt erwarteten Wunder von mir, und Gabi erwartete nicht weniger als dass ich die Verantwortung für sie und ihr Kind übernähme. Im Prinzip ja, aber wie, wenn mir jede noch so unsinnige Handlung vorgeschrieben wird... Hass auf alles um sie herum: die Menschen, das Wetter, die Natur, die hygienischen Bedingungen... sie und das Kind verbachten die Tage und Nächte in einem abgedunkelten Raum, es stank nach irgendwelchen ätherischen Ölen, Fenster durfte nicht geöffnet werden. Hysterische Anfälle, aggressive Ausbrüche... Ganz übel genommen hat sie mir, dass ich den (abgesprochenen) Trip durchs Land unternahm, ich könne sie und das Kind doch nicht ihrem "Schicksal in diesem grässlichen Land überlassen". Aber ich musste raus, Luft holen und nachdenken. Als ich von dem Trip zurückkam, sprach ich zunächst mit der Leiterin der Einrichtung und dann mit Gabi. Lösungsvorschlag: Noch 6 Monate durchhalten (vorzeitige Vertragsauflösung), dann zurück zu ihren Eltern, die ich auf das Drama behutsam vorbereiten würde. Gabis Antwort war eine Schimpftirade und das Fazit, ich sei schon immer überheblich gewesen.
Wieder zurück, habe ich natürlich trotzdem mit ihren Eltern gesprochen, die sie und den Jungen dann auch heimholten. Als sie ihre bei mir eingelagerten Sachen abholte, wollte ich den Zwist klären, was sie verweigerte. Okay, war noch zu früh. Als ich nach Süddeutschland umzog, rief ich ihre Eltern an und hinterließ meine neue Telefonnummer. Keine Reaktion - bis eben heute.
Klar bin ich neugierig auf sie. Aber vor Dramen graut mir.