Hi.
Als jemand, der seit 1983 Dobermänner hält, rate ich Dir auch eher ab, einen Dobermann als Familien- und Ersthund anzuschaffen.
Dobermänner sind nicht nur sehr, sehr sensibel (wie hier schon gesagt wurde), sondern gleichzeitig auch durchaus stur und zum Dritten absolut aktiv, agil und sehr fordernd, was die "Handhabung" extrem schwierig gestaltet.
Stur in der Beziehung, dass sie durchaus ihren eigenen Kopf und Willen durchzusetzen versuchen. Und auch hier wieder das Extreme: Sagt man im Allgemeinen, ein Hund hat nach 100 Wiederholungen gelernt, was jetzt Sache ist, kann man beim Dobi (bei Dingen, die er nicht lernen will) durchaus noch eine Null dran hängen. Und auch dann ist nicht gesagt, dass er´s tut.
Beispiel: Die meisten Dobis haben einen starken "Vorwärtsdrang", ich kenne keinen Dobi, der nicht ein begeisterter Leinenzerrer ist. Alleine einem Dobi das "ich gehe vernünftig an der Leine, ohne meinem Frauchen den Arm auszureißen" beizubringen kann eine mitunter langwierige Geduldsprobe werden.
Das meine ich mit Stur. Wo jeder andere Hund z.B. bei der Be-a-Tree-Methode oder der "wenn der Hund zieht, gehe ich in die entgegengesetzte Richtung-Methode" irgendwann entnervt klein bei gibt, kommt man mit letzterer Methode bei so manchem Dobermann auch nach einem Jahr nicht weiter als 20 Meter.
Einerseits muss man absolut konsequent und mitunter hart durchgreifen, andererseits muss man punktgenau Härte dosieren, denn sonst macht das Sensibelchen entweder dicht oder geht nach vorne. Das hat nichts mit Bösartigkeit zu tun, sondern mit ihrem nicht strapazierfähigen Nervenkostüm.
Dobermänner sind schon ganz spezielle Hunde, man sollte genau wissen und akzeptieren, auf was man sich da einlässt. Dobermänner sind in so ziemlich jeder Hinsicht "extremer" als andere Hunde, so meine persönliche Erfahrung.
Ich war einige Jahre lang in einem Dobermannverein stellvertretender Ausbildewart und es gab dort keinen Besitzer, der in der magischen Zeit zwischen dem 6. und dem 18. Lebensmonat nicht mindestens 5 x total verzweifelt und entnervt war. Vor mir haben Männer gestanden, die mir sagten, sie hätten schon Schäferhunde und Boxer erzogen, aber dieser eine Dobermann würde sie fertig machen. Sowas hätten sie noch nicht erlebt.
Mein Bruder z.B. hat jetzt seine 2. Dobermannhündin. Die erste hat er aufgezogen, da war er Single und hatte entsprechend Zeit. Er ist mit ihr 3 x die Woche zum Hundeplatz gefahren - jede Woche 3 x - und zusätzlich hat er sie noch mit Kopfarbeit und langen Spaziergängen (ca. 3 Stunden täglich) ausgelastet. Er hat mit ihr die Begleithundeprüfung abgelegt und Hundesport gemacht, also unerfahren ist er keineswegs.
Dazu muss man aber sagen, dass seine 1. Hündin Rasseuntypisch war, sie war sehr ruhig und sehr führig - das ist keineswegs "normal" für einen Dobi. Außerdem war sie sehr ängstlich - da kann man schon mal Pech haben, ängstliche Dobis sind nicht sooo eine große Ausnahme.
Jetzt hat er die 2. Hündin nach dem Tod der 1. Die ist ein richtiger Dobi. Rotzfrech und das reinste Quecksilber.
Er hat aber inzwischen geheiratet und ist Vater einer jetzt 9jährigen Tochter. Er hat berufsbedingt auch nicht mehr die Zeit, sich ausschließlich um den Hund zu kümmern, wie er es mit seiner 1. Hündin getan hat. Und seine Frau ist zwar ganztags zuhause, kann sich aber auch nicht ständig nur mit dem Hund beschäftigen.
Und das geht nicht wirklich gut. Er ist mit dem Hund total überfordert.
Er hat keine Zeit, für 3 x Hundeplatz. Zwar geht er jeden Sonntag mit dem inzwischen 5monatigen Hund zur Welpenspielstunde und geht 2 x am Tag eine Runde mit ihr spazieren (und seine Frau geht auch 2 x am Tag eine kleine Runde), aber das reicht diesem Hund nicht.
Die Hündin zeigt schon jetzt ein sehr dominantes Spielverhalten, geht auf fremde Hunde aggressiv los (trotz Welpenstunde) und ist auf Kinder (da sie als sie noch kleiner war, von der Tochter teilweise als Kuscheltier "missbraucht" und herumgeschleppt und aus dem Schlaf gerissen wurde) nicht wirklich freundlich zu sprechen.
Sie ist dobermanntypisch sehr hibbelig, kaum zur Ruhe zu bringen, beißt in alles, was sich bewegt (das ist normal für einen Welpen, aber auch hier sind Dobis extrem), hat schon eine Couchgarnitur und diverse Kleinteile auf dem Gewissen und terrorisiert ihre Leute, weil sie chronisch unausgelastet ist.
Es stimmt, dass Dobermänner oft (nicht immer, es gibt auch Ausnahmen) mit anderen Hunden nicht gut klar kommen. Das liegt zum Großteil daran, dass Dobermänner in der Regel sehr grobmotorisch sind und dass sie mit vollem Körpereinsatz spielen, mitunter auch laut. Damit können viele Hunde nicht umgehen.
Wenn meine Dobis spielen, meint man, man wäre in einem Hundekampf, da wird gerempelt, umgerannt, geschnappt, geknurrt, mit den Pfoten geschlagen und am Fell gezogen.
Viele Hunde fühlen sich dadurch bedroht und bedrängt, gehen in die Offensive und da lässt ein Dobi sich dann auch wieder nicht lange bitten, bei einer gepflegten Keilerei mitzumachen.
Bei vielen Dobis stellt sich auch mit der Pubertät eine Abneigung gegen gleichgeschlechtliche Artgenossen ein - da kann man noch so sehr gegen an sozialisieren.
Es gibt immer wieder Hunde, die können im Erwachsenenalter einfach nicht mit anderen gleichgeschlechtlichen. Das ist bei vielen Rassen so, bei Dobis allerdings doch recht häufig.
Ich persönlich habe Hündinnen übrigens als schwieriger als Rüden kennen gelernt, das ist aber nur meine persönliche Erfahrung. Aber die Rüden hatten es auch ganz schön in sich.
Wach- und Schutztrieb liegt Dobis im Blut. Sie verteidigen ihr Revier (oft sehr lautstark) und ihre Leute, der eine mehr, der andere weniger. Die meisten aber mehr. Das kann mitunter unschön werden - ich hatte mal einen Dobi mit übersteigertem Schutztrieb, da konnte mich wirklich niemand anfassen.
Mein jetziger Rüde ist ein echtes Schaf, der mag eigentlich jeden Menschen. Aber er bewacht das Grundstück (kläff, kläff, kläff
), und selbst er würde ernsthaft dazwischen gehen, wenn er meint, dass jemand für mich eine Gefahr darstellt. Auch wenn mich dieser Jemand nur herzlich in den Arm nehmen möchte um mich zu knuddeln.
Es stimmt auch, dass Dobermänner sich sehr eng an eine Person anschließen. Sie akzeptieren andere Personen im Haushalt, aber sie hängen ihr Herz meistens nur an eine einzige. Die anderen sind halt da, aber die eine wird angehimmelt. Und der wird auch gehorcht. Den anderen evtl. auch, aber eher zögerlich.
Von einem Dobi aus dem Tierschutz würde ich ebenfalls abraten, denn leider, leider, leider werden viele Dobis aus optischen Gründen angeschafft, und wenn sie dann so richtig versaubeutelt und entsprechend verhaltensgestört sind, dann landen sie im Tierschutz.
Im Tierschutz einen Dobi ohne Verhaltensstörungen zu finden, der dann auch noch mit Artgenossen und Kindern kompatibel ist, ist möglich, gleicht aber einem 6er im Lotto.
Gruß
tessa