Kommunale Rassendiskriminierung (mit Rassevorstellungen)

Kai

20 Jahre Mitglied
Kommunale Rassendiskriminierung


Die Gemeinde Rorschacherberg SG forderte Leinen- und Maulkorbzwang für potenziell gefährliche Hunde. Hundehalter wehren sich erfolgreich dagegen.


Von Sibylle Stillhart


Der Bescheid kam aus heiterem Himmel. Per eingeschriebenem Brief teilte die Gemeindeverwaltung von Rorschacherberg SG Bruno Gerster mit: «Ab sofort gilt für Ihren Hund Leinen- und Maulkorbpflicht.» Bruno Gerster traute seinen Augen nicht. Sein Hund, ein viereinhalbjähriger Bullmastiff, soll eine Bestie sein? «Ich verstand nicht, weshalb 'Joey' plötzlich einen Maulkorb tragen sollte.»


Der Grund: «Joey» gehört zu jenen Hunderassen, die der Gemeinderat - nach eigenem Ermessen - seit kurzem als «Kampfhunde» einstuft. Seit sich Kampfhunde-Attacken auf Kleinkinder in den letzten Monaten häufen, ist in den Dörfern und Städten der Streit zwischen Hundeliebhabern und verängstigten Anwohnern in vollem Gang.


Die Gemeinde Rorschacherberg wollte ein Exempel statuieren und handelte. Nachdem im letzten Herbst in unmittelbarer Nähe ein sechsjähriges Kind von einem Rottweiler lebensgefährlich verletzt worden war, ergriff Gemeindeammann Ernst Tobler Massnahmen. Zwölf Besitzern «typischer Kampfhunderassen» schickte das Gremium eingeschriebene Post. Der Brief fordert unmissverständlich: «Kampfhunde» an die Leine. Vorschrift wurde auch ein Maulkorb - so dass die Tiere für jedermann als potenzielle Gefahr erkennbar sind. «Wir wollten vorbeugen», sagt Gemeindeammann Ernst Tobler, «bevor bei uns etwas Ähnliches passiert.»


Die kommunale Präventionslösung erschien Ernst Tobler nötig, weil es keine bestehenden Vorschriften für «Kampfhunde» gibt. Weil Bern Zurückhaltung übt, geht der Kampf um die Rechte der Hunde auf Gemeindeebene heftig weiter. Hundehalter Bruno Gerster weigerte sich, seinem Hund einen Maulkorb zu verpassen. «Das hätte ‹Joey› aggressiv gemacht», sagt er. Statt dessen ging er mit seinem Bullmastiff in Goldach, der Nachbargemeinde, spazieren - ohne Leine. Am Wochenende wich er ins nahe gelegene Appenzellerland aus.


Gersters Sonntagsspaziergänge waren nur vorsorgliche Ausweichmanöver. Er leitete zudem rechtliche Schritte ein - mit Erfolg. «Ich war nicht bereit, diese Konsequenzen zu tragen.» Zusammen mit fünf weiteren Hundebesitzern reichte er Rekurs beim Kanton ein. Letzte Woche erklärten die Sankt-Galler Kantonsbehörden, dass das geltende kantonale Hundegesetz keine Grundlage biete, um solche Massnahmen präventiv anzuordnen. «Die ganze Verordnung war von Beginn an sinnlos», sagt Bruno Gerster. «Joey» darf von jetzt an - auch in Rorschacherberg - ohne Leine und ohne Maulkorb spazieren.


Den Hundekrieg ist das Dorf deswegen noch lange nicht los. Nachbarn haben kein Verständnis für den positiven Rekurs-Entscheid. «Ich befürworte die Leinenpflicht», sagt Peter Lutz, der in Rorschacherberg mit seiner Frau und den beiden Töchtern Manuela, 8, und Amanda, 7, neben einer Familie wohnt, die einen Rottweiler hält. «Ich habe Angst um meine Kinder, weil ich nie weiss, was im Hund vorgeht.» Seine Frau, Carola Kobald: «Erst seit unser Nachbar sein Grundstück eingezäunt hat, fühle ich mich wieder frei.»


Hundegegner ärgern sich, Tierliebhaber sehen sich in ihrem Recht bestärkt - gelassen nimmts nur der Stammtisch der Quartierbeiz «Ochsen». «Es macht hier sowieso jeder das, was er für richtig hält», sagt «Ochsen»-Pächter Adrian Trafelet.


Eigenartige Auswüchse hat die Debatte mittlerweile in der Nachbarsgemeinde Goldach. Dort wollte man den Hundehaltern nach der Rottweiler-Attacke in Uttwil ebenfalls neue Vorschriften machen. Der Gemeinderat liess sich etwas Besonderes einfallen. Er erteilte dem Polizisten Peter Rohner den Auftrag, bei sämtlichen Hundehaltern persönlich anzuklopfen und die Tiere zu «prüfen». Zudem erhielten alle Hundehalter einen Brief, der sie «über ihre Pflichten als Hundebesitzer orientiert». Um die 20 Tiere habe er bisher geprüft, sagt Rohner.


Mit Erfolg: Zwei Hunde will Rohner noch näher begutachten. «Damit wir sehen, wie gefährlich sie wirklich sind», sagt Rohner, der hobbymässig als Präsident des Hundesportvereins amtet. Was dann mit den Hunden passieren wird, entscheidet der Gemeinderat von Goldach.


Die lokale Hundeprävention greift um sich. Das Zürcher Dorf Oetwil an der Limmat fürchtet um den Frieden am Limmatufer und will deshalb auch dort den Leinenzwang verordnen. «Velofahrer und Mütter von Kleinkindern fühlten sich durch die frei laufenden Hunde gestört», sagt Gemeindepräsident Paul Studer. Studer und seine Amtskollegen handeln sich damit massive Kritik von Seiten der Bundesbehörden ein. Obwohl das Thema landesweit für Aufruhr sorgt und eigentliche Kampfhunde-Krisensitzungen durchgeführt wurden: Die Bundesbehörden haben keine verbindlichen Grundlagen parat, wie Kantone oder Gemeinden mit dem Problem umgehen sollen. «Es gibt wichtigere Sachen», sagt Heinz Müller, Pressesprecher des Bundesamtes für Veterinärwesen (Bvet), «als ein eidgenössisches Hundegesetz zu erlassen.»


Das Bvet beschränkt sich auf ein paar Empfehlungen. Darin sind weder bestimmte Rassen als «Kampfhunde» bezeichnet, noch empfiehlt man betroffenen Kantonen und Gemeinden den Leinen- und Maulkorbzwang. Solche Massnahmen lehnen die Spezialisten «aus wissenschaftlichen und rechtlichen Gründen» ab.


Allenfalls liessen sich fehlende Bundesvorschriften durch kantonale Vorgaben ersetzen. «Es macht keinen Sinn, wenn die Gemeinden das Gefühl haben, auf eigene Faust handeln zu müssen», kritisiert auch Thomas Giger, Sankt-Galler Kantonstierarzt. «Sie sollen sich besser an die Richtlinien der Kantone halten.»


Das ist ein frommer Wunsch. Auch in den Kantonen gibt es keine passenden Vorschriften. Niemand hatte bisher mit den akuten Problemen gerechnet. Vorschriften für den Umgang mit Hunden, die möglicherweise aggressiv werden, fehlen in den Gesetzen und Verordnungen: Die meisten Kantone verfügen zwar über ein bestehendes Hundegesetz, worin aufgelistet ist, wie Hunde in der Öffentlichkeit gehalten werden sollen. Was aber so genannte Kampfhunde tun oder lassen sollen, steht nirgends geschrieben.


Basel-Stadt wagte sich im Januar einen Schritt vor. Der Kanton erstellte eine Rassenliste - und ächtete die Hunde gleich reihenweise: Bullterrier, American Staffordshire Terrier, Pitbull Terrier, Staffordshire Bullterrier, Rottweiler, Dobermann, Fila Brasileiro und Dogo Argentino gelten von nun an als «potenziell gefährdete Hunde».


Will ein Basler Hundeliebhaber einen «potenziell gefährlichen Hund» kaufen, muss er eine Bewilligung einholen. Die bekommt nur, wer mindestens 20 Jahre alt ist. Wer bereits stolzer «Kampfhunde»-Besitzer ist, aber plötzlich keine Bewilligung mehr erhält, dem bleibt nur eines: den Hund einschläfern. Oder den Kanton wechseln.


Die Liste der gefährlichen Hunde
Basel-Stadt bestimmte, welche Rassen als «Kampfhunde» gelten.

Sie wollten durchgreifen und dem Problem mit den «Kampfhunden» ein Ende machen. Basel-Stadt definierte deshalb Anfang Jahr eine Liste: Die Behörden bezeichneten acht Hunderassen, die das Veterinäramt nach seinem Ermessen als «potenziell gefährlich» einstufte.


Ähnlich handelte auch der Kanton Genf – auf seiner Rassenliste stehen sogar elf Hunderassen, die als Kampfhunde bezeichnet werden. Welche Kriterien die Ämter bei der Definition der «Kampfhunde» geltend gemacht haben, ist nicht klar. Tierschützer kritisieren diese Vorgehensweise. «Jeder Hund kann gefährlich sein, egal welcher Rasse», sagt der Zürcher Tierschutzexperte Antoine Goetschel.


Dogo Argentino

Der Dogo Argentino ist kein Hund für Unerfahrene: Es ist gefährlich, den Hund zu reizen. Das temperamentvolle Tier wird in kritischen Situationen aggressiv. Der Dogo Argentino ist ein selbstsicherer Hund. Er eignet sich gut als Wächter.

Dobermann

Der Dobermann ist wachsam und zurückhaltend. Seinem Besitzer ist er treu ergeben. Dobermänner wurden vor mehr als hundert Jahren aus Rottweiler und Pinscher gezüchtet – als neue Hunderasse mit Nervenstärke und Mut.

Fila Brasileiro

Der Fila Brasileiro – auch Brasilianischer Mastiff genannt – ist ein grosser, starker Hund, der an seinem Besitzer hängt. Fremden gegenüber verhält er sich zurückhaltend und misstrauisch. Seine Erziehung benötigt Erfahrung und Fingerspitzengefühl.

Rottweiler

Rottweiler sind furchtlose Wachhunde, die Eindringlingen gefährlich werden können. Wird ein Rottweiler auf etwas aufmerksam, reagiert er blitzschnell. Das Auffassungsvermögen des intelligenten Rottweilers ist ausserordentlich. Er braucht erfahrene und klare Führung.

Pitbull Terrier

Früher wurden Pitbull Terrier als Kampfhunde gezüchtet – heute gelten sie normalerweise als Familienhunde. Pitbulls haben einen ausgeprägten, eigenständigen Charakter. Ihre Willensstärke erfordert strenge Erziehung.

Staffordshire Bullterrier

Staffordshire Bullterrier sind zähe, mutige Hunde. Der Bullterrier wird als Familienhund gehandelt: Für Kindern kann er ein sehr geduldiger Begleiter sein. Staffordshire Bullterrier sind zudem flinke Mäusefänger.

American Staffordshire

Der American Staffordshire ist robust und gehört zur Kategorie der besonders treuen Hunde. Trotz seiner Gutmütigkeit: Konsequente Erziehung ist unerlässlich. Die Rasse wurde ursprünglich für Hundekämpfe gezücht.

Standard Bullterrier

Der Bullterrier ist kräftig gebaut, muskulös und stets aktiv. Deshalb gilt er als «Gladiator» unter den Hunderassen. Trotzdem verfügt der Bullterrier über ein ausgeglichenes, diszipliniertes Wesen und ist dem Menschen sehr zugetan.

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  • 26. April 2024
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