Hmmh, das Tückische ist, dass gut eingestellte Epileptiker ja manchmal über Monate oder Jahre anfallsfrei sind - was dann Angehörige oder auch die Betroffenen selbst in Sicherheit wiegt... und dass Anfälle sich häufig eben nicht vorher irgendwie merkbar ankündigen, oder höchstens im Rückblick. Sodass man eben immer erst hinterher merkt, dass man sich zwar jetzt drei Jahre lang normal verhalten konnte, es aber in dem einen Moment besser nicht getan hätte.
Und der zweite Punkt - den man, gerade wenn der Vorfall einige Jahre her ist, auf gar keinen Fall vernachlässigen darf - ist, dass anscheinend die Hemmschwelle bein Angehörigen, oder auch Betroffenen, zu erwähnen, dass sie oder ein Angehöriger, Epilepsie haben, enorm groß ist bzw. war.
Ich weiß von einer guten Freundin, die erst im Erwachsenenalter einige Anfälle hatte, dass sie Hemmungen hatte, "öffentlich" darüber zu reden, weil es ihr selbst so unheimlich war. Und bei meiner SchwiMu ist es im Grunde so ähnlich, der fehlen dann einfach auch die Worte. Aber immerhin lässt die sich trotzdem zu nix überreden, was ihr nicht guttut und achtet für ihre Verhältnisse sehr genau auf ihre Medikamente etc.
Ich weiß aber von noch viel früher, dass die Angst, abgestempelt zu werden, oder was auch immer, so groß ist, dass die Angehörigen die seltsamsten Dinge machen,
um von der Epilepsie abzulenken.
Einen im Ansatz ähnlichen Fall hatte ich selbst in meinem direkten Freundeskreis. Eine gute Freundin von mir bekam mit Beginn der Pubertät die ersten Anfälle. Und die Medikamente, die es damals gab, haben sie ziemlich mattgesetzt, sie redete zB im Grunde wie ne leiernde Schallplatte und benahm sich auch oftmal ähnlich dynamisch. Was viele gleichaltrige Leute erstmal doof fanden. Trotzdem wurde die Ursache vonseiten der Familie nur erwähnt, wenn es unbedingt nötig war. Denn was hätten sich die Leute sonst denken können?
Diese Freundin von mir ist mit nicht ganz 15 Jahren bei einem Badeunfall durch einen epileptischen Anfall nach über einjähriger Ruhephase morgens, im menschenleeren Freibad, um's Leben gekommen (bzw. nach einigen Wochen im Krankenhaus verstorben. )
Der Schwimmmeister war mal kurz nen Kaffee holen gegangen, waren ja nur ruhige, ihm bekannte Stammgäste da.
Das Tragische daran war, dass der Schwimmmeister der Nachbar der Eltern war, und die bis dahin sogar leidlich befreundet gewesen waren. Gute Nachbarn eben. Er hatte aber
trotzdem nicht gewusst, dass sie Epileptikerin war - weder in seiner Funktion als Schwimmmeister, noch als Privatperson. "Musste ja nicht jeder wissen".
Am Ende sprachen die Familien nicht mehr miteinander, weil jeder irgendwo dem anderen die Schuld gab.
Der wahre Grund wurde aber auch auf der Beerdigung nicht angesprochen: Dass sie nämlich Epileptikerin gewesen war, und alle so getan hatten, als sei sie es nicht (mehr) - weil sie das gerne
glauben wollten!
Halte es also gar nicht für so unmöglich, dass bei der extremen Reaktion der Frau auch so etwas dahintergesteckt hat, nicht nur die drohende Anklage wegen Verletztung der Aufsichtspflicht. Für die Eltern meiner Freundin wäre es nach meinem Eindruck defintiv schlimmer gewesen, dass bei so einer Untersuchung jeder drüber redet, was ihre Tochter
hat/hatte, als dass man gegen sie ermittelt hätte. (Also, zumindest für ihre Mutter, ihren Vater kannte ich kaum, da weiß ich es nicht.)